Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

es schickt sich nicht daß du mit einem jungen Herrn allein bist, man muß nicht Öl ins Feuer gießen; er könnte sich in dich verlieben.' Der Graf wußte nicht ob er weinen oder lachen sollte. 'Solch ein Schätzchen,' dachte er, 'und wenn es dreißig Jahre jünger wäre, könnte doch mein Herz nicht rühren.' Indessen hätschelte und streichelte die Alte ihre Gänse wie Kinder, und gieng dann mit ihrer Tochter in das Haus. Der Jüngling streckte sich auf die Bank unter einem wilden Apfelbaum. Die Luft war lau und mild: rings umher breitete sich eine grüne Wiese aus, die mit Himmelsschlüsseln, wildem Thymian und tausend andern Blumen übersät war: mitten durch rauschte ein klarer Bach, auf dem die Sonne glitzerte: und die weißen Gänse giengen auf und ab spazieren oder pudelten sich im Wasser. 'Es ist recht lieblich hier,' sagte er, 'aber ich bin so müde, daß ich die Augen nicht aufbehalten mag: ich will ein wenig schlafen. Wenn nur kein Windstoß kommt, und bläst mir meine Beine vom Leib weg, denn sie sind mürb wie Zunder.'

Als er ein Weilchen geschlafen hatte, kam die Alte, und schüttelte ihn wach. 'Steh auf,' sagte sie, 'hier kannst du nicht bleiben. Freilich habe ich dirs sauer genug gemacht, aber das Leben hats doch nicht gekostet. Jetzt will ich dir deinen Lohn geben, Geld und Gut brauchst du nicht, da hast du etwas anderes.' Damit steckte sie ihm ein Büchslein in die Hand, das aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. 'Bewahrs wohl,' setzte sie hinzu, 'es wird dir Glück bringen.' Der Graf sprang auf, und da er fühlte daß er ganz frisch und wieder bei Kräften war, so dankte er der Alten für ihr Geschenk,

es schickt sich nicht daß du mit einem jungen Herrn allein bist, man muß nicht Öl ins Feuer gießen; er könnte sich in dich verlieben.’ Der Graf wußte nicht ob er weinen oder lachen sollte. ‘Solch ein Schätzchen,’ dachte er, ‘und wenn es dreißig Jahre jünger wäre, könnte doch mein Herz nicht rühren.’ Indessen hätschelte und streichelte die Alte ihre Gänse wie Kinder, und gieng dann mit ihrer Tochter in das Haus. Der Jüngling streckte sich auf die Bank unter einem wilden Apfelbaum. Die Luft war lau und mild: rings umher breitete sich eine grüne Wiese aus, die mit Himmelsschlüsseln, wildem Thymian und tausend andern Blumen übersät war: mitten durch rauschte ein klarer Bach, auf dem die Sonne glitzerte: und die weißen Gänse giengen auf und ab spazieren oder pudelten sich im Wasser. ‘Es ist recht lieblich hier,’ sagte er, ‘aber ich bin so müde, daß ich die Augen nicht aufbehalten mag: ich will ein wenig schlafen. Wenn nur kein Windstoß kommt, und bläst mir meine Beine vom Leib weg, denn sie sind mürb wie Zunder.’

Als er ein Weilchen geschlafen hatte, kam die Alte, und schüttelte ihn wach. ‘Steh auf,’ sagte sie, ‘hier kannst du nicht bleiben. Freilich habe ich dirs sauer genug gemacht, aber das Leben hats doch nicht gekostet. Jetzt will ich dir deinen Lohn geben, Geld und Gut brauchst du nicht, da hast du etwas anderes.’ Damit steckte sie ihm ein Büchslein in die Hand, das aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. ‘Bewahrs wohl,’ setzte sie hinzu, ‘es wird dir Glück bringen.’ Der Graf sprang auf, und da er fühlte daß er ganz frisch und wieder bei Kräften war, so dankte er der Alten für ihr Geschenk,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0422" n="412"/>
es schickt sich nicht daß du mit einem jungen Herrn allein bist, man muß nicht Öl ins Feuer gießen; er könnte sich in dich verlieben.&#x2019; Der Graf wußte nicht ob er weinen oder lachen sollte. &#x2018;Solch ein Schätzchen,&#x2019; dachte er, &#x2018;und wenn es dreißig Jahre jünger wäre, könnte doch mein Herz nicht rühren.&#x2019; Indessen hätschelte und streichelte die Alte ihre Gänse wie Kinder, und gieng dann mit ihrer Tochter in das Haus. Der Jüngling streckte sich auf die Bank unter einem wilden Apfelbaum. Die Luft war lau und mild: rings umher breitete sich eine grüne Wiese aus, die mit Himmelsschlüsseln, wildem Thymian und tausend andern Blumen übersät war: mitten durch rauschte ein klarer Bach, auf dem die Sonne glitzerte: und die weißen Gänse giengen auf und ab spazieren oder pudelten sich im Wasser. &#x2018;Es ist recht lieblich hier,&#x2019; sagte er, &#x2018;aber ich bin so müde, daß ich die Augen nicht aufbehalten mag: ich will ein wenig schlafen. Wenn nur kein Windstoß kommt, und bläst mir meine Beine vom Leib weg, denn sie sind mürb wie Zunder.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Als er ein Weilchen geschlafen hatte, kam die Alte, und schüttelte ihn wach. &#x2018;Steh auf,&#x2019; sagte sie, &#x2018;hier kannst du nicht bleiben. Freilich habe ich dirs sauer genug gemacht, aber das Leben hats doch nicht gekostet. Jetzt will ich dir deinen Lohn geben, Geld und Gut brauchst du nicht, da hast du etwas anderes.&#x2019; Damit steckte sie ihm ein Büchslein in die Hand, das aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. &#x2018;Bewahrs wohl,&#x2019; setzte sie hinzu, &#x2018;es wird dir Glück bringen.&#x2019; Der Graf sprang auf, und da er fühlte daß er ganz frisch und wieder bei Kräften war, so dankte er der Alten für ihr Geschenk,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0422] es schickt sich nicht daß du mit einem jungen Herrn allein bist, man muß nicht Öl ins Feuer gießen; er könnte sich in dich verlieben.’ Der Graf wußte nicht ob er weinen oder lachen sollte. ‘Solch ein Schätzchen,’ dachte er, ‘und wenn es dreißig Jahre jünger wäre, könnte doch mein Herz nicht rühren.’ Indessen hätschelte und streichelte die Alte ihre Gänse wie Kinder, und gieng dann mit ihrer Tochter in das Haus. Der Jüngling streckte sich auf die Bank unter einem wilden Apfelbaum. Die Luft war lau und mild: rings umher breitete sich eine grüne Wiese aus, die mit Himmelsschlüsseln, wildem Thymian und tausend andern Blumen übersät war: mitten durch rauschte ein klarer Bach, auf dem die Sonne glitzerte: und die weißen Gänse giengen auf und ab spazieren oder pudelten sich im Wasser. ‘Es ist recht lieblich hier,’ sagte er, ‘aber ich bin so müde, daß ich die Augen nicht aufbehalten mag: ich will ein wenig schlafen. Wenn nur kein Windstoß kommt, und bläst mir meine Beine vom Leib weg, denn sie sind mürb wie Zunder.’ Als er ein Weilchen geschlafen hatte, kam die Alte, und schüttelte ihn wach. ‘Steh auf,’ sagte sie, ‘hier kannst du nicht bleiben. Freilich habe ich dirs sauer genug gemacht, aber das Leben hats doch nicht gekostet. Jetzt will ich dir deinen Lohn geben, Geld und Gut brauchst du nicht, da hast du etwas anderes.’ Damit steckte sie ihm ein Büchslein in die Hand, das aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. ‘Bewahrs wohl,’ setzte sie hinzu, ‘es wird dir Glück bringen.’ Der Graf sprang auf, und da er fühlte daß er ganz frisch und wieder bei Kräften war, so dankte er der Alten für ihr Geschenk,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/422
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/422>, abgerufen am 19.12.2024.