Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

wie der Baum auf einmal in der Nacht gewachsen war, nur Zweiäuglein merkte es, daß er aus den Eingeweiden der Ziege aufgesproßt war, denn er stand gerade da, wo es sie hinbegraben hatte. Da sprach die Mutter zu Einäuglein 'steig hinauf, mein Kind, und brich uns die Früchte von dem Baume ab.' Einäuglein stieg hinauf, aber wie es einen von den goldenen Aepfeln greifen wollte, so fuhr ihm der Zweig aus den Händen, und das geschah jedesmal, so daß es keinen einzigen Apfel brechen konnte, es mochte sich anstellen wie es wollte. Da sprach die Mutter 'Dreiäuglein, steig du hinauf, du kannst mit deinen drei Augen besser um dich schauen als Einäuglein.' Einäuglein rutschte herunter, und Dreiäuglein stieg hinauf: aber Dreiäuglein war nicht geschickter, und mochte schauen wie es wollte, die goldenen Aepfel wichen immer zurück. Endlich ward die Mutter ungeduldig, und stieg selbst hinauf, konnte aber so wenig wie Einäuglein und Dreiäuglein die Frucht fassen, und griff immer in die leere Luft hinein. Da sprach Zweiäuglein 'ich will mich einmal hinaufmachen, vielleicht gelingt mirs eher.' Die Schwestern riefen zwar 'du mit deinen zwei Augen, was willst du wohl!' aber Zweiäuglein stieg hinauf, und die goldenen Aepfel zogen sich nicht vor ihm zurück, sondern es war ordentlich als sprängen sie seinen Händen entgegen, also daß es einen nach dem andern abpflücken konnte, und einen ganzen Schurz voll mit herunter brachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und statt daß sie, Einäuglein und Dreiäuglein dafür das arme Zweiäuglein hätten besser behandeln sollen, so wurden sie

wie der Baum auf einmal in der Nacht gewachsen war, nur Zweiaͤuglein merkte es, daß er aus den Eingeweiden der Ziege aufgesproßt war, denn er stand gerade da, wo es sie hinbegraben hatte. Da sprach die Mutter zu Einaͤuglein ‘steig hinauf, mein Kind, und brich uns die Fruͤchte von dem Baume ab.’ Einaͤuglein stieg hinauf, aber wie es einen von den goldenen Aepfeln greifen wollte, so fuhr ihm der Zweig aus den Haͤnden, und das geschah jedesmal, so daß es keinen einzigen Apfel brechen konnte, es mochte sich anstellen wie es wollte. Da sprach die Mutter ‘Dreiaͤuglein, steig du hinauf, du kannst mit deinen drei Augen besser um dich schauen als Einaͤuglein.’ Einaͤuglein rutschte herunter, und Dreiaͤuglein stieg hinauf: aber Dreiaͤuglein war nicht geschickter, und mochte schauen wie es wollte, die goldenen Aepfel wichen immer zuruͤck. Endlich ward die Mutter ungeduldig, und stieg selbst hinauf, konnte aber so wenig wie Einaͤuglein und Dreiaͤuglein die Frucht fassen, und griff immer in die leere Luft hinein. Da sprach Zweiaͤuglein ‘ich will mich einmal hinaufmachen, vielleicht gelingt mirs eher.’ Die Schwestern riefen zwar ‘du mit deinen zwei Augen, was willst du wohl!’ aber Zweiaͤuglein stieg hinauf, und die goldenen Aepfel zogen sich nicht vor ihm zuruͤck, sondern es war ordentlich als spraͤngen sie seinen Haͤnden entgegen, also daß es einen nach dem andern abpfluͤcken konnte, und einen ganzen Schurz voll mit herunter brachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und statt daß sie, Einaͤuglein und Dreiaͤuglein dafuͤr das arme Zweiaͤuglein haͤtten besser behandeln sollen, so wurden sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0256" n="240"/>
wie der Baum auf einmal in der Nacht gewachsen war, nur Zweia&#x0364;uglein merkte es, daß er aus den Eingeweiden der Ziege aufgesproßt war, denn er stand gerade da, wo es sie hinbegraben hatte. Da sprach die Mutter zu Eina&#x0364;uglein &#x2018;steig hinauf, mein Kind, und brich uns die Fru&#x0364;chte von dem Baume ab.&#x2019; Eina&#x0364;uglein stieg hinauf, aber wie es einen von den goldenen Aepfeln greifen wollte, so fuhr ihm der Zweig aus den Ha&#x0364;nden, und das geschah jedesmal, so daß es keinen einzigen Apfel brechen konnte, es mochte sich anstellen wie es wollte. Da sprach die Mutter &#x2018;Dreia&#x0364;uglein, steig du hinauf, du kannst mit deinen drei Augen besser um dich schauen als Eina&#x0364;uglein.&#x2019; Eina&#x0364;uglein rutschte herunter, und Dreia&#x0364;uglein stieg hinauf: aber Dreia&#x0364;uglein war nicht geschickter, und mochte schauen wie es wollte, die goldenen Aepfel wichen immer zuru&#x0364;ck. Endlich ward die Mutter ungeduldig, und stieg selbst hinauf, konnte aber so wenig wie Eina&#x0364;uglein und Dreia&#x0364;uglein die Frucht fassen, und griff immer in die leere Luft hinein. Da sprach Zweia&#x0364;uglein &#x2018;ich will mich einmal hinaufmachen, vielleicht gelingt mirs eher.&#x2019; Die Schwestern riefen zwar &#x2018;du mit deinen zwei Augen, was willst du wohl!&#x2019; aber Zweia&#x0364;uglein stieg hinauf, und die goldenen Aepfel zogen sich nicht vor ihm zuru&#x0364;ck, sondern es war ordentlich als spra&#x0364;ngen sie seinen Ha&#x0364;nden entgegen, also daß es einen nach dem andern abpflu&#x0364;cken konnte, und einen ganzen Schurz voll mit herunter brachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und statt daß sie, Eina&#x0364;uglein und Dreia&#x0364;uglein dafu&#x0364;r das arme Zweia&#x0364;uglein ha&#x0364;tten besser behandeln sollen, so wurden sie
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0256] wie der Baum auf einmal in der Nacht gewachsen war, nur Zweiaͤuglein merkte es, daß er aus den Eingeweiden der Ziege aufgesproßt war, denn er stand gerade da, wo es sie hinbegraben hatte. Da sprach die Mutter zu Einaͤuglein ‘steig hinauf, mein Kind, und brich uns die Fruͤchte von dem Baume ab.’ Einaͤuglein stieg hinauf, aber wie es einen von den goldenen Aepfeln greifen wollte, so fuhr ihm der Zweig aus den Haͤnden, und das geschah jedesmal, so daß es keinen einzigen Apfel brechen konnte, es mochte sich anstellen wie es wollte. Da sprach die Mutter ‘Dreiaͤuglein, steig du hinauf, du kannst mit deinen drei Augen besser um dich schauen als Einaͤuglein.’ Einaͤuglein rutschte herunter, und Dreiaͤuglein stieg hinauf: aber Dreiaͤuglein war nicht geschickter, und mochte schauen wie es wollte, die goldenen Aepfel wichen immer zuruͤck. Endlich ward die Mutter ungeduldig, und stieg selbst hinauf, konnte aber so wenig wie Einaͤuglein und Dreiaͤuglein die Frucht fassen, und griff immer in die leere Luft hinein. Da sprach Zweiaͤuglein ‘ich will mich einmal hinaufmachen, vielleicht gelingt mirs eher.’ Die Schwestern riefen zwar ‘du mit deinen zwei Augen, was willst du wohl!’ aber Zweiaͤuglein stieg hinauf, und die goldenen Aepfel zogen sich nicht vor ihm zuruͤck, sondern es war ordentlich als spraͤngen sie seinen Haͤnden entgegen, also daß es einen nach dem andern abpfluͤcken konnte, und einen ganzen Schurz voll mit herunter brachte. Die Mutter nahm sie ihm ab, und statt daß sie, Einaͤuglein und Dreiaͤuglein dafuͤr das arme Zweiaͤuglein haͤtten besser behandeln sollen, so wurden sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/256
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/256>, abgerufen am 23.07.2024.