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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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war, ging der Königssohn zur Alten und sprach, der Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sagte: "so weit wie du, hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig" und dachte, ich will dich schon kriegen, du sollst deinen Kopf nicht oben erhalten, und sprach: "heut Abend bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber hüte dich, daß du nicht einschläfst; ich komme Schlag zwölf Uhr und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren." O, dachte der Königssohn, der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten, doch rief er seine Diener, erzählte ihnen, was die Alte gesagt hatte und sprach: "wer weiß, was für eine List dahinter steckt, Vorsicht ist gut, haltet Wache und sorgt, daß die Jungfrau nicht wieder aus meiner Kammer kommt." Als es nun Nacht wurde, da brachte die Alte ihre Tochter und führte sie in die Arme des Königssohns und darnach schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis und der Dicke stellte sich vor die Thüre, also daß keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie beide und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr Angesicht, daß er ihre wunderbare Schönheit sehen konnte. Er that nichts als sie anschauen und war voll Freude und Liebe und seine Augen wurden nicht müd, das dauerte bis elf Uhr, da fiel, durch die Künste der Alten ein Zauber über alle, daß sie sichs nicht erwehren konnten und einschliefen und in dem Augenblick war auch die Jungfrau entrückt.


war, ging der Koͤnigssohn zur Alten und sprach, der Bund waͤre geloͤst. Sie verwunderte sich und sagte: „so weit wie du, hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund uͤbrig“ und dachte, ich will dich schon kriegen, du sollst deinen Kopf nicht oben erhalten, und sprach: „heut Abend bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber huͤte dich, daß du nicht einschlaͤfst; ich komme Schlag zwoͤlf Uhr und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.“ O, dachte der Koͤnigssohn, der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten, doch rief er seine Diener, erzaͤhlte ihnen, was die Alte gesagt hatte und sprach: „wer weiß, was fuͤr eine List dahinter steckt, Vorsicht ist gut, haltet Wache und sorgt, daß die Jungfrau nicht wieder aus meiner Kammer kommt.“ Als es nun Nacht wurde, da brachte die Alte ihre Tochter und fuͤhrte sie in die Arme des Koͤnigssohns und darnach schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis und der Dicke stellte sich vor die Thuͤre, also daß keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie beide und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr Angesicht, daß er ihre wunderbare Schoͤnheit sehen konnte. Er that nichts als sie anschauen und war voll Freude und Liebe und seine Augen wurden nicht muͤd, das dauerte bis elf Uhr, da fiel, durch die Kuͤnste der Alten ein Zauber uͤber alle, daß sie sichs nicht erwehren konnten und einschliefen und in dem Augenblick war auch die Jungfrau entruͤckt.


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[235/0313] war, ging der Koͤnigssohn zur Alten und sprach, der Bund waͤre geloͤst. Sie verwunderte sich und sagte: „so weit wie du, hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund uͤbrig“ und dachte, ich will dich schon kriegen, du sollst deinen Kopf nicht oben erhalten, und sprach: „heut Abend bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber huͤte dich, daß du nicht einschlaͤfst; ich komme Schlag zwoͤlf Uhr und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.“ O, dachte der Koͤnigssohn, der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten, doch rief er seine Diener, erzaͤhlte ihnen, was die Alte gesagt hatte und sprach: „wer weiß, was fuͤr eine List dahinter steckt, Vorsicht ist gut, haltet Wache und sorgt, daß die Jungfrau nicht wieder aus meiner Kammer kommt.“ Als es nun Nacht wurde, da brachte die Alte ihre Tochter und fuͤhrte sie in die Arme des Koͤnigssohns und darnach schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis und der Dicke stellte sich vor die Thuͤre, also daß keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie beide und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr Angesicht, daß er ihre wunderbare Schoͤnheit sehen konnte. Er that nichts als sie anschauen und war voll Freude und Liebe und seine Augen wurden nicht muͤd, das dauerte bis elf Uhr, da fiel, durch die Kuͤnste der Alten ein Zauber uͤber alle, daß sie sichs nicht erwehren konnten und einschliefen und in dem Augenblick war auch die Jungfrau entruͤckt.

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/313>, abgerufen am 25.11.2024.