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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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deiner nicht schämen müssen" und stießen das arme Zweiäuglein mit Gewalt unter ein leeres Faß, das neben dem Baume stand und stopften die goldenen Aepfel, die es gebrochen, auch darunter. Als nun der Ritter näher kam, war es ein schöner Herr, der bewunderte den prächtigen Baum von Gold und Silber und sprach zu den beiden Schwestern: "wem gehört dieser schöne Baum? wer mir einen Zweig davon gäbe, könnte dafür verlangen, was er wollte." Da antworteten Einäuglein und Dreiäuglein, der Baum gehöre ihnen zu und sie wollten ihm einen Zweig wohl abbrechen. Sie gaben sich auch beide große Mühe, aber sie waren es nicht im Stand, denn die Zweige und die Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter: "das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehören soll und ihr doch nicht Macht habt, etwas davon abzubrechen!" Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigenthum; indem sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Aepfel heraus, so daß sie zu Füßen des Ritters liefen, denn es war bös, daß Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sprachen. Wie der Ritter die Aepfel sah, da erstaunte er und fragte, wo sie herkämen; Einäuglein und Dreiäuglein antworteten, sie hätten noch eine Schwester, die dürfe sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen habe wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber wollte sie sehen und rief: "Zweiäuglein, komm hervor." Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Faß hervor und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit und sprach: "gewiß, Zweiäuglein, kannst du mir einen Zweig von dem Baum abbrechen."

deiner nicht schaͤmen muͤssen“ und stießen das arme Zweiaͤuglein mit Gewalt unter ein leeres Faß, das neben dem Baume stand und stopften die goldenen Aepfel, die es gebrochen, auch darunter. Als nun der Ritter naͤher kam, war es ein schoͤner Herr, der bewunderte den praͤchtigen Baum von Gold und Silber und sprach zu den beiden Schwestern: „wem gehoͤrt dieser schoͤne Baum? wer mir einen Zweig davon gaͤbe, koͤnnte dafuͤr verlangen, was er wollte.“ Da antworteten Einaͤuglein und Dreiaͤuglein, der Baum gehoͤre ihnen zu und sie wollten ihm einen Zweig wohl abbrechen. Sie gaben sich auch beide große Muͤhe, aber sie waren es nicht im Stand, denn die Zweige und die Fruͤchte wichen jedesmal vor ihnen zuruͤck. Da sprach der Ritter: „das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehoͤren soll und ihr doch nicht Macht habt, etwas davon abzubrechen!“ Sie blieben dabei, der Baum waͤre ihr Eigenthum; indem sie aber so sprachen, rollte Zweiaͤuglein unter dem Fasse ein paar goldene Aepfel heraus, so daß sie zu Fuͤßen des Ritters liefen, denn es war boͤs, daß Einaͤuglein und Dreiaͤuglein nicht die Wahrheit sprachen. Wie der Ritter die Aepfel sah, da erstaunte er und fragte, wo sie herkaͤmen; Einaͤuglein und Dreiaͤuglein antworteten, sie haͤtten noch eine Schwester, die duͤrfe sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen habe wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber wollte sie sehen und rief: „Zweiaͤuglein, komm hervor.“ Da kam Zweiaͤuglein ganz getrost unter dem Faß hervor und der Ritter war verwundert uͤber seine große Schoͤnheit und sprach: „gewiß, Zweiaͤuglein, kannst du mir einen Zweig von dem Baum abbrechen.“

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[220/0298] deiner nicht schaͤmen muͤssen“ und stießen das arme Zweiaͤuglein mit Gewalt unter ein leeres Faß, das neben dem Baume stand und stopften die goldenen Aepfel, die es gebrochen, auch darunter. Als nun der Ritter naͤher kam, war es ein schoͤner Herr, der bewunderte den praͤchtigen Baum von Gold und Silber und sprach zu den beiden Schwestern: „wem gehoͤrt dieser schoͤne Baum? wer mir einen Zweig davon gaͤbe, koͤnnte dafuͤr verlangen, was er wollte.“ Da antworteten Einaͤuglein und Dreiaͤuglein, der Baum gehoͤre ihnen zu und sie wollten ihm einen Zweig wohl abbrechen. Sie gaben sich auch beide große Muͤhe, aber sie waren es nicht im Stand, denn die Zweige und die Fruͤchte wichen jedesmal vor ihnen zuruͤck. Da sprach der Ritter: „das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehoͤren soll und ihr doch nicht Macht habt, etwas davon abzubrechen!“ Sie blieben dabei, der Baum waͤre ihr Eigenthum; indem sie aber so sprachen, rollte Zweiaͤuglein unter dem Fasse ein paar goldene Aepfel heraus, so daß sie zu Fuͤßen des Ritters liefen, denn es war boͤs, daß Einaͤuglein und Dreiaͤuglein nicht die Wahrheit sprachen. Wie der Ritter die Aepfel sah, da erstaunte er und fragte, wo sie herkaͤmen; Einaͤuglein und Dreiaͤuglein antworteten, sie haͤtten noch eine Schwester, die duͤrfe sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen habe wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber wollte sie sehen und rief: „Zweiaͤuglein, komm hervor.“ Da kam Zweiaͤuglein ganz getrost unter dem Faß hervor und der Ritter war verwundert uͤber seine große Schoͤnheit und sprach: „gewiß, Zweiaͤuglein, kannst du mir einen Zweig von dem Baum abbrechen.“

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/298>, abgerufen am 22.11.2024.