Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Königssohn brachte dem Riesen den versprochenen Apfel. "Siehst du, sprach er, ich habe ihn ohne Mühe geholt." Der Riese war froh, daß er so leicht erhalten hatte, was er sich so sehr gewünscht, eilte zu seiner Braut und gab ihr den Apfel. Diese war eine schöne und kluge Jungfrau, sie sah nicht den Ring an seinem Arm und sprach: "ich glaube nicht eher, daß du den Apfel geholt, bis ich erst den Ring an deinem Arm erblicke." "O, sagte der Riese, ich will heimgehen und ihn holen," und dachte dem schwachen Menschenkind ihn abzunehmen, wenn es ihn nicht gutwillig geben wollte. Da ging er zurück und forderte den Ring von dem Königssohn; aber der wollte ihn nicht geben. "Wo der Apfel ist muß auch der Ring seyn, sprach der Riese, giebst du ihn nicht, so mußt du mit mir darum kämpfen."

Sie rangen lange Zeit mit einander, aber der Riese konnte dem Königssohn nichts anhaben, so stark war dieser durch die Kraft des Ringes. Da erdachte der Riese eine List und sprach zu ihm: "es ist uns warm geworden bei dem Kampf, wir wollen uns erst im Flusse baden und kühlen, eh wir wieder anfangen." Der Königssohn, der von Falschheit nichts wußte, ging mit ihm zu dem Wasser, zog seine Kleider ab, streifte auch den Ring vom Arm, legte ihn daneben und ging in den Fluß. Alsbald ergriff der Riese den Ring und lief damit fort, aber der Löwe, der seinem Herrn gefolgt war und den Diebstahl wohl angesehen hatte, setzte dem Riesen nach und riß ihm den Ring wieder weg. Da gerieth der Riese in Wuth und sprang nach dem Wasser zurück,

Der Koͤnigssohn brachte dem Riesen den versprochenen Apfel. „Siehst du, sprach er, ich habe ihn ohne Muͤhe geholt.“ Der Riese war froh, daß er so leicht erhalten hatte, was er sich so sehr gewuͤnscht, eilte zu seiner Braut und gab ihr den Apfel. Diese war eine schoͤne und kluge Jungfrau, sie sah nicht den Ring an seinem Arm und sprach: „ich glaube nicht eher, daß du den Apfel geholt, bis ich erst den Ring an deinem Arm erblicke.“ „O, sagte der Riese, ich will heimgehen und ihn holen,“ und dachte dem schwachen Menschenkind ihn abzunehmen, wenn es ihn nicht gutwillig geben wollte. Da ging er zuruͤck und forderte den Ring von dem Koͤnigssohn; aber der wollte ihn nicht geben. „Wo der Apfel ist muß auch der Ring seyn, sprach der Riese, giebst du ihn nicht, so mußt du mit mir darum kaͤmpfen.“

Sie rangen lange Zeit mit einander, aber der Riese konnte dem Koͤnigssohn nichts anhaben, so stark war dieser durch die Kraft des Ringes. Da erdachte der Riese eine List und sprach zu ihm: „es ist uns warm geworden bei dem Kampf, wir wollen uns erst im Flusse baden und kuͤhlen, eh wir wieder anfangen.“ Der Koͤnigssohn, der von Falschheit nichts wußte, ging mit ihm zu dem Wasser, zog seine Kleider ab, streifte auch den Ring vom Arm, legte ihn daneben und ging in den Fluß. Alsbald ergriff der Riese den Ring und lief damit fort, aber der Loͤwe, der seinem Herrn gefolgt war und den Diebstahl wohl angesehen hatte, setzte dem Riesen nach und riß ihm den Ring wieder weg. Da gerieth der Riese in Wuth und sprang nach dem Wasser zuruͤck,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0245" n="167"/>
        <p> Der Ko&#x0364;nigssohn brachte dem Riesen den versprochenen Apfel. &#x201E;Siehst du, sprach er, ich habe ihn ohne Mu&#x0364;he geholt.&#x201C; Der Riese war froh, daß er so leicht erhalten hatte, was er sich so sehr gewu&#x0364;nscht, eilte zu seiner Braut und gab ihr den Apfel. Diese war eine scho&#x0364;ne und kluge Jungfrau, sie sah nicht den Ring an seinem Arm und sprach: &#x201E;ich glaube nicht eher, daß du den Apfel geholt, bis ich erst den Ring an deinem Arm erblicke.&#x201C; &#x201E;O, sagte der Riese, ich will heimgehen und ihn holen,&#x201C; und dachte dem schwachen Menschenkind ihn abzunehmen, wenn es ihn nicht gutwillig geben wollte. Da ging er zuru&#x0364;ck und forderte den Ring von dem Ko&#x0364;nigssohn; aber der wollte ihn nicht geben. &#x201E;Wo der Apfel ist muß auch der Ring seyn, sprach der Riese, giebst du ihn nicht, so mußt du mit mir darum ka&#x0364;mpfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie rangen lange Zeit mit einander, aber der Riese konnte dem Ko&#x0364;nigssohn nichts anhaben, so stark war dieser durch die Kraft des Ringes. Da erdachte der Riese eine List und sprach zu ihm: &#x201E;es ist uns warm geworden bei dem Kampf, wir wollen uns erst im Flusse baden und ku&#x0364;hlen, eh wir wieder anfangen.&#x201C; Der Ko&#x0364;nigssohn, der von Falschheit nichts wußte, ging mit ihm zu dem Wasser, zog seine Kleider ab, streifte auch den Ring vom Arm, legte ihn daneben und ging in den Fluß. Alsbald ergriff der Riese den Ring und lief damit fort, aber der Lo&#x0364;we, der seinem Herrn gefolgt war und den Diebstahl wohl angesehen hatte, setzte dem Riesen nach und riß ihm den Ring wieder weg. Da gerieth der Riese in Wuth und sprang nach dem Wasser zuru&#x0364;ck,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0245] Der Koͤnigssohn brachte dem Riesen den versprochenen Apfel. „Siehst du, sprach er, ich habe ihn ohne Muͤhe geholt.“ Der Riese war froh, daß er so leicht erhalten hatte, was er sich so sehr gewuͤnscht, eilte zu seiner Braut und gab ihr den Apfel. Diese war eine schoͤne und kluge Jungfrau, sie sah nicht den Ring an seinem Arm und sprach: „ich glaube nicht eher, daß du den Apfel geholt, bis ich erst den Ring an deinem Arm erblicke.“ „O, sagte der Riese, ich will heimgehen und ihn holen,“ und dachte dem schwachen Menschenkind ihn abzunehmen, wenn es ihn nicht gutwillig geben wollte. Da ging er zuruͤck und forderte den Ring von dem Koͤnigssohn; aber der wollte ihn nicht geben. „Wo der Apfel ist muß auch der Ring seyn, sprach der Riese, giebst du ihn nicht, so mußt du mit mir darum kaͤmpfen.“ Sie rangen lange Zeit mit einander, aber der Riese konnte dem Koͤnigssohn nichts anhaben, so stark war dieser durch die Kraft des Ringes. Da erdachte der Riese eine List und sprach zu ihm: „es ist uns warm geworden bei dem Kampf, wir wollen uns erst im Flusse baden und kuͤhlen, eh wir wieder anfangen.“ Der Koͤnigssohn, der von Falschheit nichts wußte, ging mit ihm zu dem Wasser, zog seine Kleider ab, streifte auch den Ring vom Arm, legte ihn daneben und ging in den Fluß. Alsbald ergriff der Riese den Ring und lief damit fort, aber der Loͤwe, der seinem Herrn gefolgt war und den Diebstahl wohl angesehen hatte, setzte dem Riesen nach und riß ihm den Ring wieder weg. Da gerieth der Riese in Wuth und sprang nach dem Wasser zuruͤck,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/245
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/245>, abgerufen am 25.11.2024.