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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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einmal ward er so müd' und wollte sich nicht
hinlegen, aber er konnte es gar nicht mehr aus-
halten, und mußte sich ein Bischen legen; doch
wollte er nicht einschlafen, aber kaum hatte er
sich gelegt, da fielen ihm die Augen von selber zu
und er schlief ein und schlief so fest, daß ihn nichts
auf der Welt hätte erwecken können. Um zwei
Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengsten ge-
fahren und war schon in voller Trauer und sprach:
"ich weiß doch schon, daß er schläft!" Und als sie in
den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke
und schlief; und wie sie vor ihm war, stieg sie aus
dem Wagen, schüttelte und rief ihn an, er wollte
nicht erwachen. Sie rief aber so lang' bis sie ihn
endlich aus dem Schlaf erweckte, da sagte sie:
"ich sehe wohl, daß du mich hier nicht erlösen
kannst, aber Morgen will ich noch einmal wieder-
kommen, dann habe ich vier braune Hengste vor
dem Wagen, aber du darfst bei Leibe nichts neh-
men von der Frau, kein Essen und kein Trinken."
Da sagte er: "nein gewiß nicht." Sie sprach
aber: "ach! ich weiß es wohl, du nimmst doch
etwas!" Am andern Tag zur Mittagszeit kam
die alte Frau und sagte, er äße und tränke ja
nichts, was das wäre? Da sprach er: nein, ich
will nicht essen und trinken." Sie aber stellte
das Essen und Trinken vor ihn hin, daß der Ge-
ruch zu ihm aufging und beredete ihn, daß er
wieder etwas trank. Gegen zwei Uhr ging er in

einmal ward er ſo muͤd’ und wollte ſich nicht
hinlegen, aber er konnte es gar nicht mehr aus-
halten, und mußte ſich ein Bischen legen; doch
wollte er nicht einſchlafen, aber kaum hatte er
ſich gelegt, da fielen ihm die Augen von ſelber zu
und er ſchlief ein und ſchlief ſo feſt, daß ihn nichts
auf der Welt haͤtte erwecken koͤnnen. Um zwei
Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengſten ge-
fahren und war ſchon in voller Trauer und ſprach:
„ich weiß doch ſchon, daß er ſchlaͤft!“ Und als ſie in
den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke
und ſchlief; und wie ſie vor ihm war, ſtieg ſie aus
dem Wagen, ſchuͤttelte und rief ihn an, er wollte
nicht erwachen. Sie rief aber ſo lang’ bis ſie ihn
endlich aus dem Schlaf erweckte, da ſagte ſie:
„ich ſehe wohl, daß du mich hier nicht erloͤſen
kannſt, aber Morgen will ich noch einmal wieder-
kommen, dann habe ich vier braune Hengſte vor
dem Wagen, aber du darfſt bei Leibe nichts neh-
men von der Frau, kein Eſſen und kein Trinken.“
Da ſagte er: „nein gewiß nicht.“ Sie ſprach
aber: „ach! ich weiß es wohl, du nimmſt doch
etwas!“ Am andern Tag zur Mittagszeit kam
die alte Frau und ſagte, er aͤße und traͤnke ja
nichts, was das waͤre? Da ſprach er: nein, ich
will nicht eſſen und trinken.“ Sie aber ſtellte
das Eſſen und Trinken vor ihn hin, daß der Ge-
ruch zu ihm aufging und beredete ihn, daß er
wieder etwas trank. Gegen zwei Uhr ging er in

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[55/0076] einmal ward er ſo muͤd’ und wollte ſich nicht hinlegen, aber er konnte es gar nicht mehr aus- halten, und mußte ſich ein Bischen legen; doch wollte er nicht einſchlafen, aber kaum hatte er ſich gelegt, da fielen ihm die Augen von ſelber zu und er ſchlief ein und ſchlief ſo feſt, daß ihn nichts auf der Welt haͤtte erwecken koͤnnen. Um zwei Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengſten ge- fahren und war ſchon in voller Trauer und ſprach: „ich weiß doch ſchon, daß er ſchlaͤft!“ Und als ſie in den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke und ſchlief; und wie ſie vor ihm war, ſtieg ſie aus dem Wagen, ſchuͤttelte und rief ihn an, er wollte nicht erwachen. Sie rief aber ſo lang’ bis ſie ihn endlich aus dem Schlaf erweckte, da ſagte ſie: „ich ſehe wohl, daß du mich hier nicht erloͤſen kannſt, aber Morgen will ich noch einmal wieder- kommen, dann habe ich vier braune Hengſte vor dem Wagen, aber du darfſt bei Leibe nichts neh- men von der Frau, kein Eſſen und kein Trinken.“ Da ſagte er: „nein gewiß nicht.“ Sie ſprach aber: „ach! ich weiß es wohl, du nimmſt doch etwas!“ Am andern Tag zur Mittagszeit kam die alte Frau und ſagte, er aͤße und traͤnke ja nichts, was das waͤre? Da ſprach er: nein, ich will nicht eſſen und trinken.“ Sie aber ſtellte das Eſſen und Trinken vor ihn hin, daß der Ge- ruch zu ihm aufging und beredete ihn, daß er wieder etwas trank. Gegen zwei Uhr ging er in

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/76>, abgerufen am 09.05.2024.