kriechen und schüttete ihr ganzes Herz aus, wie es ihr bis dahin ergangen und wie sie von der bösen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der alte König zu und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da war's gut und Königskleider wur- den ihr alsbald angethan und es schien ein Wun- der, wie sie so schön war; der alte König rief sei- nen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut hätte, die wäre ein bloßes Kammermäd- chen, die wahre aber stände hier, als die gewesene Gänsemagd. Der junge König aber war herzens- froh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und gute Freunde gebeten wurden, obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und er- kannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten und gutes Muths waren, gab der alte König der Kam- merfrau ein Räthsel auf: was eine solche werth wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte: "welches Urtheils ist diese würdig?" Da sprach die falsche Braut: "die ist nichts bessers werth, als splinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig mit spitzen Nägeln beschlagen geworfen zu werden, und zwei weiße Pferde davor gespannt müssen sie
kriechen und ſchuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie es ihr bis dahin ergangen und wie ſie von der boͤſen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der alte Koͤnig zu und vernahm ihr Schickſal von Wort zu Wort. Da war’s gut und Koͤnigskleider wur- den ihr alsbald angethan und es ſchien ein Wun- der, wie ſie ſo ſchoͤn war; der alte Koͤnig rief ſei- nen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falſche Braut haͤtte, die waͤre ein bloßes Kammermaͤd- chen, die wahre aber ſtaͤnde hier, als die geweſene Gaͤnſemagd. Der junge Koͤnig aber war herzens- froh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte und ein großes Mahl wurde angeſtellt, zu dem alle Leute und gute Freunde gebeten wurden, obenan ſaß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und er- kannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck. Als ſie nun gegeſſen und getrunken hatten und gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kam- merfrau ein Raͤthſel auf: was eine ſolche werth waͤre, die den Herrn ſo und ſo betrogen haͤtte, erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf und fragte: „welches Urtheils iſt dieſe wuͤrdig?“ Da ſprach die falſche Braut: „die iſt nichts beſſers werth, als ſplinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig mit ſpitzen Naͤgeln beſchlagen geworfen zu werden, und zwei weiße Pferde davor geſpannt muͤſſen ſie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0045"n="24"/>
kriechen und ſchuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie<lb/>
es ihr bis dahin ergangen und wie ſie von der<lb/>
boͤſen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber<lb/>
der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der<lb/>
alte Koͤnig zu und vernahm ihr Schickſal von Wort<lb/>
zu Wort. Da war’s gut und Koͤnigskleider wur-<lb/>
den ihr alsbald angethan und es ſchien ein Wun-<lb/>
der, wie ſie ſo ſchoͤn war; der alte Koͤnig rief ſei-<lb/>
nen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falſche<lb/>
Braut haͤtte, die waͤre ein bloßes Kammermaͤd-<lb/>
chen, die wahre aber ſtaͤnde hier, als die geweſene<lb/>
Gaͤnſemagd. Der junge Koͤnig aber war herzens-<lb/>
froh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte<lb/>
und ein großes Mahl wurde angeſtellt, zu dem<lb/>
alle Leute und gute Freunde gebeten wurden,<lb/>
obenan ſaß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur<lb/>
einen Seite und die Kammerjungfer zur andern,<lb/>
aber die Kammerjungfer war verblendet und er-<lb/>
kannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck.<lb/>
Als ſie nun gegeſſen und getrunken hatten und<lb/>
gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kam-<lb/>
merfrau ein Raͤthſel auf: was eine ſolche werth<lb/>
waͤre, die den Herrn ſo und ſo betrogen haͤtte,<lb/>
erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf und fragte:<lb/>„welches Urtheils iſt dieſe wuͤrdig?“ Da ſprach<lb/>
die falſche Braut: „die iſt nichts beſſers werth,<lb/>
als ſplinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig<lb/>
mit ſpitzen Naͤgeln beſchlagen geworfen zu werden,<lb/>
und zwei weiße Pferde davor geſpannt muͤſſen ſie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[24/0045]
kriechen und ſchuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie
es ihr bis dahin ergangen und wie ſie von der
boͤſen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber
der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der
alte Koͤnig zu und vernahm ihr Schickſal von Wort
zu Wort. Da war’s gut und Koͤnigskleider wur-
den ihr alsbald angethan und es ſchien ein Wun-
der, wie ſie ſo ſchoͤn war; der alte Koͤnig rief ſei-
nen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falſche
Braut haͤtte, die waͤre ein bloßes Kammermaͤd-
chen, die wahre aber ſtaͤnde hier, als die geweſene
Gaͤnſemagd. Der junge Koͤnig aber war herzens-
froh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte
und ein großes Mahl wurde angeſtellt, zu dem
alle Leute und gute Freunde gebeten wurden,
obenan ſaß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur
einen Seite und die Kammerjungfer zur andern,
aber die Kammerjungfer war verblendet und er-
kannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck.
Als ſie nun gegeſſen und getrunken hatten und
gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kam-
merfrau ein Raͤthſel auf: was eine ſolche werth
waͤre, die den Herrn ſo und ſo betrogen haͤtte,
erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf und fragte:
„welches Urtheils iſt dieſe wuͤrdig?“ Da ſprach
die falſche Braut: „die iſt nichts beſſers werth,
als ſplinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig
mit ſpitzen Naͤgeln beſchlagen geworfen zu werden,
und zwei weiße Pferde davor geſpannt muͤſſen ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/45>, abgerufen am 12.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.