Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

wie es Morgens war, setzte sich hinter das fin-
stere Thor und hörte da, wie sie mit dem Haupt
des Falada sprach; und dann ging er ihr auch
nach in das Feld und barg sich in einem Busch
auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen
eigenen Augen, wie die Gänsemagd und der Gän-
sejung die Heerde getrieben brachten und nach ei-
ner Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht,
die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder:

weh'! weh'! Windchen,
Faß Kürdchen sein Hütchen
und laß'n sich mit jagen,
bis daß ich mich geflochten und geschnatzt
und wieder aufgesatzt.
da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens
Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die
Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort,
welches der alte König alles beobachtete. Darauf
ging er unbemerkt zurück und als Abends die
Gänsemagd heim kam, rief er sie bei Seite und
fragte: warum sie dem allem so thäte? "das darf
ich euch und keinem Menschen nicht sagen, denn
so hab' ich mich unter freiem Himmel verschwo-
ren, weil ich sonst um mein Leben wäre gekom-
men." Er aber drang in sie und ließ ihr keinen
Frieden, "willst du mir's nicht erzählen," sagte
der alte König endlich, "so darfst du's doch dem
Kachelofen erzählen." "Ja, das will ich wohl"
antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen

wie es Morgens war, ſetzte ſich hinter das fin-
ſtere Thor und hoͤrte da, wie ſie mit dem Haupt
des Falada ſprach; und dann ging er ihr auch
nach in das Feld und barg ſich in einem Buſch
auf der Wieſe. Da ſah er nun bald mit ſeinen
eigenen Augen, wie die Gaͤnſemagd und der Gaͤn-
ſejung die Heerde getrieben brachten und nach ei-
ner Weile ſie ſich ſetzte und ihre Haare losflocht,
die ſtrahlten von Glanz. Gleich ſprach ſie wieder:

weh’! weh’! Windchen,
Faß Kuͤrdchen ſein Huͤtchen
und laß’n ſich mit jagen,
bis daß ich mich geflochten und geſchnatzt
und wieder aufgeſatzt.
da kam ein Windſtoß und fuhr mit Kuͤrdchens
Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die
Magd kaͤmmte und flocht ihre Locken ſtill fort,
welches der alte Koͤnig alles beobachtete. Darauf
ging er unbemerkt zuruͤck und als Abends die
Gaͤnſemagd heim kam, rief er ſie bei Seite und
fragte: warum ſie dem allem ſo thaͤte? „das darf
ich euch und keinem Menſchen nicht ſagen, denn
ſo hab’ ich mich unter freiem Himmel verſchwo-
ren, weil ich ſonſt um mein Leben waͤre gekom-
men.“ Er aber drang in ſie und ließ ihr keinen
Frieden, „willſt du mir’s nicht erzaͤhlen,“ ſagte
der alte Koͤnig endlich, „ſo darfſt du’s doch dem
Kachelofen erzaͤhlen.“ „Ja, das will ich wohl“
antwortete ſie. Damit mußte ſie in den Ofen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="23"/>
wie es Morgens war, &#x017F;etzte &#x017F;ich hinter das fin-<lb/>
&#x017F;tere Thor und ho&#x0364;rte da, wie &#x017F;ie mit dem Haupt<lb/>
des Falada &#x017F;prach; und dann ging er ihr auch<lb/>
nach in das Feld und barg &#x017F;ich in einem Bu&#x017F;ch<lb/>
auf der Wie&#x017F;e. Da &#x017F;ah er nun bald mit &#x017F;einen<lb/>
eigenen Augen, wie die Ga&#x0364;n&#x017F;emagd und der Ga&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;ejung die Heerde getrieben brachten und nach ei-<lb/>
ner Weile &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;etzte und ihre Haare losflocht,<lb/>
die &#x017F;trahlten von Glanz. Gleich &#x017F;prach &#x017F;ie wieder:<lb/><lg type="poem"><l>weh&#x2019;! weh&#x2019;! Windchen,</l><lb/><l>Faß Ku&#x0364;rdchen &#x017F;ein Hu&#x0364;tchen</l><lb/><l>und laß&#x2019;n &#x017F;ich mit jagen,</l><lb/><l>bis daß ich mich geflochten und ge&#x017F;chnatzt</l><lb/><l>und wieder aufge&#x017F;atzt.</l></lg><lb/>
da kam ein Wind&#x017F;toß und fuhr mit Ku&#x0364;rdchens<lb/>
Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die<lb/>
Magd ka&#x0364;mmte und flocht ihre Locken &#x017F;till fort,<lb/>
welches der alte Ko&#x0364;nig alles beobachtete. Darauf<lb/>
ging er unbemerkt zuru&#x0364;ck und als Abends die<lb/>
Ga&#x0364;n&#x017F;emagd heim kam, rief er &#x017F;ie bei Seite und<lb/>
fragte: warum &#x017F;ie dem allem &#x017F;o tha&#x0364;te? &#x201E;das darf<lb/>
ich euch und keinem Men&#x017F;chen nicht &#x017F;agen, denn<lb/>
&#x017F;o hab&#x2019; ich mich unter freiem Himmel ver&#x017F;chwo-<lb/>
ren, weil ich &#x017F;on&#x017F;t um mein Leben wa&#x0364;re gekom-<lb/>
men.&#x201C; Er aber drang in &#x017F;ie und ließ ihr keinen<lb/>
Frieden, &#x201E;will&#x017F;t du mir&#x2019;s nicht erza&#x0364;hlen,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
der alte Ko&#x0364;nig endlich, &#x201E;&#x017F;o darf&#x017F;t du&#x2019;s doch dem<lb/>
Kachelofen erza&#x0364;hlen.&#x201C; &#x201E;Ja, das will ich wohl&#x201C;<lb/>
antwortete &#x017F;ie. Damit mußte &#x017F;ie in den Ofen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0044] wie es Morgens war, ſetzte ſich hinter das fin- ſtere Thor und hoͤrte da, wie ſie mit dem Haupt des Falada ſprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg ſich in einem Buſch auf der Wieſe. Da ſah er nun bald mit ſeinen eigenen Augen, wie die Gaͤnſemagd und der Gaͤn- ſejung die Heerde getrieben brachten und nach ei- ner Weile ſie ſich ſetzte und ihre Haare losflocht, die ſtrahlten von Glanz. Gleich ſprach ſie wieder: weh’! weh’! Windchen, Faß Kuͤrdchen ſein Huͤtchen und laß’n ſich mit jagen, bis daß ich mich geflochten und geſchnatzt und wieder aufgeſatzt. da kam ein Windſtoß und fuhr mit Kuͤrdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kaͤmmte und flocht ihre Locken ſtill fort, welches der alte Koͤnig alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zuruͤck und als Abends die Gaͤnſemagd heim kam, rief er ſie bei Seite und fragte: warum ſie dem allem ſo thaͤte? „das darf ich euch und keinem Menſchen nicht ſagen, denn ſo hab’ ich mich unter freiem Himmel verſchwo- ren, weil ich ſonſt um mein Leben waͤre gekom- men.“ Er aber drang in ſie und ließ ihr keinen Frieden, „willſt du mir’s nicht erzaͤhlen,“ ſagte der alte Koͤnig endlich, „ſo darfſt du’s doch dem Kachelofen erzaͤhlen.“ „Ja, das will ich wohl“ antwortete ſie. Damit mußte ſie in den Ofen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/44
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/44>, abgerufen am 06.10.2024.