Blut." Die Braut fragte, was sie damit meine, da sagte sie: "laßt mich eine Nacht in der Kam- mer schlafen, wo der Prinz schläft." Die Braut wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben, endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war, und der Prinz schon schlief, ward sie in die Kammer geführt, da setzte sie sich ans Bett und sagte: "ich bin dir nachge- folgt sieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und den Winden gewesen und hab' nach dir gefragt, und hab' dir geholfen gegen den Lindwurm, willst du mich denn ganz vergessen?" Der Prinz aber schlief so hart, daß es ihm nur vorkam, als rausche der Wind draußen in den Tannenbäumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder hinausgeführt, und mußte das goldene Kleid hin- geben; und als auch das nichts geholfen hatte, ward sie traurig, ging hinaus auf eine Wiese, setzte sich da hin und weinte. Und wie sie so saß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte und sie schlug es auf: ei! da kam eine Glucke heraus mit zwölf Küchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Flügel, so daß nichts schöneres auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf, trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange bis die Braut aus dem Fenster sah, und da gefiel ihr das kleine Wesen so gut, daß sie gleich herab kam
Blut.“ Die Braut fragte, was ſie damit meine, da ſagte ſie: „laßt mich eine Nacht in der Kam- mer ſchlafen, wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben, endlich willigte ſie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war, und der Prinz ſchon ſchlief, ward ſie in die Kammer gefuͤhrt, da ſetzte ſie ſich ans Bett und ſagte: „ich bin dir nachge- folgt ſieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und den Winden geweſen und hab’ nach dir gefragt, und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willſt du mich denn ganz vergeſſen?“ Der Prinz aber ſchlief ſo hart, daß es ihm nur vorkam, als rauſche der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward ſie wieder hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hin- geben; und als auch das nichts geholfen hatte, ward ſie traurig, ging hinaus auf eine Wieſe, ſetzte ſich da hin und weinte. Und wie ſie ſo ſaß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte und ſie ſchlug es auf: ei! da kam eine Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Fluͤgel, ſo daß nichts ſchoͤneres auf der Welt zu ſehen war. Da ſtand ſie auf, trieb ſie auf der Wieſe vor ſich her, ſo lange bis die Braut aus dem Fenſter ſah, und da gefiel ihr das kleine Weſen ſo gut, daß ſie gleich herab kam
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0035"n="14"/>
Blut.“ Die Braut fragte, was ſie damit meine,<lb/>
da ſagte ſie: „laßt mich eine Nacht in der Kam-<lb/>
mer ſchlafen, wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut<lb/>
wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben,<lb/>
endlich willigte ſie ein, aber der Kammerdiener<lb/>
mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben.<lb/>
Als es nun Nacht war, und der Prinz ſchon<lb/>ſchlief, ward ſie in die Kammer gefuͤhrt, da ſetzte<lb/>ſie ſich ans Bett und ſagte: „ich bin dir nachge-<lb/>
folgt ſieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und<lb/>
den Winden geweſen und hab’ nach dir gefragt,<lb/>
und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willſt<lb/>
du mich denn ganz vergeſſen?“ Der Prinz aber<lb/>ſchlief ſo hart, daß es ihm nur vorkam, als rauſche<lb/>
der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie<lb/>
nun der Morgen anbrach, da ward ſie wieder<lb/>
hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hin-<lb/>
geben; und als auch das nichts geholfen hatte,<lb/>
ward ſie traurig, ging hinaus auf eine Wieſe,<lb/>ſetzte ſich da hin und weinte. Und wie ſie ſo ſaß,<lb/>
da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond<lb/>
gegeben hatte und ſie ſchlug es auf: ei! da kam eine<lb/>
Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold,<lb/>
die liefen herum und piepten und krochen der Alten<lb/>
wieder unter die Fluͤgel, ſo daß nichts ſchoͤneres<lb/>
auf der Welt zu ſehen war. Da ſtand ſie auf,<lb/>
trieb ſie auf der Wieſe vor ſich her, ſo lange bis<lb/>
die Braut aus dem Fenſter ſah, und da gefiel ihr<lb/>
das kleine Weſen ſo gut, daß ſie gleich herab kam<lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0035]
Blut.“ Die Braut fragte, was ſie damit meine,
da ſagte ſie: „laßt mich eine Nacht in der Kam-
mer ſchlafen, wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut
wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben,
endlich willigte ſie ein, aber der Kammerdiener
mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben.
Als es nun Nacht war, und der Prinz ſchon
ſchlief, ward ſie in die Kammer gefuͤhrt, da ſetzte
ſie ſich ans Bett und ſagte: „ich bin dir nachge-
folgt ſieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und
den Winden geweſen und hab’ nach dir gefragt,
und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willſt
du mich denn ganz vergeſſen?“ Der Prinz aber
ſchlief ſo hart, daß es ihm nur vorkam, als rauſche
der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie
nun der Morgen anbrach, da ward ſie wieder
hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hin-
geben; und als auch das nichts geholfen hatte,
ward ſie traurig, ging hinaus auf eine Wieſe,
ſetzte ſich da hin und weinte. Und wie ſie ſo ſaß,
da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond
gegeben hatte und ſie ſchlug es auf: ei! da kam eine
Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold,
die liefen herum und piepten und krochen der Alten
wieder unter die Fluͤgel, ſo daß nichts ſchoͤneres
auf der Welt zu ſehen war. Da ſtand ſie auf,
trieb ſie auf der Wieſe vor ſich her, ſo lange bis
die Braut aus dem Fenſter ſah, und da gefiel ihr
das kleine Weſen ſo gut, daß ſie gleich herab kam
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/35>, abgerufen am 07.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.