Fleisch, es ist aber noch roh. Da spricht der jüng- ste: "geht ihr beyde und schafft einen Trank, ich will derweil das Fleisch braten." Also steckt er den Bra- ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, steht auf einmal ein Erdmännchen neben ihm mit einem lan- gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an Händen und Füßen. "Laß mich beim Feuer meine Glieder wärmen, so will ich dafür den Braten wen- den und mit Butter begießen." Der Ritter erlaubt ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber so oft der Ritter wegsieht, steckt es seine Finger in die Bratpfanne und leckt die warme Brühe auf. Der Ritter ertappt es ein paarmal und sagt, es sollts bleiben lassen, aber das kleine Ding kann nicht und ist immer wieder mit dem Finger in der Pfanne. Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmännchen beim Bart und zaust es, daß es ein Zetergeschrei er- hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß mit Wein, den sie im Keller gefunden und nun es- sen und trinken sie zusammen. Am andern Morgen suchen sie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, sa- gen sie, müssen die Königstöchter verborgen seyn, und losen, wer sich soll hinunterlassen, die beiden andern wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den, welcher mit dem Erdmännchen zu thun g[e]habt. Es dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten ists stockfinster, da geht eine Thüre auf und das Erd- männchen, das er am Bart gezogen, kommt und spricht: "ich sollt dir vergelten, was du mir Böses gethan, aber du erbarmst mich, ich bin der König der Erdmännlein, ich will dich aus der Höhle brin- gen, denn wenn du noch einen Augenblick länger bleibst, so ists um dich geschehen." Der Ritter ant- wortet: "sollt ich gleich Todes sterben, so geh ich nicht weg, bis ich weiß, ob die Königstöchter hier versteckt sind." Da spricht es: "sie sind in diesem unterirdischen Stein von dre: Drachen bewacht. In der ersten Höhle sitzt die älteste und ein dreiköpfiger Drache neben ihr, jeden Mittag legt er seine Köpfe in ihren Schoos, da muß sie ihn lausen, bis er ein- geschlafen ist. Vor der Thüre hängt ein Korb, dar- in liegt eine Flöte, eine Ruthe und ein Schwert und die drei Kronen der Königstöchter liegen auch darin,
Fleiſch, es iſt aber noch roh. Da ſpricht der juͤng- ſte: „geht ihr beyde und ſchafft einen Trank, ich will derweil das Fleiſch braten.“ Alſo ſteckt er den Bra- ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, ſteht auf einmal ein Erdmaͤnnchen neben ihm mit einem lan- gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an Haͤnden und Fuͤßen. „Laß mich beim Feuer meine Glieder waͤrmen, ſo will ich dafuͤr den Braten wen- den und mit Butter begießen.“ Der Ritter erlaubt ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber ſo oft der Ritter wegſieht, ſteckt es ſeine Finger in die Bratpfanne und leckt die warme Bruͤhe auf. Der Ritter ertappt es ein paarmal und ſagt, es ſollts bleiben laſſen, aber das kleine Ding kann nicht und iſt immer wieder mit dem Finger in der Pfanne. Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmaͤnnchen beim Bart und zauſt es, daß es ein Zetergeſchrei er- hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß mit Wein, den ſie im Keller gefunden und nun eſ- ſen und trinken ſie zuſammen. Am andern Morgen ſuchen ſie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, ſa- gen ſie, muͤſſen die Koͤnigstoͤchter verborgen ſeyn, und loſen, wer ſich ſoll hinunterlaſſen, die beiden andern wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den, welcher mit dem Erdmaͤnnchen zu thun g[e]habt. Es dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten iſts ſtockfinſter, da geht eine Thuͤre auf und das Erd- maͤnnchen, das er am Bart gezogen, kommt und ſpricht: „ich ſollt dir vergelten, was du mir Boͤſes gethan, aber du erbarmſt mich, ich bin der Koͤnig der Erdmaͤnnlein, ich will dich aus der Hoͤhle brin- gen, denn wenn du noch einen Augenblick laͤnger bleibſt, ſo iſts um dich geſchehen.“ Der Ritter ant- wortet: „ſollt ich gleich Todes ſterben, ſo geh ich nicht weg, bis ich weiß, ob die Koͤnigstoͤchter hier verſteckt ſind.“ Da ſpricht es: „ſie ſind in dieſem unterirdiſchen Stein von dre: Drachen bewacht. In der erſten Hoͤhle ſitzt die aͤlteſte und ein dreikoͤpfiger Drache neben ihr, jeden Mittag legt er ſeine Koͤpfe in ihren Schoos, da muß ſie ihn lauſen, bis er ein- geſchlafen iſt. Vor der Thuͤre haͤngt ein Korb, dar- in liegt eine Floͤte, eine Ruthe und ein Schwert und die drei Kronen der Koͤnigstoͤchter liegen auch darin,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0329"n="X"/>
Fleiſch, es iſt aber noch roh. Da ſpricht der juͤng-<lb/>ſte: „geht ihr beyde und ſchafft einen Trank, ich will<lb/>
derweil das Fleiſch braten.“ Alſo ſteckt er den Bra-<lb/>
ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, ſteht auf<lb/>
einmal ein Erdmaͤnnchen neben ihm mit einem lan-<lb/>
gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an<lb/>
Haͤnden und Fuͤßen. „Laß mich beim Feuer meine<lb/>
Glieder waͤrmen, ſo will ich dafuͤr den Braten wen-<lb/>
den und mit Butter begießen.“ Der Ritter erlaubt<lb/>
ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber ſo oft<lb/>
der Ritter wegſieht, ſteckt es ſeine Finger in die<lb/>
Bratpfanne und leckt die warme Bruͤhe auf. Der<lb/>
Ritter ertappt es ein paarmal und ſagt, es ſollts<lb/>
bleiben laſſen, aber das kleine Ding kann nicht und<lb/>
iſt immer wieder mit dem Finger in der Pfanne.<lb/>
Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmaͤnnchen<lb/>
beim Bart und zauſt es, daß es ein Zetergeſchrei er-<lb/>
hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß<lb/>
mit Wein, den ſie im Keller gefunden und nun eſ-<lb/>ſen und trinken ſie zuſammen. Am andern Morgen<lb/>ſuchen ſie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, ſa-<lb/>
gen ſie, muͤſſen die Koͤnigstoͤchter verborgen ſeyn, und<lb/>
loſen, wer ſich ſoll hinunterlaſſen, die beiden andern<lb/>
wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den,<lb/>
welcher mit dem Erdmaͤnnchen zu thun g<supplied>e</supplied>habt. Es<lb/>
dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten iſts<lb/>ſtockfinſter, da geht eine Thuͤre auf und das Erd-<lb/>
maͤnnchen, das er am Bart gezogen, kommt und<lb/>ſpricht: „ich ſollt dir vergelten, was du mir Boͤſes<lb/>
gethan, aber du erbarmſt mich, ich bin der Koͤnig<lb/>
der Erdmaͤnnlein, ich will dich aus der Hoͤhle brin-<lb/>
gen, denn wenn du noch einen Augenblick laͤnger<lb/>
bleibſt, ſo iſts um dich geſchehen.“ Der Ritter ant-<lb/>
wortet: „ſollt ich gleich Todes ſterben, ſo geh ich<lb/>
nicht weg, bis ich weiß, ob die Koͤnigstoͤchter hier<lb/>
verſteckt ſind.“ Da ſpricht es: „ſie ſind in dieſem<lb/>
unterirdiſchen Stein von dre: Drachen bewacht. In<lb/>
der erſten Hoͤhle ſitzt die aͤlteſte und ein dreikoͤpfiger<lb/>
Drache neben ihr, jeden Mittag legt er ſeine Koͤpfe<lb/>
in ihren Schoos, da muß ſie ihn lauſen, bis er ein-<lb/>
geſchlafen iſt. Vor der Thuͤre haͤngt ein Korb, dar-<lb/>
in liegt eine Floͤte, eine Ruthe und ein Schwert und<lb/>
die drei Kronen der Koͤnigstoͤchter liegen auch darin,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[X/0329]
Fleiſch, es iſt aber noch roh. Da ſpricht der juͤng-
ſte: „geht ihr beyde und ſchafft einen Trank, ich will
derweil das Fleiſch braten.“ Alſo ſteckt er den Bra-
ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, ſteht auf
einmal ein Erdmaͤnnchen neben ihm mit einem lan-
gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an
Haͤnden und Fuͤßen. „Laß mich beim Feuer meine
Glieder waͤrmen, ſo will ich dafuͤr den Braten wen-
den und mit Butter begießen.“ Der Ritter erlaubt
ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber ſo oft
der Ritter wegſieht, ſteckt es ſeine Finger in die
Bratpfanne und leckt die warme Bruͤhe auf. Der
Ritter ertappt es ein paarmal und ſagt, es ſollts
bleiben laſſen, aber das kleine Ding kann nicht und
iſt immer wieder mit dem Finger in der Pfanne.
Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmaͤnnchen
beim Bart und zauſt es, daß es ein Zetergeſchrei er-
hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß
mit Wein, den ſie im Keller gefunden und nun eſ-
ſen und trinken ſie zuſammen. Am andern Morgen
ſuchen ſie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, ſa-
gen ſie, muͤſſen die Koͤnigstoͤchter verborgen ſeyn, und
loſen, wer ſich ſoll hinunterlaſſen, die beiden andern
wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den,
welcher mit dem Erdmaͤnnchen zu thun gehabt. Es
dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten iſts
ſtockfinſter, da geht eine Thuͤre auf und das Erd-
maͤnnchen, das er am Bart gezogen, kommt und
ſpricht: „ich ſollt dir vergelten, was du mir Boͤſes
gethan, aber du erbarmſt mich, ich bin der Koͤnig
der Erdmaͤnnlein, ich will dich aus der Hoͤhle brin-
gen, denn wenn du noch einen Augenblick laͤnger
bleibſt, ſo iſts um dich geſchehen.“ Der Ritter ant-
wortet: „ſollt ich gleich Todes ſterben, ſo geh ich
nicht weg, bis ich weiß, ob die Koͤnigstoͤchter hier
verſteckt ſind.“ Da ſpricht es: „ſie ſind in dieſem
unterirdiſchen Stein von dre: Drachen bewacht. In
der erſten Hoͤhle ſitzt die aͤlteſte und ein dreikoͤpfiger
Drache neben ihr, jeden Mittag legt er ſeine Koͤpfe
in ihren Schoos, da muß ſie ihn lauſen, bis er ein-
geſchlafen iſt. Vor der Thuͤre haͤngt ein Korb, dar-
in liegt eine Floͤte, eine Ruthe und ein Schwert und
die drei Kronen der Koͤnigstoͤchter liegen auch darin,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/329>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.