Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Wasser wieder hinüber, und der Soldat setzte sich
diesmal vornen hin zur ältesten; am Ufer nah-
men sie von ihren Prinzen Abschied und verspra-
chen in der folgenden Nacht wieder zu kommen.
Als sie an der Treppe waren, lief der Soldat
voraus, legte sich ins Bett, und als die Zwölf
langsam und müd' herauf getrippelt kamen,
schnarchte er schon wieder laut, so daß sie spra-
chen: "nun vor dem sind wir sicher." Da tha-
ten sie ihre schönen Kleider aus, hoben sie auf,
stellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und
legten sich nieder. Am andern Morgen wollte
der Soldat nichts sagen, sondern das wunderliche
Wesen noch mehr ansehen, und ging die zweite
und die dritte Nacht wieder mit, und da war al-
les, wie das erstemal, und sie tanzten jedesmal
bis die Schuhe entzwei waren; nur das drittemal
nahm er noch einen Becher mit zum Wahrzeichen.
Zu der Stunde nun, wo er antworten sollte,
nahm er die drei Zweige und den Becher, und
ging vor den König, und die Zwölfe standen hin-
ter der Thüre und horchten, was er sagen würde.
Wie der König nun fragte: "wo haben meine
zwölf Töchter ihre Schuhe in der Nacht ver-
tanzt?" antwortete er: "mit zwölf Prinzen in
einem unterirdischen Schloß," und erzählte alles
und holte die Wahrzeichen hervor. Da rief der
König seine Töchter und fragte sie, ob der Sol-
dat die Wahrheit gesagt hätte, und da sie sahen,

Waſſer wieder hinuͤber, und der Soldat ſetzte ſich
diesmal vornen hin zur aͤlteſten; am Ufer nah-
men ſie von ihren Prinzen Abſchied und verſpra-
chen in der folgenden Nacht wieder zu kommen.
Als ſie an der Treppe waren, lief der Soldat
voraus, legte ſich ins Bett, und als die Zwoͤlf
langſam und muͤd’ herauf getrippelt kamen,
ſchnarchte er ſchon wieder laut, ſo daß ſie ſpra-
chen: „nun vor dem ſind wir ſicher.“ Da tha-
ten ſie ihre ſchoͤnen Kleider aus, hoben ſie auf,
ſtellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und
legten ſich nieder. Am andern Morgen wollte
der Soldat nichts ſagen, ſondern das wunderliche
Weſen noch mehr anſehen, und ging die zweite
und die dritte Nacht wieder mit, und da war al-
les, wie das erſtemal, und ſie tanzten jedesmal
bis die Schuhe entzwei waren; nur das drittemal
nahm er noch einen Becher mit zum Wahrzeichen.
Zu der Stunde nun, wo er antworten ſollte,
nahm er die drei Zweige und den Becher, und
ging vor den Koͤnig, und die Zwoͤlfe ſtanden hin-
ter der Thuͤre und horchten, was er ſagen wuͤrde.
Wie der Koͤnig nun fragte: „wo haben meine
zwoͤlf Toͤchter ihre Schuhe in der Nacht ver-
tanzt?“ antwortete er: „mit zwoͤlf Prinzen in
einem unterirdiſchen Schloß,“ und erzaͤhlte alles
und holte die Wahrzeichen hervor. Da rief der
Koͤnig ſeine Toͤchter und fragte ſie, ob der Sol-
dat die Wahrheit geſagt haͤtte, und da ſie ſahen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="244"/>
Wa&#x017F;&#x017F;er wieder hinu&#x0364;ber, und der Soldat &#x017F;etzte &#x017F;ich<lb/>
diesmal vornen hin zur a&#x0364;lte&#x017F;ten; am Ufer nah-<lb/>
men &#x017F;ie von ihren Prinzen Ab&#x017F;chied und ver&#x017F;pra-<lb/>
chen in der folgenden Nacht wieder zu kommen.<lb/>
Als &#x017F;ie an der Treppe waren, lief der Soldat<lb/>
voraus, legte &#x017F;ich ins Bett, und als die Zwo&#x0364;lf<lb/>
lang&#x017F;am und mu&#x0364;d&#x2019; herauf getrippelt kamen,<lb/>
&#x017F;chnarchte er &#x017F;chon wieder laut, &#x017F;o daß &#x017F;ie &#x017F;pra-<lb/>
chen: &#x201E;nun vor dem &#x017F;ind wir &#x017F;icher.&#x201C; Da tha-<lb/>
ten &#x017F;ie ihre &#x017F;cho&#x0364;nen Kleider aus, hoben &#x017F;ie auf,<lb/>
&#x017F;tellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und<lb/>
legten &#x017F;ich nieder. Am andern Morgen wollte<lb/>
der Soldat nichts &#x017F;agen, &#x017F;ondern das wunderliche<lb/>
We&#x017F;en noch mehr an&#x017F;ehen, und ging die zweite<lb/>
und die dritte Nacht wieder mit, und da war al-<lb/>
les, wie das er&#x017F;temal, und &#x017F;ie tanzten jedesmal<lb/>
bis die Schuhe entzwei waren; nur das drittemal<lb/>
nahm er noch einen Becher mit zum Wahrzeichen.<lb/>
Zu der Stunde nun, wo er antworten &#x017F;ollte,<lb/>
nahm er die drei Zweige und den Becher, und<lb/>
ging vor den Ko&#x0364;nig, und die Zwo&#x0364;lfe &#x017F;tanden hin-<lb/>
ter der Thu&#x0364;re und horchten, was er &#x017F;agen wu&#x0364;rde.<lb/>
Wie der Ko&#x0364;nig nun fragte: &#x201E;wo haben meine<lb/>
zwo&#x0364;lf To&#x0364;chter ihre Schuhe in der Nacht ver-<lb/>
tanzt?&#x201C; antwortete er: &#x201E;mit zwo&#x0364;lf Prinzen in<lb/>
einem unterirdi&#x017F;chen Schloß,&#x201C; und erza&#x0364;hlte alles<lb/>
und holte die Wahrzeichen hervor. Da rief der<lb/>
Ko&#x0364;nig &#x017F;eine To&#x0364;chter und fragte &#x017F;ie, ob der Sol-<lb/>
dat die Wahrheit ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte, und da &#x017F;ie &#x017F;ahen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0265] Waſſer wieder hinuͤber, und der Soldat ſetzte ſich diesmal vornen hin zur aͤlteſten; am Ufer nah- men ſie von ihren Prinzen Abſchied und verſpra- chen in der folgenden Nacht wieder zu kommen. Als ſie an der Treppe waren, lief der Soldat voraus, legte ſich ins Bett, und als die Zwoͤlf langſam und muͤd’ herauf getrippelt kamen, ſchnarchte er ſchon wieder laut, ſo daß ſie ſpra- chen: „nun vor dem ſind wir ſicher.“ Da tha- ten ſie ihre ſchoͤnen Kleider aus, hoben ſie auf, ſtellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und legten ſich nieder. Am andern Morgen wollte der Soldat nichts ſagen, ſondern das wunderliche Weſen noch mehr anſehen, und ging die zweite und die dritte Nacht wieder mit, und da war al- les, wie das erſtemal, und ſie tanzten jedesmal bis die Schuhe entzwei waren; nur das drittemal nahm er noch einen Becher mit zum Wahrzeichen. Zu der Stunde nun, wo er antworten ſollte, nahm er die drei Zweige und den Becher, und ging vor den Koͤnig, und die Zwoͤlfe ſtanden hin- ter der Thuͤre und horchten, was er ſagen wuͤrde. Wie der Koͤnig nun fragte: „wo haben meine zwoͤlf Toͤchter ihre Schuhe in der Nacht ver- tanzt?“ antwortete er: „mit zwoͤlf Prinzen in einem unterirdiſchen Schloß,“ und erzaͤhlte alles und holte die Wahrzeichen hervor. Da rief der Koͤnig ſeine Toͤchter und fragte ſie, ob der Sol- dat die Wahrheit geſagt haͤtte, und da ſie ſahen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/265
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/265>, abgerufen am 18.12.2024.