Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

haben!" Sie kamen darauf in einen Baumgang,
wo alle Blätter von Gold, und endlich in einen
dritten, wo sie klarer Demant waren; von beiden
brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal knall-
te, daß die jüngste vor Schrecken zusammen fuhr,
aber die älteste blieb dabei, es wären Freuden-
schüsse. Da gingen sie weiter bis zu einem gro-
ßen Wasser, darauf standen zwölf Schifflein, und
in jedem Schifflein saß ein schöner Prinz, die
hatten auf die zwölfe gewartet, und jeder nahm
eine zu sich, der Soldat aber setzte sich mit der
jüngsten ein, da sprach der Prinz: "ich bin doch
so stark als sonst, aber heute ist das Schiff viel
schwerer, und ich muß rudern, was ich kann." --
"Wovon sollt' das kommen, sprach die jüngste,
als vom warmen Wetter, es ist mir auch so heiß
zu Muth." Jenseits des Wassers aber stand ein
schönes hellleuchtendes Schloß, woraus eine lusti-
ge Musik erschallte von Pauken und Trompeten;
da hinüber ruderten sie, gingen ein, und jeder
Prinz tanzte mit seiner Prinzessin; der Soldat
aber tanzte unsichtbar mit, und wenn eine einen
Becher mit Wein hielt, so trank er ihn aus, daß
er leer war, wenn sie ihn an den Mund brachte;
und der jüngsten ward auch Angst darüber, aber
die älteste brachte sie immer zum Schweigen.
Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen,
wo alle Schuhe durchgetanzt waren, und sie auf-
hören mußten. Die Prinzen fuhren sie über das

Q 2

haben!“ Sie kamen darauf in einen Baumgang,
wo alle Blaͤtter von Gold, und endlich in einen
dritten, wo ſie klarer Demant waren; von beiden
brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal knall-
te, daß die juͤngſte vor Schrecken zuſammen fuhr,
aber die aͤlteſte blieb dabei, es waͤren Freuden-
ſchuͤſſe. Da gingen ſie weiter bis zu einem gro-
ßen Waſſer, darauf ſtanden zwoͤlf Schifflein, und
in jedem Schifflein ſaß ein ſchoͤner Prinz, die
hatten auf die zwoͤlfe gewartet, und jeder nahm
eine zu ſich, der Soldat aber ſetzte ſich mit der
juͤngſten ein, da ſprach der Prinz: „ich bin doch
ſo ſtark als ſonſt, aber heute iſt das Schiff viel
ſchwerer, und ich muß rudern, was ich kann.“ —
„Wovon ſollt’ das kommen, ſprach die juͤngſte,
als vom warmen Wetter, es iſt mir auch ſo heiß
zu Muth.“ Jenſeits des Waſſers aber ſtand ein
ſchoͤnes hellleuchtendes Schloß, woraus eine luſti-
ge Muſik erſchallte von Pauken und Trompeten;
da hinuͤber ruderten ſie, gingen ein, und jeder
Prinz tanzte mit ſeiner Prinzeſſin; der Soldat
aber tanzte unſichtbar mit, und wenn eine einen
Becher mit Wein hielt, ſo trank er ihn aus, daß
er leer war, wenn ſie ihn an den Mund brachte;
und der juͤngſten ward auch Angſt daruͤber, aber
die aͤlteſte brachte ſie immer zum Schweigen.
Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen,
wo alle Schuhe durchgetanzt waren, und ſie auf-
hoͤren mußten. Die Prinzen fuhren ſie uͤber das

Q 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0264" n="243"/>
haben!&#x201C; Sie kamen darauf in einen Baumgang,<lb/>
wo alle Bla&#x0364;tter von Gold, und endlich in einen<lb/>
dritten, wo &#x017F;ie klarer Demant waren; von beiden<lb/>
brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal knall-<lb/>
te, daß die ju&#x0364;ng&#x017F;te vor Schrecken zu&#x017F;ammen fuhr,<lb/>
aber die a&#x0364;lte&#x017F;te blieb dabei, es wa&#x0364;ren Freuden-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Da gingen &#x017F;ie weiter bis zu einem gro-<lb/>
ßen Wa&#x017F;&#x017F;er, darauf &#x017F;tanden zwo&#x0364;lf Schifflein, und<lb/>
in jedem Schifflein &#x017F;aß ein &#x017F;cho&#x0364;ner Prinz, die<lb/>
hatten auf die zwo&#x0364;lfe gewartet, und jeder nahm<lb/>
eine zu &#x017F;ich, der Soldat aber &#x017F;etzte &#x017F;ich mit der<lb/>
ju&#x0364;ng&#x017F;ten ein, da &#x017F;prach der Prinz: &#x201E;ich bin doch<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tark als &#x017F;on&#x017F;t, aber heute i&#x017F;t das Schiff viel<lb/>
&#x017F;chwerer, und ich muß rudern, was ich kann.&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Wovon &#x017F;ollt&#x2019; das kommen, &#x017F;prach die ju&#x0364;ng&#x017F;te,<lb/>
als vom warmen Wetter, es i&#x017F;t mir auch &#x017F;o heiß<lb/>
zu Muth.&#x201C; Jen&#x017F;eits des Wa&#x017F;&#x017F;ers aber &#x017F;tand ein<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nes hellleuchtendes Schloß, woraus eine lu&#x017F;ti-<lb/>
ge Mu&#x017F;ik er&#x017F;challte von Pauken und Trompeten;<lb/>
da hinu&#x0364;ber ruderten &#x017F;ie, gingen ein, und jeder<lb/>
Prinz tanzte mit &#x017F;einer Prinze&#x017F;&#x017F;in; der Soldat<lb/>
aber tanzte un&#x017F;ichtbar mit, und wenn eine einen<lb/>
Becher mit Wein hielt, &#x017F;o trank er ihn aus, daß<lb/>
er leer war, wenn &#x017F;ie ihn an den Mund brachte;<lb/>
und der ju&#x0364;ng&#x017F;ten ward auch Ang&#x017F;t daru&#x0364;ber, aber<lb/>
die a&#x0364;lte&#x017F;te brachte &#x017F;ie immer zum Schweigen.<lb/>
Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen,<lb/>
wo alle Schuhe durchgetanzt waren, und &#x017F;ie auf-<lb/>
ho&#x0364;ren mußten. Die Prinzen fuhren &#x017F;ie u&#x0364;ber das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0264] haben!“ Sie kamen darauf in einen Baumgang, wo alle Blaͤtter von Gold, und endlich in einen dritten, wo ſie klarer Demant waren; von beiden brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal knall- te, daß die juͤngſte vor Schrecken zuſammen fuhr, aber die aͤlteſte blieb dabei, es waͤren Freuden- ſchuͤſſe. Da gingen ſie weiter bis zu einem gro- ßen Waſſer, darauf ſtanden zwoͤlf Schifflein, und in jedem Schifflein ſaß ein ſchoͤner Prinz, die hatten auf die zwoͤlfe gewartet, und jeder nahm eine zu ſich, der Soldat aber ſetzte ſich mit der juͤngſten ein, da ſprach der Prinz: „ich bin doch ſo ſtark als ſonſt, aber heute iſt das Schiff viel ſchwerer, und ich muß rudern, was ich kann.“ — „Wovon ſollt’ das kommen, ſprach die juͤngſte, als vom warmen Wetter, es iſt mir auch ſo heiß zu Muth.“ Jenſeits des Waſſers aber ſtand ein ſchoͤnes hellleuchtendes Schloß, woraus eine luſti- ge Muſik erſchallte von Pauken und Trompeten; da hinuͤber ruderten ſie, gingen ein, und jeder Prinz tanzte mit ſeiner Prinzeſſin; der Soldat aber tanzte unſichtbar mit, und wenn eine einen Becher mit Wein hielt, ſo trank er ihn aus, daß er leer war, wenn ſie ihn an den Mund brachte; und der juͤngſten ward auch Angſt daruͤber, aber die aͤlteſte brachte ſie immer zum Schweigen. Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen, wo alle Schuhe durchgetanzt waren, und ſie auf- hoͤren mußten. Die Prinzen fuhren ſie uͤber das Q 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/264
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/264>, abgerufen am 20.05.2024.