Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

an eine zerfallene Klippe kommen, die aussieht
wie ein Häuschen." Die zwei traurigen dachten,
das wird uns doch nicht retten und blieben vor
dem Wald, der dritte lustige machte sich auf und
fand alles so, wie die Frau gesagt hatte; in dem
Häuschen aber saß eine steinalte Frau, die war
des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher
er käme und was er wollte? Da erzählte er ihr
alles und weil er ein gar schöner Mensch war,
hatte sie Erbarmen und hob einen großen Stein
auf. "Darunter sitz ganz still, wann der Drache
kommt, will ich ihn um die Räthsel fragen." Um
zwölf Uhr Nachts kam der Drache geflogen und
wollte sein Essen, da deckte ihm seine Großmutter
den Tisch und trug Trank und Speise auf, daß
er vergnügt war, und sie aßen und tranken zusam-
men. Da fragte sie ihn im Gespräch, wie's den
Tag ergangen wäre, wie viel Seelen er kriegt
hätte? "Ich hab' noch drei Soldaten, die sind
mein," sprach er. "Ja, drei Soldaten, sagte sie,
haben etwas an sich, die können dir noch entkom-
men." Sprach der Teufel höhnisch: "die sind
mir gewiß, denen gebe ich ein Räthsel auf, das
sie nimmermehr rathen können." "Was ist das
für ein Räthsel?" fragte sie. "Das will ich dir
sagen: in der großen Nordsee liegt eine todte
Meerkatze, das soll ihr Braten seyn; und von
einem Wallfisch die Rippe, das soll ihr silberner
Löffel seyn; und ein alter Pferdefuß, das soll ihr

an eine zerfallene Klippe kommen, die ausſieht
wie ein Haͤuschen.“ Die zwei traurigen dachten,
das wird uns doch nicht retten und blieben vor
dem Wald, der dritte luſtige machte ſich auf und
fand alles ſo, wie die Frau geſagt hatte; in dem
Haͤuschen aber ſaß eine ſteinalte Frau, die war
des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher
er kaͤme und was er wollte? Da erzaͤhlte er ihr
alles und weil er ein gar ſchoͤner Menſch war,
hatte ſie Erbarmen und hob einen großen Stein
auf. „Darunter ſitz ganz ſtill, wann der Drache
kommt, will ich ihn um die Raͤthſel fragen.“ Um
zwoͤlf Uhr Nachts kam der Drache geflogen und
wollte ſein Eſſen, da deckte ihm ſeine Großmutter
den Tiſch und trug Trank und Speiſe auf, daß
er vergnuͤgt war, und ſie aßen und tranken zuſam-
men. Da fragte ſie ihn im Geſpraͤch, wie’s den
Tag ergangen waͤre, wie viel Seelen er kriegt
haͤtte? „Ich hab’ noch drei Soldaten, die ſind
mein,“ ſprach er. „Ja, drei Soldaten, ſagte ſie,
haben etwas an ſich, die koͤnnen dir noch entkom-
men.“ Sprach der Teufel hoͤhniſch: „die ſind
mir gewiß, denen gebe ich ein Raͤthſel auf, das
ſie nimmermehr rathen koͤnnen.“ „Was iſt das
fuͤr ein Raͤthſel?“ fragte ſie. „Das will ich dir
ſagen: in der großen Nordſee liegt eine todte
Meerkatze, das ſoll ihr Braten ſeyn; und von
einem Wallfiſch die Rippe, das ſoll ihr ſilberner
Loͤffel ſeyn; und ein alter Pferdefuß, das ſoll ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="202"/>
an eine zerfallene Klippe kommen, die aus&#x017F;ieht<lb/>
wie ein Ha&#x0364;uschen.&#x201C; Die zwei traurigen dachten,<lb/>
das wird uns doch nicht retten und blieben vor<lb/>
dem Wald, der dritte lu&#x017F;tige machte &#x017F;ich auf und<lb/>
fand alles &#x017F;o, wie die Frau ge&#x017F;agt hatte; in dem<lb/>
Ha&#x0364;uschen aber &#x017F;aß eine &#x017F;teinalte Frau, die war<lb/>
des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher<lb/>
er ka&#x0364;me und was er wollte? Da erza&#x0364;hlte er ihr<lb/>
alles und weil er ein gar &#x017F;cho&#x0364;ner Men&#x017F;ch war,<lb/>
hatte &#x017F;ie Erbarmen und hob einen großen Stein<lb/>
auf. &#x201E;Darunter &#x017F;itz ganz &#x017F;till, wann der Drache<lb/>
kommt, will ich ihn um die Ra&#x0364;th&#x017F;el fragen.&#x201C; Um<lb/>
zwo&#x0364;lf Uhr Nachts kam der Drache geflogen und<lb/>
wollte &#x017F;ein E&#x017F;&#x017F;en, da deckte ihm &#x017F;eine Großmutter<lb/>
den Ti&#x017F;ch und trug Trank und Spei&#x017F;e auf, daß<lb/>
er vergnu&#x0364;gt war, und &#x017F;ie aßen und tranken zu&#x017F;am-<lb/>
men. Da fragte &#x017F;ie ihn im Ge&#x017F;pra&#x0364;ch, wie&#x2019;s den<lb/>
Tag ergangen wa&#x0364;re, wie viel Seelen er kriegt<lb/>
ha&#x0364;tte? &#x201E;Ich hab&#x2019; noch drei Soldaten, die &#x017F;ind<lb/>
mein,&#x201C; &#x017F;prach er. &#x201E;Ja, drei Soldaten, &#x017F;agte &#x017F;ie,<lb/>
haben etwas an &#x017F;ich, die ko&#x0364;nnen dir noch entkom-<lb/>
men.&#x201C; Sprach der Teufel ho&#x0364;hni&#x017F;ch: &#x201E;die &#x017F;ind<lb/>
mir gewiß, denen gebe ich ein Ra&#x0364;th&#x017F;el auf, das<lb/>
&#x017F;ie nimmermehr rathen ko&#x0364;nnen.&#x201C; &#x201E;Was i&#x017F;t das<lb/>
fu&#x0364;r ein Ra&#x0364;th&#x017F;el?&#x201C; fragte &#x017F;ie. &#x201E;Das will ich dir<lb/>
&#x017F;agen: in der großen Nord&#x017F;ee liegt eine todte<lb/>
Meerkatze, das &#x017F;oll ihr Braten &#x017F;eyn; und von<lb/>
einem Wallfi&#x017F;ch die Rippe, das &#x017F;oll ihr &#x017F;ilberner<lb/>
Lo&#x0364;ffel &#x017F;eyn; und ein alter Pferdefuß, das &#x017F;oll ihr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0223] an eine zerfallene Klippe kommen, die ausſieht wie ein Haͤuschen.“ Die zwei traurigen dachten, das wird uns doch nicht retten und blieben vor dem Wald, der dritte luſtige machte ſich auf und fand alles ſo, wie die Frau geſagt hatte; in dem Haͤuschen aber ſaß eine ſteinalte Frau, die war des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher er kaͤme und was er wollte? Da erzaͤhlte er ihr alles und weil er ein gar ſchoͤner Menſch war, hatte ſie Erbarmen und hob einen großen Stein auf. „Darunter ſitz ganz ſtill, wann der Drache kommt, will ich ihn um die Raͤthſel fragen.“ Um zwoͤlf Uhr Nachts kam der Drache geflogen und wollte ſein Eſſen, da deckte ihm ſeine Großmutter den Tiſch und trug Trank und Speiſe auf, daß er vergnuͤgt war, und ſie aßen und tranken zuſam- men. Da fragte ſie ihn im Geſpraͤch, wie’s den Tag ergangen waͤre, wie viel Seelen er kriegt haͤtte? „Ich hab’ noch drei Soldaten, die ſind mein,“ ſprach er. „Ja, drei Soldaten, ſagte ſie, haben etwas an ſich, die koͤnnen dir noch entkom- men.“ Sprach der Teufel hoͤhniſch: „die ſind mir gewiß, denen gebe ich ein Raͤthſel auf, das ſie nimmermehr rathen koͤnnen.“ „Was iſt das fuͤr ein Raͤthſel?“ fragte ſie. „Das will ich dir ſagen: in der großen Nordſee liegt eine todte Meerkatze, das ſoll ihr Braten ſeyn; und von einem Wallfiſch die Rippe, das ſoll ihr ſilberner Loͤffel ſeyn; und ein alter Pferdefuß, das ſoll ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/223
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/223>, abgerufen am 19.12.2024.