Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

antwortete das Häslein, 'ich will dir gehorchen wie ein Schüler seinem Meister.' Sie giengen ein Stück Wegs zusammen, bis sie zu einer lichten Stelle im Wald kamen, wo ein Espenbaum stand. Der Spielmann band dem Häschen einen langen Bindfaden um den Hals, wovon er das andere Ende an den Baum knüpfte. 'Munter, Häschen, jetzt spring mir zwanzigmal um den Baum herum,' rief der Spielmann, und das Häschen gehorchte, und wie es zwanzigmal herumgelaufen war, so hatte sich der Bindfaden zwanzigmal um den Stamm gewickelt, und das Häschen war gefangen, und es mochte ziehen und zerren wie es wollte, es schnitt sich nur den Faden in den weichen Hals. 'Warte da so lange bis ich wiederkomme,' sprach der Spielmann und gieng weiter.

Der Wolf indessen hatte gerückt, gezogen, an dem Stein gebissen, und so lange gearbeitet, bis er die Pfoten frei gemacht und wieder aus der Spalte gezogen hatte. Voll Zorn und Wuth eilte er hinter dem Spielmann her, und wollte ihn zerreißen. Als ihn der Fuchs laufen sah, fieng er an zu jammern, und schrie aus Leibeskräften 'Bruder Wolf, komm mir zur Hilfe, der Spielmann hat mich betrogen.' Der Wolf zog die Bäumchen herab, biß die Schnüre entzwei und machte den Fuchs frei, der mit ihm gieng und an dem Spielmann Rache nehmen wollte. Sie fanden das gebundene Häschen, das sie ebenfalls erlösten, und dann suchten alle zusammen ihren Feind auf.

Der Spielmann hatte auf seinem Weg abermals seine Fidel erklingen lassen, und diesmal war er glücklicher gewesen. Die Töne drangen zu den Ohren eines armen Holzhauers, der alsbald, er mochte wollen oder nicht, von der Arbeit abließ, und mit dem Beil unter dem Arme heran kam die Musik zu hören. 'Endlich kommt doch der rechte Geselle,' sagte der Spielmann, 'denn einen Menschen suchte ich und keine wilden Thiere.' Und fieng an und spielte so schön und lieblich, daß der arme Mann wie bezaubert

antwortete das Häslein, ‘ich will dir gehorchen wie ein Schüler seinem Meister.’ Sie giengen ein Stück Wegs zusammen, bis sie zu einer lichten Stelle im Wald kamen, wo ein Espenbaum stand. Der Spielmann band dem Häschen einen langen Bindfaden um den Hals, wovon er das andere Ende an den Baum knüpfte. ‘Munter, Häschen, jetzt spring mir zwanzigmal um den Baum herum,’ rief der Spielmann, und das Häschen gehorchte, und wie es zwanzigmal herumgelaufen war, so hatte sich der Bindfaden zwanzigmal um den Stamm gewickelt, und das Häschen war gefangen, und es mochte ziehen und zerren wie es wollte, es schnitt sich nur den Faden in den weichen Hals. ‘Warte da so lange bis ich wiederkomme,’ sprach der Spielmann und gieng weiter.

Der Wolf indessen hatte gerückt, gezogen, an dem Stein gebissen, und so lange gearbeitet, bis er die Pfoten frei gemacht und wieder aus der Spalte gezogen hatte. Voll Zorn und Wuth eilte er hinter dem Spielmann her, und wollte ihn zerreißen. Als ihn der Fuchs laufen sah, fieng er an zu jammern, und schrie aus Leibeskräften ‘Bruder Wolf, komm mir zur Hilfe, der Spielmann hat mich betrogen.’ Der Wolf zog die Bäumchen herab, biß die Schnüre entzwei und machte den Fuchs frei, der mit ihm gieng und an dem Spielmann Rache nehmen wollte. Sie fanden das gebundene Häschen, das sie ebenfalls erlösten, und dann suchten alle zusammen ihren Feind auf.

Der Spielmann hatte auf seinem Weg abermals seine Fidel erklingen lassen, und diesmal war er glücklicher gewesen. Die Töne drangen zu den Ohren eines armen Holzhauers, der alsbald, er mochte wollen oder nicht, von der Arbeit abließ, und mit dem Beil unter dem Arme heran kam die Musik zu hören. ‘Endlich kommt doch der rechte Geselle,’ sagte der Spielmann, ‘denn einen Menschen suchte ich und keine wilden Thiere.’ Und fieng an und spielte so schön und lieblich, daß der arme Mann wie bezaubert

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="46"/>
antwortete das Häslein, &#x2018;ich will dir gehorchen wie ein Schüler seinem Meister.&#x2019; Sie giengen ein Stück Wegs zusammen, bis sie zu einer lichten Stelle im Wald kamen, wo ein Espenbaum stand. Der Spielmann band dem Häschen einen langen Bindfaden um den Hals, wovon er das andere Ende an den Baum knüpfte. &#x2018;Munter, Häschen, jetzt spring mir zwanzigmal um den Baum herum,&#x2019; rief der Spielmann, und das Häschen gehorchte, und wie es zwanzigmal herumgelaufen war, so hatte sich der Bindfaden zwanzigmal um den Stamm gewickelt, und das Häschen war gefangen, und es mochte ziehen und zerren wie es wollte, es schnitt sich nur den Faden in den weichen Hals. &#x2018;Warte da so lange bis ich wiederkomme,&#x2019; sprach der Spielmann und gieng weiter.</p><lb/>
        <p>Der Wolf indessen hatte gerückt, gezogen, an dem Stein gebissen, und so lange gearbeitet, bis er die Pfoten frei gemacht und wieder aus der Spalte gezogen hatte. Voll Zorn und Wuth eilte er hinter dem Spielmann her, und wollte ihn zerreißen. Als ihn der Fuchs laufen sah, fieng er an zu jammern, und schrie aus Leibeskräften &#x2018;Bruder Wolf, komm mir zur Hilfe, der Spielmann hat mich betrogen.&#x2019; Der Wolf zog die Bäumchen herab, biß die Schnüre entzwei und machte den Fuchs frei, der mit ihm gieng und an dem Spielmann Rache nehmen wollte. Sie fanden das gebundene Häschen, das sie ebenfalls erlösten, und dann suchten alle zusammen ihren Feind auf.</p><lb/>
        <p>Der Spielmann hatte auf seinem Weg abermals seine Fidel erklingen lassen, und diesmal war er glücklicher gewesen. Die Töne drangen zu den Ohren eines armen Holzhauers, der alsbald, er mochte wollen oder nicht, von der Arbeit abließ, und mit dem Beil unter dem Arme heran kam die Musik zu hören. &#x2018;Endlich kommt doch der rechte Geselle,&#x2019; sagte der Spielmann, &#x2018;denn einen Menschen suchte ich und keine wilden Thiere.&#x2019; Und fieng an und spielte so schön und lieblich, daß der arme Mann wie bezaubert
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0079] antwortete das Häslein, ‘ich will dir gehorchen wie ein Schüler seinem Meister.’ Sie giengen ein Stück Wegs zusammen, bis sie zu einer lichten Stelle im Wald kamen, wo ein Espenbaum stand. Der Spielmann band dem Häschen einen langen Bindfaden um den Hals, wovon er das andere Ende an den Baum knüpfte. ‘Munter, Häschen, jetzt spring mir zwanzigmal um den Baum herum,’ rief der Spielmann, und das Häschen gehorchte, und wie es zwanzigmal herumgelaufen war, so hatte sich der Bindfaden zwanzigmal um den Stamm gewickelt, und das Häschen war gefangen, und es mochte ziehen und zerren wie es wollte, es schnitt sich nur den Faden in den weichen Hals. ‘Warte da so lange bis ich wiederkomme,’ sprach der Spielmann und gieng weiter. Der Wolf indessen hatte gerückt, gezogen, an dem Stein gebissen, und so lange gearbeitet, bis er die Pfoten frei gemacht und wieder aus der Spalte gezogen hatte. Voll Zorn und Wuth eilte er hinter dem Spielmann her, und wollte ihn zerreißen. Als ihn der Fuchs laufen sah, fieng er an zu jammern, und schrie aus Leibeskräften ‘Bruder Wolf, komm mir zur Hilfe, der Spielmann hat mich betrogen.’ Der Wolf zog die Bäumchen herab, biß die Schnüre entzwei und machte den Fuchs frei, der mit ihm gieng und an dem Spielmann Rache nehmen wollte. Sie fanden das gebundene Häschen, das sie ebenfalls erlösten, und dann suchten alle zusammen ihren Feind auf. Der Spielmann hatte auf seinem Weg abermals seine Fidel erklingen lassen, und diesmal war er glücklicher gewesen. Die Töne drangen zu den Ohren eines armen Holzhauers, der alsbald, er mochte wollen oder nicht, von der Arbeit abließ, und mit dem Beil unter dem Arme heran kam die Musik zu hören. ‘Endlich kommt doch der rechte Geselle,’ sagte der Spielmann, ‘denn einen Menschen suchte ich und keine wilden Thiere.’ Und fieng an und spielte so schön und lieblich, daß der arme Mann wie bezaubert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (University of Oxford, Taylor Institution Library): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/79
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/79>, abgerufen am 24.11.2024.