Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

gewordene überzeugt schon daß derselbe Glaube an das gute Volk, wie man aus Scheu sie zu verletzen die Elfen nennt, Geltung hat und gleiche oder ähnliche Märchen umgehen.

Jn nahem Verwandtschaftsgrade mit den irischen stehen die Märchen der Armorikaner in der Bretagne, nur daß sie, nicht abgeschlossen wie jene, dem Einfluß benachbarter Länder zugänglich waren. Jn der Sammlung von Souvestre (S. 180) findet sich ein Beispiel (vergl. Croker 1, 23), wo Übereinstimmung und Abweichung das Gemeinsame wie das Unabhängige auf beiden Seiten darthun. Der Verkehr mit dem kleinen Volk macht auch hier den Hauptinhalt aus, doch nicht ausschließlich: das Märchen wie der alberne Peronnik die mächtigsten Zauberer überlistet und zu den höchsten Ehren gelangt, hat schon eine verschiedene Färbung, und wenn der Teufel dem Heiland begegnet und von ihm die Erlaubnis erhält auf einen Tag in der Gestalt eines Geistlichen sich den Menschen zu zeigen, so gehört das in einen ganz andern Kreiß. Jch will noch anmerken, daß in einem armorikanischen Volkslied (Barzaz-Breiz von Villemarque 1, 50) das Märchen von dem Wechselbalg in ziemlicher Übereinstimmung mit dem deutschen (Nr 39, III) erzählt wird.

Jch springe über nach Osten zu den slavischen Völkern, bei denen der Zusammenhang mit dem deutschen Stamm entschieden hervor tritt. Die sechs slavonischen Märchen, die wir kennen, sind ihrem Jnhalt nach nicht ausgezeichnet, wobei noch die gedehnte, wenig belebte Erzählung nachtheilig wirkt. Sie zeigen Verwandtschaft mit ungarischen und deutschen, im ganzen aber geringe Eigenthümlichkeit. Das letzte, der kleine Kerza, verbindet das deutsche Märchen von Daumesdick (Nr 37) mit dem sonst weit abliegenden vom starken Hans (Nr 116), fügt aber zu jenem einige neue Züge. Auszeichnen muß ich aber ein Lügenmärchen, das vollständiger

gewordene überzeugt schon daß derselbe Glaube an das gute Volk, wie man aus Scheu sie zu verletzen die Elfen nennt, Geltung hat und gleiche oder ähnliche Märchen umgehen.

Jn nahem Verwandtschaftsgrade mit den irischen stehen die Märchen der Armorikaner in der Bretagne, nur daß sie, nicht abgeschlossen wie jene, dem Einfluß benachbarter Länder zugänglich waren. Jn der Sammlung von Souvestre (S. 180) findet sich ein Beispiel (vergl. Croker 1, 23), wo Übereinstimmung und Abweichung das Gemeinsame wie das Unabhängige auf beiden Seiten darthun. Der Verkehr mit dem kleinen Volk macht auch hier den Hauptinhalt aus, doch nicht ausschließlich: das Märchen wie der alberne Peronnik die mächtigsten Zauberer überlistet und zu den höchsten Ehren gelangt, hat schon eine verschiedene Färbung, und wenn der Teufel dem Heiland begegnet und von ihm die Erlaubnis erhält auf einen Tag in der Gestalt eines Geistlichen sich den Menschen zu zeigen, so gehört das in einen ganz andern Kreiß. Jch will noch anmerken, daß in einem armorikanischen Volkslied (Barzaz-Breiz von Villemarqué 1, 50) das Märchen von dem Wechselbalg in ziemlicher Übereinstimmung mit dem deutschen (Nr 39, III) erzählt wird.

Jch springe über nach Osten zu den slavischen Völkern, bei denen der Zusammenhang mit dem deutschen Stamm entschieden hervor tritt. Die sechs slavonischen Märchen, die wir kennen, sind ihrem Jnhalt nach nicht ausgezeichnet, wobei noch die gedehnte, wenig belebte Erzählung nachtheilig wirkt. Sie zeigen Verwandtschaft mit ungarischen und deutschen, im ganzen aber geringe Eigenthümlichkeit. Das letzte, der kleine Kerza, verbindet das deutsche Märchen von Daumesdick (Nr 37) mit dem sonst weit abliegenden vom starken Hans (Nr 116), fügt aber zu jenem einige neue Züge. Auszeichnen muß ich aber ein Lügenmärchen, das vollständiger

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0056" n="L"/>
gewordene überzeugt schon daß derselbe Glaube an das gute Volk, wie man aus Scheu sie zu verletzen die Elfen nennt, Geltung hat und gleiche oder ähnliche Märchen umgehen.</p><lb/>
        <p>Jn nahem Verwandtschaftsgrade mit den irischen stehen die Märchen der <hi rendition="#g">Armorikaner</hi> in der <hi rendition="#g">Bretagne</hi>, nur daß sie, nicht abgeschlossen wie jene, dem Einfluß benachbarter Länder zugänglich waren. Jn der Sammlung von Souvestre (S. 180) findet sich ein Beispiel (vergl. Croker 1, 23), wo Übereinstimmung und Abweichung das Gemeinsame wie das Unabhängige auf beiden Seiten darthun. Der Verkehr mit dem kleinen Volk macht auch hier den Hauptinhalt aus, doch nicht ausschließlich: das Märchen wie der alberne Peronnik die mächtigsten Zauberer überlistet und zu den höchsten Ehren gelangt, hat schon eine verschiedene Färbung, und wenn der Teufel dem Heiland begegnet und von ihm die Erlaubnis erhält auf einen Tag in der Gestalt eines Geistlichen sich den Menschen zu zeigen, so gehört das in einen ganz andern Kreiß. Jch will noch anmerken, daß in einem armorikanischen Volkslied (Barzaz-Breiz von Villemarqué 1, 50) das Märchen von dem Wechselbalg in ziemlicher Übereinstimmung mit dem deutschen (Nr 39, <hi rendition="#aq">III</hi>) erzählt wird.</p><lb/>
        <p>Jch springe über nach Osten zu den slavischen Völkern, bei denen der Zusammenhang mit dem deutschen Stamm entschieden hervor tritt. Die sechs <hi rendition="#g">slavonischen</hi> Märchen, die wir kennen, sind ihrem Jnhalt nach nicht ausgezeichnet, wobei noch die gedehnte, wenig belebte Erzählung nachtheilig wirkt. Sie zeigen Verwandtschaft mit ungarischen und deutschen, im ganzen aber geringe Eigenthümlichkeit. Das letzte, der kleine Kerza, verbindet das deutsche Märchen von Daumesdick (Nr 37) mit dem sonst weit abliegenden vom starken Hans (Nr 116), fügt aber zu jenem einige neue Züge. Auszeichnen muß ich aber ein Lügenmärchen, das vollständiger
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[L/0056] gewordene überzeugt schon daß derselbe Glaube an das gute Volk, wie man aus Scheu sie zu verletzen die Elfen nennt, Geltung hat und gleiche oder ähnliche Märchen umgehen. Jn nahem Verwandtschaftsgrade mit den irischen stehen die Märchen der Armorikaner in der Bretagne, nur daß sie, nicht abgeschlossen wie jene, dem Einfluß benachbarter Länder zugänglich waren. Jn der Sammlung von Souvestre (S. 180) findet sich ein Beispiel (vergl. Croker 1, 23), wo Übereinstimmung und Abweichung das Gemeinsame wie das Unabhängige auf beiden Seiten darthun. Der Verkehr mit dem kleinen Volk macht auch hier den Hauptinhalt aus, doch nicht ausschließlich: das Märchen wie der alberne Peronnik die mächtigsten Zauberer überlistet und zu den höchsten Ehren gelangt, hat schon eine verschiedene Färbung, und wenn der Teufel dem Heiland begegnet und von ihm die Erlaubnis erhält auf einen Tag in der Gestalt eines Geistlichen sich den Menschen zu zeigen, so gehört das in einen ganz andern Kreiß. Jch will noch anmerken, daß in einem armorikanischen Volkslied (Barzaz-Breiz von Villemarqué 1, 50) das Märchen von dem Wechselbalg in ziemlicher Übereinstimmung mit dem deutschen (Nr 39, III) erzählt wird. Jch springe über nach Osten zu den slavischen Völkern, bei denen der Zusammenhang mit dem deutschen Stamm entschieden hervor tritt. Die sechs slavonischen Märchen, die wir kennen, sind ihrem Jnhalt nach nicht ausgezeichnet, wobei noch die gedehnte, wenig belebte Erzählung nachtheilig wirkt. Sie zeigen Verwandtschaft mit ungarischen und deutschen, im ganzen aber geringe Eigenthümlichkeit. Das letzte, der kleine Kerza, verbindet das deutsche Märchen von Daumesdick (Nr 37) mit dem sonst weit abliegenden vom starken Hans (Nr 116), fügt aber zu jenem einige neue Züge. Auszeichnen muß ich aber ein Lügenmärchen, das vollständiger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/56
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. L. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/56>, abgerufen am 07.05.2024.