Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Menschenthränen, endlich ein Fläschchen mit seinem Blut und ein anderes mit dem Blut seines Sohns. Als der König die Antwort vernimmt, erklärt er sich bereit in alle Bedingungen einzugehen, nur gegen das Aderlassen empfinde er Abneigung.

Die zahlreichen Märchen der Betschuanen in Südafrika sind zwar gesammelt aber erst wenige davon mitgetheilt worden, so erwünscht ihre Bekanntmachung wäre; sie scheinen in jeder Beziehung werthvoll. Eins davon erzählt wie zwei Brüder ausziehen ihr Glück zu versuchen. Der jüngere gewinnt einem Riesen eine große Herde Kühe ab, in welcher sich eine befindet, die weiß ist wie der gefallene Schnee. Er kommt mit dem älteren Bruder wieder zusammen, der nur eine Herde Hunde erworben hat. Dieser verlangt jetzt die weiße Kuh, und als sie ihm versagt wird, ermordet er hinterlistig den jüngeren bei einem Brunnen. Alsbald sitzt auf dem Horn der weißen Kuh ein Vöglein und verkündigt was geschehen ist. Der Mörder zerschmettert das Vöglein mit einem Steinwurf, aber es erscheint wieder auf dem Horn. Er tödtet es abermals, verbrennt es und zerstreut seine Asche in den Wind. Das Vöglein zeigt sich zum drittenmal und spricht 'ich bin das Herz des Getödteten: mein Leichnam ist bei der Quelle in der Wüste.' Es gleicht dem dreimal wiederkehrenden, die Unthat verrathenden Vöglein im Machandelbaum (Nr 47), aber noch mehr dem singenden Knochen (Nr 28), wo die Ereignisse fast dieselben sind. Eine andere Erzählung liefert ein merkwürdiges Thiermärchen, in welchem der Hase die Rolle des Fuchses spielt, wenn dieser nicht wirklich gemeint ist und hier nur ein Misverständnis waltet. Er verräth die andern Thiere an den Löwen und überlistet hernach auch diesen, indem er dessen Schweif in Pfählen so verflicht, daß er nicht entrinnen kann und verschmachten muß. Als sich der Hase aber in die Haut des Löwen steckt und die Thiere zitternd ihm Geschenke darbringen,

mit Menschenthränen, endlich ein Fläschchen mit seinem Blut und ein anderes mit dem Blut seines Sohns. Als der König die Antwort vernimmt, erklärt er sich bereit in alle Bedingungen einzugehen, nur gegen das Aderlassen empfinde er Abneigung.

Die zahlreichen Märchen der Betschuanen in Südafrika sind zwar gesammelt aber erst wenige davon mitgetheilt worden, so erwünscht ihre Bekanntmachung wäre; sie scheinen in jeder Beziehung werthvoll. Eins davon erzählt wie zwei Brüder ausziehen ihr Glück zu versuchen. Der jüngere gewinnt einem Riesen eine große Herde Kühe ab, in welcher sich eine befindet, die weiß ist wie der gefallene Schnee. Er kommt mit dem älteren Bruder wieder zusammen, der nur eine Herde Hunde erworben hat. Dieser verlangt jetzt die weiße Kuh, und als sie ihm versagt wird, ermordet er hinterlistig den jüngeren bei einem Brunnen. Alsbald sitzt auf dem Horn der weißen Kuh ein Vöglein und verkündigt was geschehen ist. Der Mörder zerschmettert das Vöglein mit einem Steinwurf, aber es erscheint wieder auf dem Horn. Er tödtet es abermals, verbrennt es und zerstreut seine Asche in den Wind. Das Vöglein zeigt sich zum drittenmal und spricht ‘ich bin das Herz des Getödteten: mein Leichnam ist bei der Quelle in der Wüste.’ Es gleicht dem dreimal wiederkehrenden, die Unthat verrathenden Vöglein im Machandelbaum (Nr 47), aber noch mehr dem singenden Knochen (Nr 28), wo die Ereignisse fast dieselben sind. Eine andere Erzählung liefert ein merkwürdiges Thiermärchen, in welchem der Hase die Rolle des Fuchses spielt, wenn dieser nicht wirklich gemeint ist und hier nur ein Misverständnis waltet. Er verräth die andern Thiere an den Löwen und überlistet hernach auch diesen, indem er dessen Schweif in Pfählen so verflicht, daß er nicht entrinnen kann und verschmachten muß. Als sich der Hase aber in die Haut des Löwen steckt und die Thiere zitternd ihm Geschenke darbringen,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0035" n="XXIX"/>
mit Menschenthränen, endlich ein Fläschchen mit seinem Blut und ein anderes mit dem Blut seines Sohns. Als der König die Antwort vernimmt, erklärt er sich bereit in alle Bedingungen einzugehen, nur gegen das Aderlassen empfinde er Abneigung.</p><lb/>
        <p>Die zahlreichen Märchen der <hi rendition="#g">Betschuanen in Südafrika</hi> sind zwar gesammelt aber erst wenige davon mitgetheilt worden, so erwünscht ihre Bekanntmachung wäre; sie scheinen in jeder Beziehung werthvoll. Eins davon erzählt wie zwei Brüder ausziehen ihr Glück zu versuchen. Der jüngere gewinnt einem Riesen eine große Herde Kühe ab, in welcher sich eine befindet, die weiß ist wie der gefallene Schnee. Er kommt mit dem älteren Bruder wieder zusammen, der nur eine Herde Hunde erworben hat. Dieser verlangt jetzt die weiße Kuh, und als sie ihm versagt wird, ermordet er hinterlistig den jüngeren bei einem Brunnen. Alsbald sitzt auf dem Horn der weißen Kuh ein Vöglein und verkündigt was geschehen ist. Der Mörder zerschmettert das Vöglein mit einem Steinwurf, aber es erscheint wieder auf dem Horn. Er tödtet es abermals, verbrennt es und zerstreut seine Asche in den Wind. Das Vöglein zeigt sich zum drittenmal und spricht &#x2018;ich bin das Herz des Getödteten: mein Leichnam ist bei der Quelle in der Wüste.&#x2019; Es gleicht dem dreimal wiederkehrenden, die Unthat verrathenden Vöglein im Machandelbaum (Nr 47), aber noch mehr dem singenden Knochen (Nr 28), wo die Ereignisse fast dieselben sind. Eine andere Erzählung liefert ein merkwürdiges Thiermärchen, in welchem der Hase die Rolle des Fuchses spielt, wenn dieser nicht wirklich gemeint ist und hier nur ein Misverständnis waltet. Er verräth die andern Thiere an den Löwen und überlistet hernach auch diesen, indem er dessen Schweif in Pfählen so verflicht, daß er nicht entrinnen kann und verschmachten muß. Als sich der Hase aber in die Haut des Löwen steckt und die Thiere zitternd ihm Geschenke darbringen,
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXIX/0035] mit Menschenthränen, endlich ein Fläschchen mit seinem Blut und ein anderes mit dem Blut seines Sohns. Als der König die Antwort vernimmt, erklärt er sich bereit in alle Bedingungen einzugehen, nur gegen das Aderlassen empfinde er Abneigung. Die zahlreichen Märchen der Betschuanen in Südafrika sind zwar gesammelt aber erst wenige davon mitgetheilt worden, so erwünscht ihre Bekanntmachung wäre; sie scheinen in jeder Beziehung werthvoll. Eins davon erzählt wie zwei Brüder ausziehen ihr Glück zu versuchen. Der jüngere gewinnt einem Riesen eine große Herde Kühe ab, in welcher sich eine befindet, die weiß ist wie der gefallene Schnee. Er kommt mit dem älteren Bruder wieder zusammen, der nur eine Herde Hunde erworben hat. Dieser verlangt jetzt die weiße Kuh, und als sie ihm versagt wird, ermordet er hinterlistig den jüngeren bei einem Brunnen. Alsbald sitzt auf dem Horn der weißen Kuh ein Vöglein und verkündigt was geschehen ist. Der Mörder zerschmettert das Vöglein mit einem Steinwurf, aber es erscheint wieder auf dem Horn. Er tödtet es abermals, verbrennt es und zerstreut seine Asche in den Wind. Das Vöglein zeigt sich zum drittenmal und spricht ‘ich bin das Herz des Getödteten: mein Leichnam ist bei der Quelle in der Wüste.’ Es gleicht dem dreimal wiederkehrenden, die Unthat verrathenden Vöglein im Machandelbaum (Nr 47), aber noch mehr dem singenden Knochen (Nr 28), wo die Ereignisse fast dieselben sind. Eine andere Erzählung liefert ein merkwürdiges Thiermärchen, in welchem der Hase die Rolle des Fuchses spielt, wenn dieser nicht wirklich gemeint ist und hier nur ein Misverständnis waltet. Er verräth die andern Thiere an den Löwen und überlistet hernach auch diesen, indem er dessen Schweif in Pfählen so verflicht, daß er nicht entrinnen kann und verschmachten muß. Als sich der Hase aber in die Haut des Löwen steckt und die Thiere zitternd ihm Geschenke darbringen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/35
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. XXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/35>, abgerufen am 24.11.2024.