Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

fort, und kam nicht wieder. 'Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?' fragte der Schneider. 'Werfen kannst du wohl,' sagte der Riese, 'aber nun wollen wir sehen ob du im Stande bist etwas ordentliches zu tragen.' Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte 'wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraus tragen.' 'Gerne,' antwortete der kleine Mann, 'nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.' Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, mußte den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war da hinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen 'es ritten drei Schneider zum Thore hinaus,' als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter, und rief 'hör, ich muß den Baum fallen lassen.' Der Schneider sprang behendiglich herab, faßte den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen 'du bist ein so großer Kerl, und kannst den Baum nicht einmal tragen.'

Sie giengen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbei kamen, faßte der Riese die Krone des Baums, wo die zeitigsten Früchte hiengen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand, und hieß ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach um den Baum zu halten, und als der Riese los ließ, fuhr der Baum in

fort, und kam nicht wieder. ‘Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?’ fragte der Schneider. ‘Werfen kannst du wohl,’ sagte der Riese, ‘aber nun wollen wir sehen ob du im Stande bist etwas ordentliches zu tragen.’ Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte ‘wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraus tragen.’ ‘Gerne,’ antwortete der kleine Mann, ‘nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.’ Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, mußte den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war da hinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen ‘es ritten drei Schneider zum Thore hinaus,’ als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter, und rief ‘hör, ich muß den Baum fallen lassen.’ Der Schneider sprang behendiglich herab, faßte den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen ‘du bist ein so großer Kerl, und kannst den Baum nicht einmal tragen.’

Sie giengen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbei kamen, faßte der Riese die Krone des Baums, wo die zeitigsten Früchte hiengen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand, und hieß ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach um den Baum zu halten, und als der Riese los ließ, fuhr der Baum in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0167" n="129"/>
fort, und kam nicht wieder. &#x2018;Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?&#x2019; fragte der Schneider. &#x2018;Werfen kannst du wohl,&#x2019; sagte der Riese, &#x2018;aber nun wollen wir sehen ob du im Stande bist etwas ordentliches zu tragen.&#x2019; Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte &#x2018;wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraus tragen.&#x2019; &#x2018;Gerne,&#x2019; antwortete der kleine Mann, &#x2018;nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.&#x2019; Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, mußte den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war da hinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen &#x2018;es ritten drei Schneider zum Thore hinaus,&#x2019; als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter, und rief &#x2018;hör, ich muß den Baum fallen lassen.&#x2019; Der Schneider sprang behendiglich herab, faßte den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen &#x2018;du bist ein so großer Kerl, und kannst den Baum nicht einmal tragen.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Sie giengen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbei kamen, faßte der Riese die Krone des Baums, wo die zeitigsten Früchte hiengen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand, und hieß ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach um den Baum zu halten, und als der Riese los ließ, fuhr der Baum in
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0167] fort, und kam nicht wieder. ‘Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?’ fragte der Schneider. ‘Werfen kannst du wohl,’ sagte der Riese, ‘aber nun wollen wir sehen ob du im Stande bist etwas ordentliches zu tragen.’ Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte ‘wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraus tragen.’ ‘Gerne,’ antwortete der kleine Mann, ‘nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.’ Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, mußte den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war da hinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen ‘es ritten drei Schneider zum Thore hinaus,’ als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter, und rief ‘hör, ich muß den Baum fallen lassen.’ Der Schneider sprang behendiglich herab, faßte den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen ‘du bist ein so großer Kerl, und kannst den Baum nicht einmal tragen.’ Sie giengen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbei kamen, faßte der Riese die Krone des Baums, wo die zeitigsten Früchte hiengen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand, und hieß ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach um den Baum zu halten, und als der Riese los ließ, fuhr der Baum in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/167
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/167>, abgerufen am 25.11.2024.