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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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herab, setzte sie auf sein Pferd, und führte sie heim. Da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnügt gelebt hatten, fieng die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verläumden, und sprach zum König 'es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast, wer weiß was für gottlose Streiche sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein böses Gewissen.' Der König wollte zuerst nicht daran glauben, aber die Alte trieb es so lange, und beschuldigte sie so viel böser Dinge, daß der König sich endlich überreden ließ, und sie zum Tod verurtheilte.

Nun ward im Hof ein großes Feuer angezündet, darin sie sollte verbrannt werden, und der König stand oben am Fenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebunden war und das Feuer schon an ihren Kleidern mit rothen Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen. Da ließ sich in der Luft ein Geschwirr hören, und zwölf Raben kamen hergezogen, und senkten sich nieder: und wie sie die Erde berührten, waren es ihre zwölf Brüder, die sie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, löschten die Flammen, machten ihre liebe Schwester frei, und küßten und herzten sie. Nun aber, da sie ihren Mund aufthun und reden durfte, erzählte sie dem Könige warum sie stumm gewesen

herab, setzte sie auf sein Pferd, und fuͤhrte sie heim. Da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnuͤgt gelebt hatten, fieng die Mutter des Koͤnigs, die eine boͤse Frau war, an, die junge Koͤnigin zu verlaͤumden, und sprach zum Koͤnig ‘es ist ein gemeines Bettelmaͤdchen, das du dir mitgebracht hast, wer weiß was fuͤr gottlose Streiche sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so koͤnnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein boͤses Gewissen.’ Der Koͤnig wollte zuerst nicht daran glauben, aber die Alte trieb es so lange, und beschuldigte sie so viel boͤser Dinge, daß der Koͤnig sich endlich uͤberreden ließ, und sie zum Tod verurtheilte.

Nun ward im Hof ein großes Feuer angezuͤndet, darin sie sollte verbrannt werden, und der Koͤnig stand oben am Fenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebunden war und das Feuer schon an ihren Kleidern mit rothen Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen. Da ließ sich in der Luft ein Geschwirr hoͤren, und zwoͤlf Raben kamen hergezogen, und senkten sich nieder: und wie sie die Erde beruͤhrten, waren es ihre zwoͤlf Bruͤder, die sie erloͤst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, loͤschten die Flammen, machten ihre liebe Schwester frei, und kuͤßten und herzten sie. Nun aber, da sie ihren Mund aufthun und reden durfte, erzaͤhlte sie dem Koͤnige warum sie stumm gewesen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/93>, abgerufen am 28.04.2024.