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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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wie gewöhnlich, als der Tag graute, schon aus dem Bett, und wollte das Vieh füttern. Jhr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte, und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so fest, daß er nichts gewahr wurde, und nicht eher aufwachte als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. 'Ach, Gott,' rief er, 'wie bin ich in die Walkmühle gerathen!' merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die Zähne kam und zerdrückt wurde, und darnach mußte er doch mit in den Magen hinabrutschen. 'Jn dem Stübchen sind die Fenster vergessen,' sprach er, 'und scheint keine Sonne herein: ein Licht wird auch nicht wohl zu haben seyn!' Ueberhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Thür hinein, und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte, 'bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.' Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hörte ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehört hatte, erschrack sie so, daß sie von ihrem Stühlchen herabglitschte, und die Milch verschüttete. Sie lief in der größten Hast zu ihrem Herrn, und rief 'ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet.' 'Du bist verrückt' antwortete der Pfarrer, gieng aber doch selbst in den Stall nachzusehen was vor wäre. Aber kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick eben aufs neue 'bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter

wie gewoͤhnlich, als der Tag graute, schon aus dem Bett, und wollte das Vieh fuͤttern. Jhr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte, und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so fest, daß er nichts gewahr wurde, und nicht eher aufwachte als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. ‘Ach, Gott,’ rief er, ‘wie bin ich in die Walkmuͤhle gerathen!’ merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die Zaͤhne kam und zerdruͤckt wurde, und darnach mußte er doch mit in den Magen hinabrutschen. ‘Jn dem Stuͤbchen sind die Fenster vergessen,’ sprach er, ‘und scheint keine Sonne herein: ein Licht wird auch nicht wohl zu haben seyn!’ Ueberhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Thuͤr hinein, und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte, ‘bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.’ Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hoͤrte ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehoͤrt hatte, erschrack sie so, daß sie von ihrem Stuͤhlchen herabglitschte, und die Milch verschuͤttete. Sie lief in der groͤßten Hast zu ihrem Herrn, und rief ‘ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet.’ ‘Du bist verruͤckt’ antwortete der Pfarrer, gieng aber doch selbst in den Stall nachzusehen was vor waͤre. Aber kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick eben aufs neue ‘bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter

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[233/0264] wie gewoͤhnlich, als der Tag graute, schon aus dem Bett, und wollte das Vieh fuͤttern. Jhr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte, und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so fest, daß er nichts gewahr wurde, und nicht eher aufwachte als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. ‘Ach, Gott,’ rief er, ‘wie bin ich in die Walkmuͤhle gerathen!’ merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die Zaͤhne kam und zerdruͤckt wurde, und darnach mußte er doch mit in den Magen hinabrutschen. ‘Jn dem Stuͤbchen sind die Fenster vergessen,’ sprach er, ‘und scheint keine Sonne herein: ein Licht wird auch nicht wohl zu haben seyn!’ Ueberhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Thuͤr hinein, und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte, ‘bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr.’ Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hoͤrte ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehoͤrt hatte, erschrack sie so, daß sie von ihrem Stuͤhlchen herabglitschte, und die Milch verschuͤttete. Sie lief in der groͤßten Hast zu ihrem Herrn, und rief ‘ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet.’ ‘Du bist verruͤckt’ antwortete der Pfarrer, gieng aber doch selbst in den Stall nachzusehen was vor waͤre. Aber kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick eben aufs neue ‘bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/264>, abgerufen am 10.05.2024.