Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

der König zum Jäger 'nun komm, und zeige mir das Waldhäuschen.' Und als er vor dem Thürlein war, klopfte er an, und rief 'lieb Schwesterlein, laß mich herein.' Da gieng die Thür auf, und der König trat hinein, und da stand ein Mädchen, das war so schön wie er noch keins gesehen hatte. Das Mädchen aber war erschrocken daß nicht sein Rehlein sondern ein König mit goldener Krone hereingekommen war. Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand, und sprach 'willst du mit mir gehen auf mein Schloß, und meine liebe Frau werden?' 'Ach ja,' antwortete das Mädchen, 'aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht.' Sprach der König 'es soll bei dir bleiben, so lange du lebst, und soll ihm an nichts fehlen.' Jndem kam es herein gesprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand, und gieng mit ihm zum Waldhäuschen hinaus.

Der König führte das schöne Mädchen in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und war es nun die Frau Königin, und lebten sie lange Zeit vergnügt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt, und sprang in dem Schloßgarten herum. Die böse Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hinein gegangen waren, die meinte nichts anders, als Schwesterchen wäre von den wilden Thieren im Walde zerrissen worden, und Brüderchen als ein Rehkalb von den Jägern todt geschossen. Als sie nun hörte daß sie so glücklich waren, und es ihnen so wohl gieng, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege, und zwickten

der Koͤnig zum Jaͤger ‘nun komm, und zeige mir das Waldhaͤuschen.’ Und als er vor dem Thuͤrlein war, klopfte er an, und rief ‘lieb Schwesterlein, laß mich herein.’ Da gieng die Thuͤr auf, und der Koͤnig trat hinein, und da stand ein Maͤdchen, das war so schoͤn wie er noch keins gesehen hatte. Das Maͤdchen aber war erschrocken daß nicht sein Rehlein sondern ein Koͤnig mit goldener Krone hereingekommen war. Aber der Koͤnig sah es freundlich an, reichte ihm die Hand, und sprach ‘willst du mit mir gehen auf mein Schloß, und meine liebe Frau werden?’ ‘Ach ja,’ antwortete das Maͤdchen, ‘aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht.’ Sprach der Koͤnig ‘es soll bei dir bleiben, so lange du lebst, und soll ihm an nichts fehlen.’ Jndem kam es herein gesprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand, und gieng mit ihm zum Waldhaͤuschen hinaus.

Der Koͤnig fuͤhrte das schoͤne Maͤdchen in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und war es nun die Frau Koͤnigin, und lebten sie lange Zeit vergnuͤgt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt, und sprang in dem Schloßgarten herum. Die boͤse Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hinein gegangen waren, die meinte nichts anders, als Schwesterchen waͤre von den wilden Thieren im Walde zerrissen worden, und Bruͤderchen als ein Rehkalb von den Jaͤgern todt geschossen. Als sie nun hoͤrte daß sie so gluͤcklich waren, und es ihnen so wohl gieng, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege, und zwickten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="72"/>
der Ko&#x0364;nig zum Ja&#x0364;ger &#x2018;nun komm, und zeige mir das Waldha&#x0364;uschen.&#x2019; Und als er vor dem Thu&#x0364;rlein war, klopfte er an, und rief &#x2018;lieb Schwesterlein, laß mich herein.&#x2019; Da gieng die Thu&#x0364;r auf, und der Ko&#x0364;nig trat hinein, und da stand ein Ma&#x0364;dchen, das war so scho&#x0364;n wie er noch keins gesehen hatte. Das Ma&#x0364;dchen aber war erschrocken daß nicht sein Rehlein sondern ein Ko&#x0364;nig mit goldener Krone hereingekommen war. Aber der Ko&#x0364;nig sah es freundlich an, reichte ihm die Hand, und sprach &#x2018;willst du mit mir gehen auf mein Schloß, und meine liebe Frau werden?&#x2019; &#x2018;Ach ja,&#x2019; antwortete das Ma&#x0364;dchen, &#x2018;aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht.&#x2019; Sprach der Ko&#x0364;nig &#x2018;es soll bei dir bleiben, so lange du lebst, und soll ihm an nichts fehlen.&#x2019; Jndem kam es herein gesprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand, und gieng mit ihm zum Waldha&#x0364;uschen hinaus.</p><lb/>
        <p>Der Ko&#x0364;nig fu&#x0364;hrte das scho&#x0364;ne Ma&#x0364;dchen in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und war es nun die Frau Ko&#x0364;nigin, und lebten sie lange Zeit vergnu&#x0364;gt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt, und sprang in dem Schloßgarten herum. Die bo&#x0364;se Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hinein gegangen waren, die meinte nichts anders, als Schwesterchen wa&#x0364;re von den wilden Thieren im Walde zerrissen worden, und Bru&#x0364;derchen als ein Rehkalb von den Ja&#x0364;gern todt geschossen. Als sie nun ho&#x0364;rte daß sie so glu&#x0364;cklich waren, und es ihnen so wohl gieng, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege, und zwickten
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0103] der Koͤnig zum Jaͤger ‘nun komm, und zeige mir das Waldhaͤuschen.’ Und als er vor dem Thuͤrlein war, klopfte er an, und rief ‘lieb Schwesterlein, laß mich herein.’ Da gieng die Thuͤr auf, und der Koͤnig trat hinein, und da stand ein Maͤdchen, das war so schoͤn wie er noch keins gesehen hatte. Das Maͤdchen aber war erschrocken daß nicht sein Rehlein sondern ein Koͤnig mit goldener Krone hereingekommen war. Aber der Koͤnig sah es freundlich an, reichte ihm die Hand, und sprach ‘willst du mit mir gehen auf mein Schloß, und meine liebe Frau werden?’ ‘Ach ja,’ antwortete das Maͤdchen, ‘aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht.’ Sprach der Koͤnig ‘es soll bei dir bleiben, so lange du lebst, und soll ihm an nichts fehlen.’ Jndem kam es herein gesprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand, und gieng mit ihm zum Waldhaͤuschen hinaus. Der Koͤnig fuͤhrte das schoͤne Maͤdchen in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und war es nun die Frau Koͤnigin, und lebten sie lange Zeit vergnuͤgt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt, und sprang in dem Schloßgarten herum. Die boͤse Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hinein gegangen waren, die meinte nichts anders, als Schwesterchen waͤre von den wilden Thieren im Walde zerrissen worden, und Bruͤderchen als ein Rehkalb von den Jaͤgern todt geschossen. Als sie nun hoͤrte daß sie so gluͤcklich waren, und es ihnen so wohl gieng, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege, und zwickten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/103
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/103>, abgerufen am 19.12.2024.