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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Tag und Nacht keine Ruhe, bis ichs gesehen; nun geh ich nicht von der Stelle, bis du aufgeschlossen hast."

Da sah der getreue Johannes, daß es nicht mehr zu ändern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem großen Bund den Schlüssel heraus Darnach öffnete er die Thür der Kammer und trat zuerst hinein und dachte der König sollte das Bildniß vor ihm nicht sehen, aber dieser war zu neugierig, stellte sich auf die Fußspitzen und sah ihm über die Schulter. Und als er das Bildniß der Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold glänzte, da fiel er alsbald ohnmächtig auf die Erde nieder. Der getreue Johannes hob ihn auf und trug ihn in sein Bett und dachte voll Sorgen: "das Unglück ist geschehen, Herr Gott: was will daraus werden!" dann stärkte er ihn mit Wein, bis er wieder zu sich selbst kam, das erste aber, das er sprach, war: "ach! wer ist das schöne Bild?" "Das ist die Königstochter vom goldenen Dache." antwortete der treue Johannes. Da sprach der König weiter: "meine Liebe zu ihr ist so groß, wenn alle Blätter an den Bäumen Zungen wären, sie könntens nicht aussagen; mein Leben acht ich nicht, um sie zu erlangen; du bist mein getreuster Johannes du mußt mir beistehen."

Der treue Diener sann lange nach, wie es anzufangen wäre, denn bloß vor das Angesicht der Königstochter zu gelangen hielt schon so schwer. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht und sprach zu dem König: "alles, was sie um sich hat ist von Gold: Tische, Stühle, Schüsseln, Becher, Näpfe und alles Hausgeräth; in deinem Schatze liegen fünf Tonnen Goldes, davon laß eine von den

Tag und Nacht keine Ruhe, bis ichs gesehen; nun geh ich nicht von der Stelle, bis du aufgeschlossen hast.“

Da sah der getreue Johannes, daß es nicht mehr zu aͤndern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem großen Bund den Schluͤssel heraus Darnach oͤffnete er die Thuͤr der Kammer und trat zuerst hinein und dachte der Koͤnig sollte das Bildniß vor ihm nicht sehen, aber dieser war zu neugierig, stellte sich auf die Fußspitzen und sah ihm uͤber die Schulter. Und als er das Bildniß der Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold glaͤnzte, da fiel er alsbald ohnmaͤchtig auf die Erde nieder. Der getreue Johannes hob ihn auf und trug ihn in sein Bett und dachte voll Sorgen: „das Ungluͤck ist geschehen, Herr Gott: was will daraus werden!“ dann staͤrkte er ihn mit Wein, bis er wieder zu sich selbst kam, das erste aber, das er sprach, war: „ach! wer ist das schoͤne Bild?“ „Das ist die Koͤnigstochter vom goldenen Dache.“ antwortete der treue Johannes. Da sprach der Koͤnig weiter: „meine Liebe zu ihr ist so groß, wenn alle Blaͤtter an den Baͤumen Zungen waͤren, sie koͤnntens nicht aussagen; mein Leben acht ich nicht, um sie zu erlangen; du bist mein getreuster Johannes du mußt mir beistehen.“

Der treue Diener sann lange nach, wie es anzufangen waͤre, denn bloß vor das Angesicht der Koͤnigstochter zu gelangen hielt schon so schwer. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht und sprach zu dem Koͤnig: „alles, was sie um sich hat ist von Gold: Tische, Stuͤhle, Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe und alles Hausgeraͤth; in deinem Schatze liegen fuͤnf Tonnen Goldes, davon laß eine von den

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[31/0095] Tag und Nacht keine Ruhe, bis ichs gesehen; nun geh ich nicht von der Stelle, bis du aufgeschlossen hast.“ Da sah der getreue Johannes, daß es nicht mehr zu aͤndern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem großen Bund den Schluͤssel heraus Darnach oͤffnete er die Thuͤr der Kammer und trat zuerst hinein und dachte der Koͤnig sollte das Bildniß vor ihm nicht sehen, aber dieser war zu neugierig, stellte sich auf die Fußspitzen und sah ihm uͤber die Schulter. Und als er das Bildniß der Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold glaͤnzte, da fiel er alsbald ohnmaͤchtig auf die Erde nieder. Der getreue Johannes hob ihn auf und trug ihn in sein Bett und dachte voll Sorgen: „das Ungluͤck ist geschehen, Herr Gott: was will daraus werden!“ dann staͤrkte er ihn mit Wein, bis er wieder zu sich selbst kam, das erste aber, das er sprach, war: „ach! wer ist das schoͤne Bild?“ „Das ist die Koͤnigstochter vom goldenen Dache.“ antwortete der treue Johannes. Da sprach der Koͤnig weiter: „meine Liebe zu ihr ist so groß, wenn alle Blaͤtter an den Baͤumen Zungen waͤren, sie koͤnntens nicht aussagen; mein Leben acht ich nicht, um sie zu erlangen; du bist mein getreuster Johannes du mußt mir beistehen.“ Der treue Diener sann lange nach, wie es anzufangen waͤre, denn bloß vor das Angesicht der Koͤnigstochter zu gelangen hielt schon so schwer. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht und sprach zu dem Koͤnig: „alles, was sie um sich hat ist von Gold: Tische, Stuͤhle, Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe und alles Hausgeraͤth; in deinem Schatze liegen fuͤnf Tonnen Goldes, davon laß eine von den

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/95>, abgerufen am 24.11.2024.