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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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6.
Der getreue Johannes.

Es war einmal ein alter König, der war krank und dachte, es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege; da sprach er: "laßt mir den getreuen Johannes kommen." Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener und hieß so, weil er ihm sein Leblang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der König zu ihm: "getreuester Johannes, ich fühle, daß mein Ende sich naht und da hab ich keine Sorge, als um meinen Sohn, er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst, ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun." Da antwortete der getreue Johannes: "ich will ihn nicht verlassen und will ihm mit Treue dienen, wenns auch mein Leben kostet." Da sagte der alte König: "so sterb ich getrost und in Frieden." Und sprach dann weiter: "Nach meinem Tod sollst du ihm das ganze Schloß zeigen: alle Kammern, Säle und Gewölbe und alle Schätze, die darin liegen; aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die worin das Bild von der Königstochter vom goldenen Dache verborgen steht; denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden und wird in Ohnmacht niederfallen und wird ihretwillen in große Gefahren gerathen, davor sollst du ihn hüten." Und als der getreue Johannes es nochmals dem alten König versprochen hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf das Kissen und starb.


6.
Der getreue Johannes.

Es war einmal ein alter Koͤnig, der war krank und dachte, es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege; da sprach er: „laßt mir den getreuen Johannes kommen.“ Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener und hieß so, weil er ihm sein Leblang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der Koͤnig zu ihm: „getreuester Johannes, ich fuͤhle, daß mein Ende sich naht und da hab ich keine Sorge, als um meinen Sohn, er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst, ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun.“ Da antwortete der getreue Johannes: „ich will ihn nicht verlassen und will ihm mit Treue dienen, wenns auch mein Leben kostet.“ Da sagte der alte Koͤnig: „so sterb ich getrost und in Frieden.“ Und sprach dann weiter: „Nach meinem Tod sollst du ihm das ganze Schloß zeigen: alle Kammern, Saͤle und Gewoͤlbe und alle Schaͤtze, die darin liegen; aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die worin das Bild von der Koͤnigstochter vom goldenen Dache verborgen steht; denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden und wird in Ohnmacht niederfallen und wird ihretwillen in große Gefahren gerathen, davor sollst du ihn huͤten.“ Und als der getreue Johannes es nochmals dem alten Koͤnig versprochen hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf das Kissen und starb.


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[29/0093] 6. Der getreue Johannes. Es war einmal ein alter Koͤnig, der war krank und dachte, es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege; da sprach er: „laßt mir den getreuen Johannes kommen.“ Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener und hieß so, weil er ihm sein Leblang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der Koͤnig zu ihm: „getreuester Johannes, ich fuͤhle, daß mein Ende sich naht und da hab ich keine Sorge, als um meinen Sohn, er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst, ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun.“ Da antwortete der getreue Johannes: „ich will ihn nicht verlassen und will ihm mit Treue dienen, wenns auch mein Leben kostet.“ Da sagte der alte Koͤnig: „so sterb ich getrost und in Frieden.“ Und sprach dann weiter: „Nach meinem Tod sollst du ihm das ganze Schloß zeigen: alle Kammern, Saͤle und Gewoͤlbe und alle Schaͤtze, die darin liegen; aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die worin das Bild von der Koͤnigstochter vom goldenen Dache verborgen steht; denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden und wird in Ohnmacht niederfallen und wird ihretwillen in große Gefahren gerathen, davor sollst du ihn huͤten.“ Und als der getreue Johannes es nochmals dem alten Koͤnig versprochen hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf das Kissen und starb.

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/93>, abgerufen am 24.11.2024.