Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

die Edda sagt von den Wahlküren, daß sie ohne Ruhe gewesen, immer (nach ihrer Arbeit, das Schicksal zu treiben, weben, orlog drygia) sich gesehnt*), und in dem Wölundslied wird gerade erzählt, wie sie am Seestrand sich niedersenken, das Federgewand ablegen und köstlichen Flachs spinnen. Das ist nämlich der epische, sinnliche, aber bedeutungslos erscheinende Ausdruck für den alten tiefsinnigen: das Schicksal spinnen, weben. Auch die goldspinnenden Königstöchter in den Märchen sind nichts anders, als Glück und Reichthum spinnende, schaffende Schwanen-Jungfrauen. Und da die Spindel, das Rad, kreist, so fällt mit diesem Bild ein anderes, gleichfalls uraltes, in dem eddischen Mühlenlied schon ausgebildetes, zusammen, von einem Mühlenrad des Schicksals, welches alles, was der Wunsch verlangt (daher auch ein Wünschelrad) mahlt: Gold, Frieden und Krieg. Und so werden wir auf die noch fortdauernde Jdee eines das Entgegengesetzte herumtreibenden Glücksrades, (wie es im Wigalois der König besitzt) geführt. Fast immer sind die goldspinnenden auch Hirtinnen, sie hüten Gänse, Schwäne, d. h. die Geister, war wiederum nur ein anderer Ausdruck für das Lenken, Bewachen des Schicksals ist.

Gleichfalls der Däumling (pollux) ist eine aus der Vorzeit übrige Götteridee. Er ist der die Heimath schützende, seine Geschwister aus der Noth rettende, immer wohl leitende und ohne Zweifel mit den Kabiren und Penaten verwandt, die ja

*) Thrada, desiderio teneri, ist der Ausdruck, Völundarquida Str. 3. Thravalkyrior sagt der dunkle Hrafnagalldr am Eingang.

die Edda sagt von den Wahlkuͤren, daß sie ohne Ruhe gewesen, immer (nach ihrer Arbeit, das Schicksal zu treiben, weben, orlog drygia) sich gesehnt*), und in dem Woͤlundslied wird gerade erzaͤhlt, wie sie am Seestrand sich niedersenken, das Federgewand ablegen und koͤstlichen Flachs spinnen. Das ist naͤmlich der epische, sinnliche, aber bedeutungslos erscheinende Ausdruck fuͤr den alten tiefsinnigen: das Schicksal spinnen, weben. Auch die goldspinnenden Koͤnigstoͤchter in den Maͤrchen sind nichts anders, als Gluͤck und Reichthum spinnende, schaffende Schwanen-Jungfrauen. Und da die Spindel, das Rad, kreist, so faͤllt mit diesem Bild ein anderes, gleichfalls uraltes, in dem eddischen Muͤhlenlied schon ausgebildetes, zusammen, von einem Muͤhlenrad des Schicksals, welches alles, was der Wunsch verlangt (daher auch ein Wuͤnschelrad) mahlt: Gold, Frieden und Krieg. Und so werden wir auf die noch fortdauernde Jdee eines das Entgegengesetzte herumtreibenden Gluͤcksrades, (wie es im Wigalois der Koͤnig besitzt) gefuͤhrt. Fast immer sind die goldspinnenden auch Hirtinnen, sie huͤten Gaͤnse, Schwaͤne, d. h. die Geister, war wiederum nur ein anderer Ausdruck fuͤr das Lenken, Bewachen des Schicksals ist.

Gleichfalls der Daͤumling (pollux) ist eine aus der Vorzeit uͤbrige Goͤtteridee. Er ist der die Heimath schuͤtzende, seine Geschwister aus der Noth rettende, immer wohl leitende und ohne Zweifel mit den Kabiren und Penaten verwandt, die ja

*) Thrada, desiderio teneri, ist der Ausdruck, Voͤlundarquida Str. 3. Thravalkyrior sagt der dunkle Hrafnagalldr am Eingang.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="XLII"/>
die Edda sagt von den Wahlku&#x0364;ren, daß sie ohne Ruhe gewesen, immer (nach ihrer Arbeit, das Schicksal zu treiben, weben, orlog drygia) <hi rendition="#g">sich gesehnt</hi><note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Thrada</hi>, <hi rendition="#aq">desiderio teneri</hi>, ist der Ausdruck, Vo&#x0364;lundarquida Str. 3. <hi rendition="#g">Thravalkyrior</hi> sagt der dunkle Hrafnagalldr am Eingang.</note>, und in dem Wo&#x0364;lundslied wird gerade erza&#x0364;hlt, wie sie am Seestrand sich niedersenken, das Federgewand ablegen und <hi rendition="#g">ko&#x0364;stlichen Flachs spinnen</hi>. Das ist na&#x0364;mlich der epische, sinnliche, aber bedeutungslos erscheinende Ausdruck fu&#x0364;r den alten tiefsinnigen: das Schicksal spinnen, weben. Auch die <hi rendition="#g">goldspinnenden Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chter</hi> in den Ma&#x0364;rchen sind nichts anders, als Glu&#x0364;ck und Reichthum spinnende, schaffende Schwanen-Jungfrauen. Und da die Spindel, das Rad, kreist, so fa&#x0364;llt mit diesem Bild ein anderes, gleichfalls uraltes, in dem eddischen Mu&#x0364;hlenlied schon ausgebildetes, zusammen, von einem Mu&#x0364;hlenrad des Schicksals, welches alles, was der Wunsch verlangt (daher auch ein Wu&#x0364;nschelrad) mahlt: Gold, Frieden und Krieg. Und so werden wir auf die noch fortdauernde Jdee eines das Entgegengesetzte herumtreibenden Glu&#x0364;cksrades, (wie es im Wigalois der Ko&#x0364;nig besitzt) gefu&#x0364;hrt. Fast immer sind die goldspinnenden auch <hi rendition="#g">Hirtinnen</hi>, sie hu&#x0364;ten Ga&#x0364;nse, Schwa&#x0364;ne, d. h. die Geister, war wiederum nur ein anderer Ausdruck fu&#x0364;r das Lenken, Bewachen des Schicksals ist.</p><lb/>
          <p>Gleichfalls der <hi rendition="#g">Da&#x0364;umling</hi> (<hi rendition="#aq">pollux</hi>) ist eine aus der Vorzeit u&#x0364;brige Go&#x0364;tteridee. Er ist der die Heimath schu&#x0364;tzende, seine Geschwister aus der Noth rettende, immer wohl leitende und ohne Zweifel mit den Kabiren und Penaten verwandt, die ja
</p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XLII/0050] die Edda sagt von den Wahlkuͤren, daß sie ohne Ruhe gewesen, immer (nach ihrer Arbeit, das Schicksal zu treiben, weben, orlog drygia) sich gesehnt *), und in dem Woͤlundslied wird gerade erzaͤhlt, wie sie am Seestrand sich niedersenken, das Federgewand ablegen und koͤstlichen Flachs spinnen. Das ist naͤmlich der epische, sinnliche, aber bedeutungslos erscheinende Ausdruck fuͤr den alten tiefsinnigen: das Schicksal spinnen, weben. Auch die goldspinnenden Koͤnigstoͤchter in den Maͤrchen sind nichts anders, als Gluͤck und Reichthum spinnende, schaffende Schwanen-Jungfrauen. Und da die Spindel, das Rad, kreist, so faͤllt mit diesem Bild ein anderes, gleichfalls uraltes, in dem eddischen Muͤhlenlied schon ausgebildetes, zusammen, von einem Muͤhlenrad des Schicksals, welches alles, was der Wunsch verlangt (daher auch ein Wuͤnschelrad) mahlt: Gold, Frieden und Krieg. Und so werden wir auf die noch fortdauernde Jdee eines das Entgegengesetzte herumtreibenden Gluͤcksrades, (wie es im Wigalois der Koͤnig besitzt) gefuͤhrt. Fast immer sind die goldspinnenden auch Hirtinnen, sie huͤten Gaͤnse, Schwaͤne, d. h. die Geister, war wiederum nur ein anderer Ausdruck fuͤr das Lenken, Bewachen des Schicksals ist. Gleichfalls der Daͤumling (pollux) ist eine aus der Vorzeit uͤbrige Goͤtteridee. Er ist der die Heimath schuͤtzende, seine Geschwister aus der Noth rettende, immer wohl leitende und ohne Zweifel mit den Kabiren und Penaten verwandt, die ja *) Thrada, desiderio teneri, ist der Ausdruck, Voͤlundarquida Str. 3. Thravalkyrior sagt der dunkle Hrafnagalldr am Eingang.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/50
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. XLII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/50>, abgerufen am 24.04.2024.