Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.aber die Alte steckte ihm den Kamm in die Haare, alsbald wirkte das Gift darin so heftig, daß es todt niederfiel. "Nun wirst du liegen bleiben" sprach sie und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen; als sie das Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, dachten sie gleich, die böse Stiefmutter hätte es wieder umbringen wollen, suchten und fanden den giftigen Kamm; und wie sie ihn herausgezogen, kam es wieder zu sich und erzählte ihnen, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu seyn und niemand die Thüre zu öffnen. Die Königin aber stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach: "Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die schönste im ganzen Land?" Da antwortete er, wie vorher: "Frau Königin, ihr seyd die schönste hier;
aber Sneewittchen über den Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als ihr." Bei diesen Worten zitterte und bebte sie vor Zorn und sprach: "so soll das Sneewittchen noch sterben und wenn es mein Leben kostet!" Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schön aus mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, eine Lust darnach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte aber die Alte steckte ihm den Kamm in die Haare, alsbald wirkte das Gift darin so heftig, daß es todt niederfiel. „Nun wirst du liegen bleiben“ sprach sie und ging fort. Zum Gluͤck aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen; als sie das Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, dachten sie gleich, die boͤse Stiefmutter haͤtte es wieder umbringen wollen, suchten und fanden den giftigen Kamm; und wie sie ihn herausgezogen, kam es wieder zu sich und erzaͤhlte ihnen, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu seyn und niemand die Thuͤre zu oͤffnen. Die Koͤnigin aber stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach: „Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“ Da antwortete er, wie vorher: „Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier;
aber Sneewittchen uͤber den Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schoͤner als ihr.“ Bei diesen Worten zitterte und bebte sie vor Zorn und sprach: „so soll das Sneewittchen noch sterben und wenn es mein Leben kostet!“ Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schoͤn aus mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, eine Lust darnach bekam, aber wer ein Stuͤckchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, faͤrbte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0334" n="270"/> aber die Alte steckte ihm den Kamm in die Haare, alsbald wirkte das Gift darin so heftig, daß es todt niederfiel. „Nun wirst du liegen bleiben“ sprach sie und ging fort. Zum Gluͤck aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen; als sie das Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, dachten sie gleich, die boͤse Stiefmutter haͤtte es wieder umbringen wollen, suchten und fanden den giftigen Kamm; und wie sie ihn herausgezogen, kam es wieder zu sich und erzaͤhlte ihnen, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu seyn und niemand die Thuͤre zu oͤffnen.</p><lb/> <p>Die Koͤnigin aber stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Spieglein, Spieglein an der Wand,</l><lb/> <l>Wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“</l><lb/> </lg> <p>Da antwortete er, wie vorher:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier;</l><lb/> <l>aber Sneewittchen uͤber den Bergen</l><lb/> <l>bei den sieben Zwergen</l><lb/> <l>ist noch tausendmal schoͤner als ihr.“</l><lb/> </lg> <p>Bei diesen Worten zitterte und bebte sie vor Zorn und sprach: „so soll das Sneewittchen noch sterben und wenn es mein Leben kostet!“ Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schoͤn aus mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, eine Lust darnach bekam, aber wer ein Stuͤckchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, faͤrbte </p> </div> </body> </text> </TEI> [270/0334]
aber die Alte steckte ihm den Kamm in die Haare, alsbald wirkte das Gift darin so heftig, daß es todt niederfiel. „Nun wirst du liegen bleiben“ sprach sie und ging fort. Zum Gluͤck aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen; als sie das Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, dachten sie gleich, die boͤse Stiefmutter haͤtte es wieder umbringen wollen, suchten und fanden den giftigen Kamm; und wie sie ihn herausgezogen, kam es wieder zu sich und erzaͤhlte ihnen, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu seyn und niemand die Thuͤre zu oͤffnen.
Die Koͤnigin aber stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“
Da antwortete er, wie vorher:
„Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier;
aber Sneewittchen uͤber den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schoͤner als ihr.“
Bei diesen Worten zitterte und bebte sie vor Zorn und sprach: „so soll das Sneewittchen noch sterben und wenn es mein Leben kostet!“ Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schoͤn aus mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, eine Lust darnach bekam, aber wer ein Stuͤckchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, faͤrbte
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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