Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

wollte sie es mir wohl sagen; sprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden und dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen."

Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Köchin in die Schlafkammer und wollte den Fundevogel holen, um ihn hinein zu werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort, da wurde ihr grausam angst und sie sprach vor sich: "was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind. Geschwind hintennach, daß wir sie wieder kriegen!"

Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lehnchen zum Fundevogel: "verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht!" So sprach Fundevogel: "nun und nimmermehr!" Da sagte Lehnchen: "werde du zum Rosenstöckchen und ich zum Röschen drauf!" Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da, als ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: "hier ist nichts zu machen" und gingen heim, und sagten vor die Köchin, sie hätten nichts in der Welt gesehen, als nur ein Rosenstöckchen mit einem Röschen oben drauf. Da schalt die alte Köchin: "ihr Einfaltspinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen

wollte sie es mir wohl sagen; sprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da sagte sie, morgen fruͤh, wenn der Vater auf die Jagd waͤre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden und dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen.“

Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Koͤchin in die Schlafkammer und wollte den Fundevogel holen, um ihn hinein zu werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort, da wurde ihr grausam angst und sie sprach vor sich: „was will ich nun sagen, wenn der Foͤrster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind. Geschwind hintennach, daß wir sie wieder kriegen!“

Da schickte die Koͤchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lehnchen zum Fundevogel: „verlaͤßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht!“ So sprach Fundevogel: „nun und nimmermehr!“ Da sagte Lehnchen: „werde du zum Rosenstoͤckchen und ich zum Roͤschen drauf!“ Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da, als ein Rosenstrauch und ein Roͤschen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: „hier ist nichts zu machen“ und gingen heim, und sagten vor die Koͤchin, sie haͤtten nichts in der Welt gesehen, als nur ein Rosenstoͤckchen mit einem Roͤschen oben drauf. Da schalt die alte Koͤchin: „ihr Einfaltspinsel, ihr haͤttet das Rosenstoͤckchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0319" n="255"/>
wollte sie es mir wohl sagen; sprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da sagte sie, morgen fru&#x0364;h, wenn der Vater auf die Jagd wa&#x0364;re, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden und dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Ko&#x0364;chin in die Schlafkammer und wollte den Fundevogel holen, um ihn hinein zu werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort, da wurde ihr grausam angst und sie sprach vor sich: &#x201E;was will ich nun sagen, wenn der Fo&#x0364;rster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind. Geschwind hintennach, daß wir sie wieder kriegen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Da schickte die Ko&#x0364;chin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lehnchen zum Fundevogel: &#x201E;verla&#x0364;ßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht!&#x201C; So sprach Fundevogel: &#x201E;nun und nimmermehr!&#x201C; Da sagte Lehnchen: &#x201E;werde du zum Rosensto&#x0364;ckchen und ich zum Ro&#x0364;schen drauf!&#x201C; Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da, als ein Rosenstrauch und ein Ro&#x0364;schen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: &#x201E;hier ist nichts zu machen&#x201C; und gingen heim, und sagten vor die Ko&#x0364;chin, sie ha&#x0364;tten nichts in der Welt gesehen, als nur ein Rosensto&#x0364;ckchen mit einem Ro&#x0364;schen oben drauf. Da schalt die alte Ko&#x0364;chin: &#x201E;ihr Einfaltspinsel, ihr ha&#x0364;ttet das Rosensto&#x0364;ckchen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0319] wollte sie es mir wohl sagen; sprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da sagte sie, morgen fruͤh, wenn der Vater auf die Jagd waͤre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden und dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen.“ Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Koͤchin in die Schlafkammer und wollte den Fundevogel holen, um ihn hinein zu werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort, da wurde ihr grausam angst und sie sprach vor sich: „was will ich nun sagen, wenn der Foͤrster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind. Geschwind hintennach, daß wir sie wieder kriegen!“ Da schickte die Koͤchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lehnchen zum Fundevogel: „verlaͤßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht!“ So sprach Fundevogel: „nun und nimmermehr!“ Da sagte Lehnchen: „werde du zum Rosenstoͤckchen und ich zum Roͤschen drauf!“ Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da, als ein Rosenstrauch und ein Roͤschen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: „hier ist nichts zu machen“ und gingen heim, und sagten vor die Koͤchin, sie haͤtten nichts in der Welt gesehen, als nur ein Rosenstoͤckchen mit einem Roͤschen oben drauf. Da schalt die alte Koͤchin: „ihr Einfaltspinsel, ihr haͤttet das Rosenstoͤckchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/319
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/319>, abgerufen am 17.05.2024.