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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Auffassen kann genannt werden, im Gegentheil ist Aufmerksamkeit und ein Takt nöthig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das Einfachere, Reinere, und doch in sich Vollkommnere, von dem Verfälschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzählungen haben wir, sobald sie sich ergänzten, und zu ihrer Vereinigung keine Widersprüche wegzuschneiden waren, als eine mitgetheilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewöhnlich ihre eigenthümlichen Züge hatte, der besten den Vorzug gegeben, und die andern für die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen nämlich erscheinen uns merkwürdiger, als denen, welche darin bloß Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß Vorhandenen, Unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.

Eine entschiedene Mundart haben wir gern beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein

Auffassen kann genannt werden, im Gegentheil ist Aufmerksamkeit und ein Takt noͤthig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das Einfachere, Reinere, und doch in sich Vollkommnere, von dem Verfaͤlschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzaͤhlungen haben wir, sobald sie sich ergaͤnzten, und zu ihrer Vereinigung keine Widerspruͤche wegzuschneiden waren, als eine mitgetheilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewoͤhnlich ihre eigenthuͤmlichen Zuͤge hatte, der besten den Vorzug gegeben, und die andern fuͤr die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen naͤmlich erscheinen uns merkwuͤrdiger, als denen, welche darin bloß Abaͤnderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß Vorhandenen, Unerschoͤpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu naͤhern. Wiederholungen einzelner Saͤtze, Zuͤge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich ruͤhrt, der sie anschlaͤgt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.

Eine entschiedene Mundart haben wir gern beibehalten. Haͤtte es uͤberall geschehen koͤnnen, so wuͤrde die Erzaͤhlung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein

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[XVI/0024] Auffassen kann genannt werden, im Gegentheil ist Aufmerksamkeit und ein Takt noͤthig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das Einfachere, Reinere, und doch in sich Vollkommnere, von dem Verfaͤlschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzaͤhlungen haben wir, sobald sie sich ergaͤnzten, und zu ihrer Vereinigung keine Widerspruͤche wegzuschneiden waren, als eine mitgetheilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewoͤhnlich ihre eigenthuͤmlichen Zuͤge hatte, der besten den Vorzug gegeben, und die andern fuͤr die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen naͤmlich erscheinen uns merkwuͤrdiger, als denen, welche darin bloß Abaͤnderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß Vorhandenen, Unerschoͤpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu naͤhern. Wiederholungen einzelner Saͤtze, Zuͤge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich ruͤhrt, der sie anschlaͤgt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen. Eine entschiedene Mundart haben wir gern beibehalten. Haͤtte es uͤberall geschehen koͤnnen, so wuͤrde die Erzaͤhlung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/24>, abgerufen am 29.03.2024.