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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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neune nach einander hatte hinrichten lassen, da begab sichs, daß ein Kaufmannssohn von dem Gebot hörte und bei sich beschloß, hinzureisen und sein Diener, der klug war, sollte mit ihm gehen und ihm Beistand leisten. Vier Augen, dachte er, sehen mehr als zwei, wir wollen uns schon durchschlagen, frisch gewagt, ist halb gewonnen. Vater und Mutter aber, wie sie davon hörten, waren in großer Trauer und weil sie gewiß glaubten, ihr liebes Kind müße dort sterben, wollten sie ihn nicht hingehen lassen und sprachen: "es ist besser, daß er bei uns stirbt und begraben wird, als in der Fremde." Darum tröpfelten sie Gift in den Abschieds-Wein und sprachen: "lieber Sohn, trink zum letztenmal mit uns," aber es war, als merkte er ihr Vorhaben, denn er wollte nicht trinken, sondern bestieg das Pferd und sprach: "lebt wohl, liebe Eltern, ich muß fort, eh ein anderer die schöne Jungfrau gewinnt;" da reichten sie ihm das Glas hinauf, daß er mit Gewalt trinken sollte, aber er gab dem Pferde die Sporn, daß der Wein verschüttete und dem Pferde davon ins Ohr sprützte. Als sie eine Weil geritten waren, fiel das Pferd um, da wollte sich der Herr auf des Dieners Pferd setzen und der Diener sollte zu Fuß hinter drein gehen und den Bündel auf den Rücken tragen. Nun ließen sich Raben auf das todte Pferd nieder und fraßen davon, weil aber das Fleisch vergiftet war, werden sie auch vergiftet und fielen bald um. Da hob der Diener drei von den todten Raben auf, nahm sie mit ins Wirthshaus und dachte: das soll Futter geben für die Spitzbuben. Und ließ sie klein hacken und drei Brote daraus backen. Am andern Morgen kamen sie im

neune nach einander hatte hinrichten lassen, da begab sichs, daß ein Kaufmannssohn von dem Gebot hoͤrte und bei sich beschloß, hinzureisen und sein Diener, der klug war, sollte mit ihm gehen und ihm Beistand leisten. Vier Augen, dachte er, sehen mehr als zwei, wir wollen uns schon durchschlagen, frisch gewagt, ist halb gewonnen. Vater und Mutter aber, wie sie davon hoͤrten, waren in großer Trauer und weil sie gewiß glaubten, ihr liebes Kind muͤße dort sterben, wollten sie ihn nicht hingehen lassen und sprachen: „es ist besser, daß er bei uns stirbt und begraben wird, als in der Fremde.“ Darum troͤpfelten sie Gift in den Abschieds-Wein und sprachen: „lieber Sohn, trink zum letztenmal mit uns,“ aber es war, als merkte er ihr Vorhaben, denn er wollte nicht trinken, sondern bestieg das Pferd und sprach: „lebt wohl, liebe Eltern, ich muß fort, eh ein anderer die schoͤne Jungfrau gewinnt;“ da reichten sie ihm das Glas hinauf, daß er mit Gewalt trinken sollte, aber er gab dem Pferde die Sporn, daß der Wein verschuͤttete und dem Pferde davon ins Ohr spruͤtzte. Als sie eine Weil geritten waren, fiel das Pferd um, da wollte sich der Herr auf des Dieners Pferd setzen und der Diener sollte zu Fuß hinter drein gehen und den Buͤndel auf den Ruͤcken tragen. Nun ließen sich Raben auf das todte Pferd nieder und fraßen davon, weil aber das Fleisch vergiftet war, werden sie auch vergiftet und fielen bald um. Da hob der Diener drei von den todten Raben auf, nahm sie mit ins Wirthshaus und dachte: das soll Futter geben fuͤr die Spitzbuben. Und ließ sie klein hacken und drei Brote daraus backen. Am andern Morgen kamen sie im

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[124/0188] neune nach einander hatte hinrichten lassen, da begab sichs, daß ein Kaufmannssohn von dem Gebot hoͤrte und bei sich beschloß, hinzureisen und sein Diener, der klug war, sollte mit ihm gehen und ihm Beistand leisten. Vier Augen, dachte er, sehen mehr als zwei, wir wollen uns schon durchschlagen, frisch gewagt, ist halb gewonnen. Vater und Mutter aber, wie sie davon hoͤrten, waren in großer Trauer und weil sie gewiß glaubten, ihr liebes Kind muͤße dort sterben, wollten sie ihn nicht hingehen lassen und sprachen: „es ist besser, daß er bei uns stirbt und begraben wird, als in der Fremde.“ Darum troͤpfelten sie Gift in den Abschieds-Wein und sprachen: „lieber Sohn, trink zum letztenmal mit uns,“ aber es war, als merkte er ihr Vorhaben, denn er wollte nicht trinken, sondern bestieg das Pferd und sprach: „lebt wohl, liebe Eltern, ich muß fort, eh ein anderer die schoͤne Jungfrau gewinnt;“ da reichten sie ihm das Glas hinauf, daß er mit Gewalt trinken sollte, aber er gab dem Pferde die Sporn, daß der Wein verschuͤttete und dem Pferde davon ins Ohr spruͤtzte. Als sie eine Weil geritten waren, fiel das Pferd um, da wollte sich der Herr auf des Dieners Pferd setzen und der Diener sollte zu Fuß hinter drein gehen und den Buͤndel auf den Ruͤcken tragen. Nun ließen sich Raben auf das todte Pferd nieder und fraßen davon, weil aber das Fleisch vergiftet war, werden sie auch vergiftet und fielen bald um. Da hob der Diener drei von den todten Raben auf, nahm sie mit ins Wirthshaus und dachte: das soll Futter geben fuͤr die Spitzbuben. Und ließ sie klein hacken und drei Brote daraus backen. Am andern Morgen kamen sie im

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/188>, abgerufen am 05.05.2024.