Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

bis der Mond aufgegangen ist. Und als der
Mond aufgegangen war, faßte er die Gre-
tel bei der Hand, da lagen die Kieselsteine
wie neugeschlagene Batzen und schimmerten und
zeigten ihnen den Weg. Da gingen sie die
ganze Nacht durch, und wie es Morgen war,
kamen sie wieder bei ihres Vaters Haus an.
Der Vater freute sich von Herzen, als er seine
Kinder wieder sah, denn er hatte sie ungern
allein gelassen, die Mutter stellte sich auch, als
wenn sie sich freute, heimlich aber war sie bös.

Nicht lange darnach, war wieder kein Brod
im Hause und Hänsel und Gretel hörten wie
Abends die Mutter zum Vater sagte: "einmal
haben die Kinder den Weg zurückgefunden, und
da habe ichs gut seyn lassen, aber jetzt ist wie-
der nichts, als nur noch ein halber Laib Brod
im Haus, du mußt sie morgen tiefer in den
Wald führen, daß sie nicht wieder heim kom-
men können, es ist sonst keine Hülfe für uns
mehr." Dem Mann fiels schwer aufs Herz,
und er gedachte, es wäre doch besser, wenn du
den letzten Bissen mit deinen Kindern theiltest,
weil er es aber einmal gethan hatte, so durfte
er nicht nein sagen. Hänsel und Gretel hörten
das Gespräch der Eltern; Hänsel stand auf und
wollte wieder Kieselsteine auflesen, wie er aber
an die Thüre kam, da hatte sie die Mutter zu-
geschlossen. Doch tröstete er die Gretel und

bis der Mond aufgegangen iſt. Und als der
Mond aufgegangen war, faßte er die Gre-
tel bei der Hand, da lagen die Kieſelſteine
wie neugeſchlagene Batzen und ſchimmerten und
zeigten ihnen den Weg. Da gingen ſie die
ganze Nacht durch, und wie es Morgen war,
kamen ſie wieder bei ihres Vaters Haus an.
Der Vater freute ſich von Herzen, als er ſeine
Kinder wieder ſah, denn er hatte ſie ungern
allein gelaſſen, die Mutter ſtellte ſich auch, als
wenn ſie ſich freute, heimlich aber war ſie boͤs.

Nicht lange darnach, war wieder kein Brod
im Hauſe und Haͤnſel und Gretel hoͤrten wie
Abends die Mutter zum Vater ſagte: „einmal
haben die Kinder den Weg zuruͤckgefunden, und
da habe ichs gut ſeyn laſſen, aber jetzt iſt wie-
der nichts, als nur noch ein halber Laib Brod
im Haus, du mußt ſie morgen tiefer in den
Wald fuͤhren, daß ſie nicht wieder heim kom-
men koͤnnen, es iſt ſonſt keine Huͤlfe fuͤr uns
mehr.“ Dem Mann fiels ſchwer aufs Herz,
und er gedachte, es waͤre doch beſſer, wenn du
den letzten Biſſen mit deinen Kindern theilteſt,
weil er es aber einmal gethan hatte, ſo durfte
er nicht nein ſagen. Haͤnſel und Gretel hoͤrten
das Geſpraͤch der Eltern; Haͤnſel ſtand auf und
wollte wieder Kieſelſteine aufleſen, wie er aber
an die Thuͤre kam, da hatte ſie die Mutter zu-
geſchloſſen. Doch troͤſtete er die Gretel und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="52"/>
bis der Mond aufgegangen i&#x017F;t. Und als der<lb/>
Mond aufgegangen war, faßte er die Gre-<lb/>
tel bei der Hand, da lagen die Kie&#x017F;el&#x017F;teine<lb/>
wie neuge&#x017F;chlagene Batzen und &#x017F;chimmerten und<lb/>
zeigten ihnen den Weg. Da gingen &#x017F;ie die<lb/>
ganze Nacht durch, und wie es Morgen war,<lb/>
kamen &#x017F;ie wieder bei ihres Vaters Haus an.<lb/>
Der Vater freute &#x017F;ich von Herzen, als er &#x017F;eine<lb/>
Kinder wieder &#x017F;ah, denn er hatte &#x017F;ie ungern<lb/>
allein gela&#x017F;&#x017F;en, die Mutter &#x017F;tellte &#x017F;ich auch, als<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich freute, heimlich aber war &#x017F;ie bo&#x0364;s.</p><lb/>
        <p>Nicht lange darnach, war wieder kein Brod<lb/>
im Hau&#x017F;e und Ha&#x0364;n&#x017F;el und Gretel ho&#x0364;rten wie<lb/>
Abends die Mutter zum Vater &#x017F;agte: &#x201E;einmal<lb/>
haben die Kinder den Weg zuru&#x0364;ckgefunden, und<lb/>
da habe ichs gut &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en, aber jetzt i&#x017F;t wie-<lb/>
der nichts, als nur noch ein halber Laib Brod<lb/>
im Haus, du mußt &#x017F;ie morgen tiefer in den<lb/>
Wald fu&#x0364;hren, daß &#x017F;ie nicht wieder heim kom-<lb/>
men ko&#x0364;nnen, es i&#x017F;t &#x017F;on&#x017F;t keine Hu&#x0364;lfe fu&#x0364;r uns<lb/>
mehr.&#x201C; Dem Mann fiels &#x017F;chwer aufs Herz,<lb/>
und er gedachte, es wa&#x0364;re doch be&#x017F;&#x017F;er, wenn du<lb/>
den letzten Bi&#x017F;&#x017F;en mit deinen Kindern theilte&#x017F;t,<lb/>
weil er es aber einmal gethan hatte, &#x017F;o durfte<lb/>
er nicht nein &#x017F;agen. Ha&#x0364;n&#x017F;el und Gretel ho&#x0364;rten<lb/>
das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch der Eltern; Ha&#x0364;n&#x017F;el &#x017F;tand auf und<lb/>
wollte wieder Kie&#x017F;el&#x017F;teine aufle&#x017F;en, wie er aber<lb/>
an die Thu&#x0364;re kam, da hatte &#x017F;ie die Mutter zu-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Doch tro&#x0364;&#x017F;tete er die Gretel und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0086] bis der Mond aufgegangen iſt. Und als der Mond aufgegangen war, faßte er die Gre- tel bei der Hand, da lagen die Kieſelſteine wie neugeſchlagene Batzen und ſchimmerten und zeigten ihnen den Weg. Da gingen ſie die ganze Nacht durch, und wie es Morgen war, kamen ſie wieder bei ihres Vaters Haus an. Der Vater freute ſich von Herzen, als er ſeine Kinder wieder ſah, denn er hatte ſie ungern allein gelaſſen, die Mutter ſtellte ſich auch, als wenn ſie ſich freute, heimlich aber war ſie boͤs. Nicht lange darnach, war wieder kein Brod im Hauſe und Haͤnſel und Gretel hoͤrten wie Abends die Mutter zum Vater ſagte: „einmal haben die Kinder den Weg zuruͤckgefunden, und da habe ichs gut ſeyn laſſen, aber jetzt iſt wie- der nichts, als nur noch ein halber Laib Brod im Haus, du mußt ſie morgen tiefer in den Wald fuͤhren, daß ſie nicht wieder heim kom- men koͤnnen, es iſt ſonſt keine Huͤlfe fuͤr uns mehr.“ Dem Mann fiels ſchwer aufs Herz, und er gedachte, es waͤre doch beſſer, wenn du den letzten Biſſen mit deinen Kindern theilteſt, weil er es aber einmal gethan hatte, ſo durfte er nicht nein ſagen. Haͤnſel und Gretel hoͤrten das Geſpraͤch der Eltern; Haͤnſel ſtand auf und wollte wieder Kieſelſteine aufleſen, wie er aber an die Thuͤre kam, da hatte ſie die Mutter zu- geſchloſſen. Doch troͤſtete er die Gretel und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/86
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/86>, abgerufen am 04.05.2024.