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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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dem Wald zerreißen würden." "Wenn du das
nicht thust, sprach die Frau, so müssen wir alle
miteinander Hungers sterben;" da ließ sie ihm
keine Ruhe, bis er Ja sagte.

Die zwei Kinder waren auch noch wach
von Hunger, und hatten alles gehört, was die
Mutter zum Vater gesagt hatte. Gretel dach-
te, nun ist es um mich geschehen und fing er-
bärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach:
"sey still, Gretel, und gräm dich nicht, ich will
uns helfen." Damit stieg er auf, zog sein
Röcklein an, machte die Unterthüre auf und
schlich hinaus. Da schien der Mond hell und
die weißen Kieselsteine glänzten wie lauter Ba-
tzen. Hänsel bückte sich und machte sich sein
ganz Rocktäschlein voll davon, so viel nur hin-
ein wollten, dann ging er zurück ins Haus:
"tröste dich, Gretel, und schlaf nur ruhig," leg-
te sich wieder ins Bett und schlief ein.

Morgens früh, ehe die Sonne noch aufge-
gangen war, kam die Mutter und weckte sie
alle beide: "steht auf, ihr Kinder, wir wollen
in den Wald gehen, da habt ihr jedes ein Stück-
lein Brod, aber haltets zu Rathe und hebts
euch für den Mittag auf." Gretel nahm das
Brod unter die Schürze, weil Hänsel die Stei-
ne in der Tasche hatte, dann machten sie sich
auf den Weg in den Wald hinein. Wie sie
ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel

dem Wald zerreißen wuͤrden.“ „Wenn du das
nicht thuſt, ſprach die Frau, ſo muͤſſen wir alle
miteinander Hungers ſterben;“ da ließ ſie ihm
keine Ruhe, bis er Ja ſagte.

Die zwei Kinder waren auch noch wach
von Hunger, und hatten alles gehoͤrt, was die
Mutter zum Vater geſagt hatte. Gretel dach-
te, nun iſt es um mich geſchehen und fing er-
baͤrmlich an zu weinen, Haͤnſel aber ſprach:
„ſey ſtill, Gretel, und graͤm dich nicht, ich will
uns helfen.“ Damit ſtieg er auf, zog ſein
Roͤcklein an, machte die Unterthuͤre auf und
ſchlich hinaus. Da ſchien der Mond hell und
die weißen Kieſelſteine glaͤnzten wie lauter Ba-
tzen. Haͤnſel buͤckte ſich und machte ſich ſein
ganz Rocktaͤſchlein voll davon, ſo viel nur hin-
ein wollten, dann ging er zuruͤck ins Haus:
„troͤſte dich, Gretel, und ſchlaf nur ruhig,“ leg-
te ſich wieder ins Bett und ſchlief ein.

Morgens fruͤh, ehe die Sonne noch aufge-
gangen war, kam die Mutter und weckte ſie
alle beide: „ſteht auf, ihr Kinder, wir wollen
in den Wald gehen, da habt ihr jedes ein Stuͤck-
lein Brod, aber haltets zu Rathe und hebts
euch fuͤr den Mittag auf.“ Gretel nahm das
Brod unter die Schuͤrze, weil Haͤnſel die Stei-
ne in der Taſche hatte, dann machten ſie ſich
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[50/0084] dem Wald zerreißen wuͤrden.“ „Wenn du das nicht thuſt, ſprach die Frau, ſo muͤſſen wir alle miteinander Hungers ſterben;“ da ließ ſie ihm keine Ruhe, bis er Ja ſagte. Die zwei Kinder waren auch noch wach von Hunger, und hatten alles gehoͤrt, was die Mutter zum Vater geſagt hatte. Gretel dach- te, nun iſt es um mich geſchehen und fing er- baͤrmlich an zu weinen, Haͤnſel aber ſprach: „ſey ſtill, Gretel, und graͤm dich nicht, ich will uns helfen.“ Damit ſtieg er auf, zog ſein Roͤcklein an, machte die Unterthuͤre auf und ſchlich hinaus. Da ſchien der Mond hell und die weißen Kieſelſteine glaͤnzten wie lauter Ba- tzen. Haͤnſel buͤckte ſich und machte ſich ſein ganz Rocktaͤſchlein voll davon, ſo viel nur hin- ein wollten, dann ging er zuruͤck ins Haus: „troͤſte dich, Gretel, und ſchlaf nur ruhig,“ leg- te ſich wieder ins Bett und ſchlief ein. Morgens fruͤh, ehe die Sonne noch aufge- gangen war, kam die Mutter und weckte ſie alle beide: „ſteht auf, ihr Kinder, wir wollen in den Wald gehen, da habt ihr jedes ein Stuͤck- lein Brod, aber haltets zu Rathe und hebts euch fuͤr den Mittag auf.“ Gretel nahm das Brod unter die Schuͤrze, weil Haͤnſel die Stei- ne in der Taſche hatte, dann machten ſie ſich auf den Weg in den Wald hinein. Wie ſie ein Weilchen gegangen waren, ſtand Haͤnſel

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/84>, abgerufen am 21.11.2024.