Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

ter den Nürnberger Spielwaaren ist der Storch
mit dem Wickelkind im Schnabel sehr häufig.

Bronner erzählt in s. Leben Zürch 1795. I,
23. 24.
) "da fragte ich meinen Vater einst bei
Tische: wo ist denn unser Brüderlein hergekom-
men? die Hebamme saß auch dabei. Diese Frau
da, sagte er, hat es aus dem Krautgarten herein-
gebracht, du kannst noch heute den hohlen Baum
sehen, aus dem die kleinen Kinder immer heraus-
schauen, die man denn abholen läßt, sobald man
ihrer verlangt, u. s. w. Es war eine hohle Wei-
de an einem Teich, Bronner schaute hinein und
sah den Knaben im Wasser, sein Vater hieß ihn
rufen: Buben, wo seid ihr? und er zweifelte nicht
mehr. In einem Kinderlied:
die andere geht ans Brünnchen
und findt ein goldnes Kindchen.

2) Wenn man Papier verbrennt, giebt man
Acht, wie die Funken auf dem schwarzen herumge-
hen und nach und nach verschwinden, besonders
auf den allerletzten. Man sagt: das seyen die
Leute die aus der Kirche gingen, und der letz-
te sey der Glöckner, (Küster der die Thüre zu-
schließe. Französ. que c'est l'abbesse, qui fait
coucher les nonnains.

3) Wenn die Kinder Abends vor Müdigkeit mit
den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach
blieben, aber nicht können, heißt es: das Sand-
männchen
kommt! Baierisch: Pechmännchen
(Schmidt westerwald. Id) Schütze (im holstein.
Id. 4, p. 3. 4) meint es sey aus Sämännchen ent-
stellt, wie Sandsaier, aus Saatsaier; "de Saat-
saier kumt," wenn einer schläfert, und still ist, wie
im stillen Wetter gesät wird. Offenbar gezwun-
gen. Nach der griech. Mythe sprengt der Schlaf
Lethewasser in die Augen (wie dort Sand),
und weht mit seinen Flügeln, bis man entschläft.
Bei Zeus setzt er sich auf die höchste Tanne des
Ida in das stachelvolle Gezweig.

4) Frisches Brod aus neuem Korn heißt Haa-
senbrod
, und der Haase hat es im Wald gebak-
ken. Wenn auf den Bergen Nebel liegt, so ist es
der Rauch aus seiner Küche: "der Haas kocht."


ter den Nuͤrnberger Spielwaaren iſt der Storch
mit dem Wickelkind im Schnabel ſehr haͤufig.

Bronner erzaͤhlt in ſ. Leben Zuͤrch 1795. I,
23. 24.
) „da fragte ich meinen Vater einſt bei
Tiſche: wo iſt denn unſer Bruͤderlein hergekom-
men? die Hebamme ſaß auch dabei. Dieſe Frau
da, ſagte er, hat es aus dem Krautgarten herein-
gebracht, du kannſt noch heute den hohlen Baum
ſehen, aus dem die kleinen Kinder immer heraus-
ſchauen, die man denn abholen laͤßt, ſobald man
ihrer verlangt, u. ſ. w. Es war eine hohle Wei-
de an einem Teich, Bronner ſchaute hinein und
ſah den Knaben im Waſſer, ſein Vater hieß ihn
rufen: Buben, wo ſeid ihr? und er zweifelte nicht
mehr. In einem Kinderlied:
die andere geht ans Bruͤnnchen
und findt ein goldnes Kindchen.

2) Wenn man Papier verbrennt, giebt man
Acht, wie die Funken auf dem ſchwarzen herumge-
hen und nach und nach verſchwinden, beſonders
auf den allerletzten. Man ſagt: das ſeyen die
Leute die aus der Kirche gingen, und der letz-
te ſey der Gloͤckner, (Kuͤſter der die Thuͤre zu-
ſchließe. Franzoͤſ. que c'est l'abbesse, qui fait
coucher les nonnains.

3) Wenn die Kinder Abends vor Muͤdigkeit mit
den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach
blieben, aber nicht koͤnnen, heißt es: das Sand-
maͤnnchen
kommt! Baieriſch: Pechmaͤnnchen
(Schmidt weſterwald. Id) Schuͤtze (im holſtein.
Id. 4, p. 3. 4) meint es ſey aus Saͤmaͤnnchen ent-
ſtellt, wie Sandſaier, aus Saatſaier; „de Saat-
ſaier kumt,“ wenn einer ſchlaͤfert, und ſtill iſt, wie
im ſtillen Wetter geſaͤt wird. Offenbar gezwun-
gen. Nach der griech. Mythe ſprengt der Schlaf
Lethewaſſer in die Augen (wie dort Sand),
und weht mit ſeinen Fluͤgeln, bis man entſchlaͤft.
Bei Zeus ſetzt er ſich auf die hoͤchſte Tanne des
Ida in das ſtachelvolle Gezweig.

4) Friſches Brod aus neuem Korn heißt Haa-
ſenbrod
, und der Haaſe hat es im Wald gebak-
ken. Wenn auf den Bergen Nebel liegt, ſo iſt es
der Rauch aus ſeiner Kuͤche: „der Haas kocht.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0480" n="LVIII"/>
ter den Nu&#x0364;rnberger Spielwaaren i&#x017F;t der Storch<lb/>
mit dem Wickelkind im Schnabel &#x017F;ehr ha&#x0364;ufig.</p><lb/>
          <p>Bronner erza&#x0364;hlt in &#x017F;. Leben Zu&#x0364;rch 1795. <hi rendition="#aq">I,<lb/>
23. 24.</hi>) &#x201E;da fragte ich meinen Vater ein&#x017F;t bei<lb/>
Ti&#x017F;che: wo i&#x017F;t denn un&#x017F;er Bru&#x0364;derlein hergekom-<lb/>
men? die Hebamme &#x017F;aß auch dabei. Die&#x017F;e Frau<lb/>
da, &#x017F;agte er, hat es aus dem Krautgarten herein-<lb/>
gebracht, du kann&#x017F;t noch heute den <hi rendition="#g">hohlen Baum</hi><lb/>
&#x017F;ehen, aus dem die kleinen Kinder immer heraus-<lb/>
&#x017F;chauen, die man denn abholen la&#x0364;ßt, &#x017F;obald man<lb/>
ihrer verlangt, u. &#x017F;. w. Es war eine hohle Wei-<lb/>
de an einem Teich, Bronner &#x017F;chaute hinein und<lb/>
&#x017F;ah den Knaben im Wa&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;ein Vater hieß ihn<lb/>
rufen: Buben, wo &#x017F;eid ihr? und er zweifelte nicht<lb/>
mehr. In einem Kinderlied:<lb/><hi rendition="#c">die andere geht ans Bru&#x0364;nnchen<lb/>
und findt ein goldnes Kindchen.</hi></p><lb/>
          <p>2) Wenn man Papier verbrennt, giebt man<lb/>
Acht, wie die Funken auf dem &#x017F;chwarzen herumge-<lb/>
hen und nach und nach ver&#x017F;chwinden, be&#x017F;onders<lb/>
auf den allerletzten. Man &#x017F;agt: das &#x017F;eyen die<lb/><hi rendition="#g">Leute</hi> die <hi rendition="#g">aus der Kirche</hi> gingen, und der letz-<lb/>
te &#x017F;ey der <hi rendition="#g">Glo&#x0364;ckner</hi>, (Ku&#x0364;&#x017F;ter der die Thu&#x0364;re zu-<lb/>
&#x017F;chließe. Franzo&#x0364;&#x017F;. <hi rendition="#aq">que <choice><sic>l'est</sic><corr type="corrigenda">c'est</corr></choice> l'abbesse, qui fait<lb/>
coucher les nonnains.</hi></p><lb/>
          <p>3) Wenn die Kinder Abends vor Mu&#x0364;digkeit mit<lb/>
den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach<lb/>
blieben, aber nicht ko&#x0364;nnen, heißt es: das <hi rendition="#g">Sand-<lb/>
ma&#x0364;nnchen</hi> kommt! Baieri&#x017F;ch: <hi rendition="#g">Pechma&#x0364;nnchen</hi><lb/>
(Schmidt we&#x017F;terwald. Id) Schu&#x0364;tze (im hol&#x017F;tein.<lb/>
Id. 4, p. 3. 4) meint es &#x017F;ey aus Sa&#x0364;ma&#x0364;nnchen ent-<lb/>
&#x017F;tellt, wie Sand&#x017F;aier, aus Saat&#x017F;aier; &#x201E;de Saat-<lb/>
&#x017F;aier kumt,&#x201C; wenn einer &#x017F;chla&#x0364;fert, und &#x017F;till i&#x017F;t, wie<lb/>
im &#x017F;tillen Wetter ge&#x017F;a&#x0364;t wird. Offenbar gezwun-<lb/>
gen. Nach der griech. Mythe <hi rendition="#g">&#x017F;prengt</hi> der Schlaf<lb/><hi rendition="#g">Lethewa&#x017F;&#x017F;er in die Augen</hi> (wie dort Sand),<lb/>
und weht mit &#x017F;einen Flu&#x0364;geln, bis man ent&#x017F;chla&#x0364;ft.<lb/>
Bei Zeus &#x017F;etzt er &#x017F;ich auf die ho&#x0364;ch&#x017F;te Tanne des<lb/>
Ida in das &#x017F;tachelvolle Gezweig.</p><lb/>
          <p>4) Fri&#x017F;ches Brod aus neuem Korn heißt <hi rendition="#g">Haa-<lb/>
&#x017F;enbrod</hi>, und der Haa&#x017F;e hat es im Wald gebak-<lb/>
ken. Wenn auf den Bergen Nebel liegt, &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
der Rauch aus &#x017F;einer Ku&#x0364;che: &#x201E;der Haas kocht.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[LVIII/0480] ter den Nuͤrnberger Spielwaaren iſt der Storch mit dem Wickelkind im Schnabel ſehr haͤufig. Bronner erzaͤhlt in ſ. Leben Zuͤrch 1795. I, 23. 24.) „da fragte ich meinen Vater einſt bei Tiſche: wo iſt denn unſer Bruͤderlein hergekom- men? die Hebamme ſaß auch dabei. Dieſe Frau da, ſagte er, hat es aus dem Krautgarten herein- gebracht, du kannſt noch heute den hohlen Baum ſehen, aus dem die kleinen Kinder immer heraus- ſchauen, die man denn abholen laͤßt, ſobald man ihrer verlangt, u. ſ. w. Es war eine hohle Wei- de an einem Teich, Bronner ſchaute hinein und ſah den Knaben im Waſſer, ſein Vater hieß ihn rufen: Buben, wo ſeid ihr? und er zweifelte nicht mehr. In einem Kinderlied: die andere geht ans Bruͤnnchen und findt ein goldnes Kindchen. 2) Wenn man Papier verbrennt, giebt man Acht, wie die Funken auf dem ſchwarzen herumge- hen und nach und nach verſchwinden, beſonders auf den allerletzten. Man ſagt: das ſeyen die Leute die aus der Kirche gingen, und der letz- te ſey der Gloͤckner, (Kuͤſter der die Thuͤre zu- ſchließe. Franzoͤſ. que c'est l'abbesse, qui fait coucher les nonnains. 3) Wenn die Kinder Abends vor Muͤdigkeit mit den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach blieben, aber nicht koͤnnen, heißt es: das Sand- maͤnnchen kommt! Baieriſch: Pechmaͤnnchen (Schmidt weſterwald. Id) Schuͤtze (im holſtein. Id. 4, p. 3. 4) meint es ſey aus Saͤmaͤnnchen ent- ſtellt, wie Sandſaier, aus Saatſaier; „de Saat- ſaier kumt,“ wenn einer ſchlaͤfert, und ſtill iſt, wie im ſtillen Wetter geſaͤt wird. Offenbar gezwun- gen. Nach der griech. Mythe ſprengt der Schlaf Lethewaſſer in die Augen (wie dort Sand), und weht mit ſeinen Fluͤgeln, bis man entſchlaͤft. Bei Zeus ſetzt er ſich auf die hoͤchſte Tanne des Ida in das ſtachelvolle Gezweig. 4) Friſches Brod aus neuem Korn heißt Haa- ſenbrod, und der Haaſe hat es im Wald gebak- ken. Wenn auf den Bergen Nebel liegt, ſo iſt es der Rauch aus ſeiner Kuͤche: „der Haas kocht.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/480
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. LVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/480>, abgerufen am 23.11.2024.