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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Vater, er wolle zusehen, ob er sie bekommen
könne, und sich rechte Mühe darum geben.

Als der Kaufmann wieder auf der Rück-
reise war, hatte er ein prächtiges Kleid für die
älteste, und ein paar schöne Schuhe für die
zweite, aber die Rose für die dritte hatte er
nicht bekommen können, wenn er in einen Gar-
ten gegangen war, und nach Rosen gefragt,
hatten die Leute ihn ausgelacht: "ob er denn
glaube, daß die Rosen im Schnee wüchsen."
Das war ihm aber gar leid, und wie er dar-
über sann, ob er gar nichts für sein liebstes
Kind mitbringen könne, kam er vor ein Schloß,
und dabei war ein Garten, in dem war es
halb Sommer und halb Winter, und auf der
einen Seite blühten die schönsten Blumen groß
und klein, und auf der andern war alles kahl
und lag ein tiefer Schnee. Der Mann stieg
vom Pferd herab, und wie er eine ganze Hecke
voll Rosen auf der Sommerseite erblickte, war
er froh, ging hinzu und brach eine ab, dann
ritt er wieder fort. Er war schon ein Stück
Wegs geritten, da hörte er etwas hinter sich
herlaufen und schnaufen, er drehte sich um, und
sah ein großes schwarzes Thier, das rief: "du
giebst mir meine Rose wieder, oder ich mache
dich todt, du giebst mir meine Rose wieder, oder
ich mach dich todt!" da sprach der Mann: "ich
bitt dich, laß mir die Rose, ich soll sie meiner

Vater, er wolle zuſehen, ob er ſie bekommen
koͤnne, und ſich rechte Muͤhe darum geben.

Als der Kaufmann wieder auf der Ruͤck-
reiſe war, hatte er ein praͤchtiges Kleid fuͤr die
aͤlteſte, und ein paar ſchoͤne Schuhe fuͤr die
zweite, aber die Roſe fuͤr die dritte hatte er
nicht bekommen koͤnnen, wenn er in einen Gar-
ten gegangen war, und nach Roſen gefragt,
hatten die Leute ihn ausgelacht: „ob er denn
glaube, daß die Roſen im Schnee wuͤchſen.“
Das war ihm aber gar leid, und wie er dar-
uͤber ſann, ob er gar nichts fuͤr ſein liebſtes
Kind mitbringen koͤnne, kam er vor ein Schloß,
und dabei war ein Garten, in dem war es
halb Sommer und halb Winter, und auf der
einen Seite bluͤhten die ſchoͤnſten Blumen groß
und klein, und auf der andern war alles kahl
und lag ein tiefer Schnee. Der Mann ſtieg
vom Pferd herab, und wie er eine ganze Hecke
voll Roſen auf der Sommerſeite erblickte, war
er froh, ging hinzu und brach eine ab, dann
ritt er wieder fort. Er war ſchon ein Stuͤck
Wegs geritten, da hoͤrte er etwas hinter ſich
herlaufen und ſchnaufen, er drehte ſich um, und
ſah ein großes ſchwarzes Thier, das rief: „du
giebſt mir meine Roſe wieder, oder ich mache
dich todt, du giebſt mir meine Roſe wieder, oder
ich mach dich todt!“ da ſprach der Mann: „ich
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[324/0358] Vater, er wolle zuſehen, ob er ſie bekommen koͤnne, und ſich rechte Muͤhe darum geben. Als der Kaufmann wieder auf der Ruͤck- reiſe war, hatte er ein praͤchtiges Kleid fuͤr die aͤlteſte, und ein paar ſchoͤne Schuhe fuͤr die zweite, aber die Roſe fuͤr die dritte hatte er nicht bekommen koͤnnen, wenn er in einen Gar- ten gegangen war, und nach Roſen gefragt, hatten die Leute ihn ausgelacht: „ob er denn glaube, daß die Roſen im Schnee wuͤchſen.“ Das war ihm aber gar leid, und wie er dar- uͤber ſann, ob er gar nichts fuͤr ſein liebſtes Kind mitbringen koͤnne, kam er vor ein Schloß, und dabei war ein Garten, in dem war es halb Sommer und halb Winter, und auf der einen Seite bluͤhten die ſchoͤnſten Blumen groß und klein, und auf der andern war alles kahl und lag ein tiefer Schnee. Der Mann ſtieg vom Pferd herab, und wie er eine ganze Hecke voll Roſen auf der Sommerſeite erblickte, war er froh, ging hinzu und brach eine ab, dann ritt er wieder fort. Er war ſchon ein Stuͤck Wegs geritten, da hoͤrte er etwas hinter ſich herlaufen und ſchnaufen, er drehte ſich um, und ſah ein großes ſchwarzes Thier, das rief: „du giebſt mir meine Roſe wieder, oder ich mache dich todt, du giebſt mir meine Roſe wieder, oder ich mach dich todt!“ da ſprach der Mann: „ich bitt dich, laß mir die Roſe, ich ſoll ſie meiner

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/358>, abgerufen am 24.11.2024.