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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Mädchen in eine schöne Blume, die mitten in
einer Dornhecke stand, ihren Liebsten Roland
aber in einen Geigenspieler. Wie die Alte an-
kam, fragte sie den Spielmann, ob sie sich die
Blume abbrechen dürfe, "o ja, antwortete der,
nur will ich dazu aufspielen." Da kroch sie in
die Hecke und suchte zu der Blume zu reichen;
wie sie aber mitten darin war, fing er an zu
spielen, und da mußte sie darnach tanzen und
tanzen ohne Aufhören, daß ihr die Dornen die
Kleider vom Leibe rissen und sie blutig stachen,
so lang, bis sie todt hinfiel.

Da waren beide frei. Roland aber sprach
zu dem Mädchen: "nun will ich heim gehen
zu meinem Vater, und die Hochzeit bestellen." --
"Da will ich mich indessen in einen rothen Feld-
stein verwandeln, und hier bleiben und warten,
bis du wieder kommst." Da stand es als ein
rother Stein und wartete lang auf seinen Lieb-
sten, aber der kam nicht wieder und hatte sie
vergessen, und als er gar nicht kommen wollte,
ward es ganz traurig und verwandelte sich in
eine Blume, und dachte, es wird mich ja bald
jemand umtreten. Ein Schäfer aber fand die
Blume, und weil sie so schön war, nahm er
sie mit sich, und legte sie daheim in seinen Ka-
sten. Von nun an aber ging es wunderlich
bei dem Schäfer zu: wenn er des Morgens
aufwachte, so war alles im Haus gethan, ge-

Maͤdchen in eine ſchoͤne Blume, die mitten in
einer Dornhecke ſtand, ihren Liebſten Roland
aber in einen Geigenſpieler. Wie die Alte an-
kam, fragte ſie den Spielmann, ob ſie ſich die
Blume abbrechen duͤrfe, „o ja, antwortete der,
nur will ich dazu aufſpielen.“ Da kroch ſie in
die Hecke und ſuchte zu der Blume zu reichen;
wie ſie aber mitten darin war, fing er an zu
ſpielen, und da mußte ſie darnach tanzen und
tanzen ohne Aufhoͤren, daß ihr die Dornen die
Kleider vom Leibe riſſen und ſie blutig ſtachen,
ſo lang, bis ſie todt hinfiel.

Da waren beide frei. Roland aber ſprach
zu dem Maͤdchen: „nun will ich heim gehen
zu meinem Vater, und die Hochzeit beſtellen.“ —
„Da will ich mich indeſſen in einen rothen Feld-
ſtein verwandeln, und hier bleiben und warten,
bis du wieder kommſt.“ Da ſtand es als ein
rother Stein und wartete lang auf ſeinen Lieb-
ſten, aber der kam nicht wieder und hatte ſie
vergeſſen, und als er gar nicht kommen wollte,
ward es ganz traurig und verwandelte ſich in
eine Blume, und dachte, es wird mich ja bald
jemand umtreten. Ein Schaͤfer aber fand die
Blume, und weil ſie ſo ſchoͤn war, nahm er
ſie mit ſich, und legte ſie daheim in ſeinen Ka-
ſten. Von nun an aber ging es wunderlich
bei dem Schaͤfer zu: wenn er des Morgens
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[258/0292] Maͤdchen in eine ſchoͤne Blume, die mitten in einer Dornhecke ſtand, ihren Liebſten Roland aber in einen Geigenſpieler. Wie die Alte an- kam, fragte ſie den Spielmann, ob ſie ſich die Blume abbrechen duͤrfe, „o ja, antwortete der, nur will ich dazu aufſpielen.“ Da kroch ſie in die Hecke und ſuchte zu der Blume zu reichen; wie ſie aber mitten darin war, fing er an zu ſpielen, und da mußte ſie darnach tanzen und tanzen ohne Aufhoͤren, daß ihr die Dornen die Kleider vom Leibe riſſen und ſie blutig ſtachen, ſo lang, bis ſie todt hinfiel. Da waren beide frei. Roland aber ſprach zu dem Maͤdchen: „nun will ich heim gehen zu meinem Vater, und die Hochzeit beſtellen.“ — „Da will ich mich indeſſen in einen rothen Feld- ſtein verwandeln, und hier bleiben und warten, bis du wieder kommſt.“ Da ſtand es als ein rother Stein und wartete lang auf ſeinen Lieb- ſten, aber der kam nicht wieder und hatte ſie vergeſſen, und als er gar nicht kommen wollte, ward es ganz traurig und verwandelte ſich in eine Blume, und dachte, es wird mich ja bald jemand umtreten. Ein Schaͤfer aber fand die Blume, und weil ſie ſo ſchoͤn war, nahm er ſie mit ſich, und legte ſie daheim in ſeinen Ka- ſten. Von nun an aber ging es wunderlich bei dem Schaͤfer zu: wenn er des Morgens aufwachte, ſo war alles im Haus gethan, ge-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/292>, abgerufen am 25.11.2024.