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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Kamm, verkleidete sich in eine ganz andere Ge-
stalt, und ging wieder hinaus. Sie klopfte an
die Thür, Sneewittchen aber rief: "ich darf
niemand hereinlassen;" da zog sie den Kamm
hervor, und als Sneewittchen den blinken sah
und es auch jemand ganz fremdes war, so machte
es doch auf, und kaufte ihr den Kamm ab. "Komm
ich will dich auch kämmen," sagte die Kräme-
rin, kaum aber stack der Kamm dem Snee-
wittchen in den Haaren, da fiel es nieder und
war todt. "Nun wirst du liegen bleiben,"
sagte die Königin, und ihr Herz war ihr leicht
geworden, und sie ging heim. Die Zwerge aber
kamen zu rechter Zeit, sahen was geschehen,
und zogen den giftigen Kamm aus den Haa-
ren, da schlug Sneewittchen die Augen auf,
und war wieder lebendig, und versprach den
Zwergen, es wollte gewiß niemand mehr ein-
lassen.

Die Königin aber stellte sich vor ihren
Spiegel:

"Spieglein, Spieglein an der Wand:
wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land!"

der Spiegel antwortete:
"Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier,
aber Sneewittchen bei den sieben Zwergelchen
ist tausendmal schöner als Ihr!"

Wie das die Königin wieder hörte, zitterte und

Kamm, verkleidete ſich in eine ganz andere Ge-
ſtalt, und ging wieder hinaus. Sie klopfte an
die Thuͤr, Sneewittchen aber rief: „ich darf
niemand hereinlaſſen;“ da zog ſie den Kamm
hervor, und als Sneewittchen den blinken ſah
und es auch jemand ganz fremdes war, ſo machte
es doch auf, und kaufte ihr den Kamm ab. „Komm
ich will dich auch kaͤmmen,“ ſagte die Kraͤme-
rin, kaum aber ſtack der Kamm dem Snee-
wittchen in den Haaren, da fiel es nieder und
war todt. „Nun wirſt du liegen bleiben,“
ſagte die Koͤnigin, und ihr Herz war ihr leicht
geworden, und ſie ging heim. Die Zwerge aber
kamen zu rechter Zeit, ſahen was geſchehen,
und zogen den giftigen Kamm aus den Haa-
ren, da ſchlug Sneewittchen die Augen auf,
und war wieder lebendig, und verſprach den
Zwergen, es wollte gewiß niemand mehr ein-
laſſen.

Die Koͤnigin aber ſtellte ſich vor ihren
Spiegel:

„Spieglein, Spieglein an der Wand:
wer iſt die ſchoͤnſte Frau in dem ganzen Land!“

der Spiegel antwortete:
„Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier,
aber Sneewittchen bei den ſieben Zwergelchen
iſt tauſendmal ſchoͤner als Ihr!“

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[245/0279] Kamm, verkleidete ſich in eine ganz andere Ge- ſtalt, und ging wieder hinaus. Sie klopfte an die Thuͤr, Sneewittchen aber rief: „ich darf niemand hereinlaſſen;“ da zog ſie den Kamm hervor, und als Sneewittchen den blinken ſah und es auch jemand ganz fremdes war, ſo machte es doch auf, und kaufte ihr den Kamm ab. „Komm ich will dich auch kaͤmmen,“ ſagte die Kraͤme- rin, kaum aber ſtack der Kamm dem Snee- wittchen in den Haaren, da fiel es nieder und war todt. „Nun wirſt du liegen bleiben,“ ſagte die Koͤnigin, und ihr Herz war ihr leicht geworden, und ſie ging heim. Die Zwerge aber kamen zu rechter Zeit, ſahen was geſchehen, und zogen den giftigen Kamm aus den Haa- ren, da ſchlug Sneewittchen die Augen auf, und war wieder lebendig, und verſprach den Zwergen, es wollte gewiß niemand mehr ein- laſſen. Die Koͤnigin aber ſtellte ſich vor ihren Spiegel: „Spieglein, Spieglein an der Wand: wer iſt die ſchoͤnſte Frau in dem ganzen Land!“ der Spiegel antwortete: „Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier, aber Sneewittchen bei den ſieben Zwergelchen iſt tauſendmal ſchoͤner als Ihr!“ Wie das die Koͤnigin wieder hoͤrte, zitterte und

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/279>, abgerufen am 22.11.2024.