Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
40.
Der Räuberbräutigam.

Eine Prinzessin war mit einem Prinzen
versprochen, der bat sie mehrmals, sie möchte
ihn doch einmal in seinem Schloß besuchen,
allein weil der Weg durch einen großen Wald
führte, so lehnte sie es immer ab, aus Furcht
sich darin zu verirren. Wenn das ihre Sorge
wäre, sagte der Prinz, so wollte er schon hel-
fen, und an jeden Baum ein Band binden,
daß sie den Weg gar nicht fehlen könnte; eine
Zeitlang suchte sie es dennoch aufzuschieben,
als ob es ihr heimlich gegraut hätte, endlich
aber gingen ihr alle Ausreden aus, und sie
mußte sich eines Tags auf die Reise machen.
Von Morgen bis zu Abend ging sie durch ei-
nen langen, langen Wald, und kam endlich
vor ein großes Haus, alles war still darin,
bloß eine alte Frau saß vor der Thüre. "Kann
sie mir nicht sagen, ob hier der Prinz mein
Bräutigam wohnt?" -- Gut, mein Kind, ant-
wortete die Frau, daß ihr jetzt kommt, da der
Prinz nicht zu Haus ist; ich habe Wasser müs-
sen tragen in einen großen Kessel, da wollen
sie euch umbringen, kochen und hernach essen.

Indem kam der Prinz mit seinen Spitz-
buben vom Raub heim, weil aber die Alte mit

40.
Der Raͤuberbraͤutigam.

Eine Prinzeſſin war mit einem Prinzen
verſprochen, der bat ſie mehrmals, ſie moͤchte
ihn doch einmal in ſeinem Schloß beſuchen,
allein weil der Weg durch einen großen Wald
fuͤhrte, ſo lehnte ſie es immer ab, aus Furcht
ſich darin zu verirren. Wenn das ihre Sorge
waͤre, ſagte der Prinz, ſo wollte er ſchon hel-
fen, und an jeden Baum ein Band binden,
daß ſie den Weg gar nicht fehlen koͤnnte; eine
Zeitlang ſuchte ſie es dennoch aufzuſchieben,
als ob es ihr heimlich gegraut haͤtte, endlich
aber gingen ihr alle Ausreden aus, und ſie
mußte ſich eines Tags auf die Reiſe machen.
Von Morgen bis zu Abend ging ſie durch ei-
nen langen, langen Wald, und kam endlich
vor ein großes Haus, alles war ſtill darin,
bloß eine alte Frau ſaß vor der Thuͤre. „Kann
ſie mir nicht ſagen, ob hier der Prinz mein
Braͤutigam wohnt?“ — Gut, mein Kind, ant-
wortete die Frau, daß ihr jetzt kommt, da der
Prinz nicht zu Haus iſt; ich habe Waſſer muͤſ-
ſen tragen in einen großen Keſſel, da wollen
ſie euch umbringen, kochen und hernach eſſen.

Indem kam der Prinz mit ſeinen Spitz-
buben vom Raub heim, weil aber die Alte mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0218" n="184"/>
      <div n="1">
        <head>40.<lb/><hi rendition="#g">Der Ra&#x0364;uberbra&#x0364;utigam</hi>.</head><lb/>
        <p>Eine Prinze&#x017F;&#x017F;in war mit einem Prinzen<lb/>
ver&#x017F;prochen, der bat &#x017F;ie mehrmals, &#x017F;ie mo&#x0364;chte<lb/>
ihn doch einmal in &#x017F;einem Schloß be&#x017F;uchen,<lb/>
allein weil der Weg durch einen großen Wald<lb/>
fu&#x0364;hrte, &#x017F;o lehnte &#x017F;ie es immer ab, aus Furcht<lb/>
&#x017F;ich darin zu verirren. Wenn das ihre Sorge<lb/>
wa&#x0364;re, &#x017F;agte der Prinz, &#x017F;o wollte er &#x017F;chon hel-<lb/>
fen, und an jeden Baum ein Band binden,<lb/>
daß &#x017F;ie den Weg gar nicht fehlen ko&#x0364;nnte; eine<lb/>
Zeitlang &#x017F;uchte &#x017F;ie es dennoch aufzu&#x017F;chieben,<lb/>
als ob es ihr heimlich gegraut ha&#x0364;tte, endlich<lb/>
aber gingen ihr alle Ausreden aus, und &#x017F;ie<lb/>
mußte &#x017F;ich eines Tags auf die Rei&#x017F;e machen.<lb/>
Von Morgen bis zu Abend ging &#x017F;ie durch ei-<lb/>
nen langen, langen Wald, und kam endlich<lb/>
vor ein großes Haus, alles war &#x017F;till darin,<lb/>
bloß eine alte Frau &#x017F;aß vor der Thu&#x0364;re. &#x201E;Kann<lb/>
&#x017F;ie mir nicht &#x017F;agen, ob hier der Prinz mein<lb/>
Bra&#x0364;utigam wohnt?&#x201C; &#x2014; Gut, mein Kind, ant-<lb/>
wortete die Frau, daß ihr jetzt kommt, da der<lb/>
Prinz nicht zu Haus i&#x017F;t; ich habe Wa&#x017F;&#x017F;er mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en tragen in einen großen Ke&#x017F;&#x017F;el, da wollen<lb/>
&#x017F;ie euch umbringen, kochen und hernach e&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Indem kam der Prinz mit &#x017F;einen Spitz-<lb/>
buben vom Raub heim, weil aber die Alte mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0218] 40. Der Raͤuberbraͤutigam. Eine Prinzeſſin war mit einem Prinzen verſprochen, der bat ſie mehrmals, ſie moͤchte ihn doch einmal in ſeinem Schloß beſuchen, allein weil der Weg durch einen großen Wald fuͤhrte, ſo lehnte ſie es immer ab, aus Furcht ſich darin zu verirren. Wenn das ihre Sorge waͤre, ſagte der Prinz, ſo wollte er ſchon hel- fen, und an jeden Baum ein Band binden, daß ſie den Weg gar nicht fehlen koͤnnte; eine Zeitlang ſuchte ſie es dennoch aufzuſchieben, als ob es ihr heimlich gegraut haͤtte, endlich aber gingen ihr alle Ausreden aus, und ſie mußte ſich eines Tags auf die Reiſe machen. Von Morgen bis zu Abend ging ſie durch ei- nen langen, langen Wald, und kam endlich vor ein großes Haus, alles war ſtill darin, bloß eine alte Frau ſaß vor der Thuͤre. „Kann ſie mir nicht ſagen, ob hier der Prinz mein Braͤutigam wohnt?“ — Gut, mein Kind, ant- wortete die Frau, daß ihr jetzt kommt, da der Prinz nicht zu Haus iſt; ich habe Waſſer muͤſ- ſen tragen in einen großen Keſſel, da wollen ſie euch umbringen, kochen und hernach eſſen. Indem kam der Prinz mit ſeinen Spitz- buben vom Raub heim, weil aber die Alte mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/218
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/218>, abgerufen am 22.11.2024.