sprach die Frau Holle. Darauf ward das Thor verschlossen und es war oben auf der Welt, da ging es heim zu seiner Mutter und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufge- nommen.
Als die Mutter hörte, wie es zu dem Reich- thum gekommen, wollte sie der andern schönen und faulen Tochter gern dasselbe Glück verschaf- fen, und sie mußte sich auch in den Brunnen stürzen. Sie erwachte, wie die andere auf der schönen Wiese und ging auf demselben Pfad weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brod wieder: "ach! zieh mich 'raus, zieh mich 'raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken!" die Faule aber antworte- te: "da hätt' ich Lust, mich schmutzig zu ma- chen!" und ging fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: "ach! schüttel mich! schüt- tel mich! wir Aepfel sind alle mit einander reif" sie antwortete aber: "du kommst mir recht, es könnt mir einer auf den Kopf fallen!" ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tag that sie sich Gewalt an und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie gedachte an das viele Gold, daß sie ihr schenken würde; am zweiten Tag aber fing sie
ſprach die Frau Holle. Darauf ward das Thor verſchloſſen und es war oben auf der Welt, da ging es heim zu ſeiner Mutter und weil es ſo mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufge- nommen.
Als die Mutter hoͤrte, wie es zu dem Reich- thum gekommen, wollte ſie der andern ſchoͤnen und faulen Tochter gern daſſelbe Gluͤck verſchaf- fen, und ſie mußte ſich auch in den Brunnen ſtuͤrzen. Sie erwachte, wie die andere auf der ſchoͤnen Wieſe und ging auf demſelben Pfad weiter. Als ſie zu dem Backofen gelangte, ſchrie das Brod wieder: „ach! zieh mich 'raus, zieh mich 'raus, ſonſt verbrenn ich, ich bin ſchon laͤngſt ausgebacken!“ die Faule aber antworte- te: „da haͤtt' ich Luſt, mich ſchmutzig zu ma- chen!“ und ging fort. Bald kam ſie zu dem Apfelbaum, der rief: „ach! ſchuͤttel mich! ſchuͤt- tel mich! wir Aepfel ſind alle mit einander reif“ ſie antwortete aber: „du kommſt mir recht, es koͤnnt mir einer auf den Kopf fallen!“ ging damit weiter. Als ſie vor der Frau Holle Haus kam, fuͤrchtete ſie ſich nicht, weil ſie von ihren großen Zaͤhnen ſchon gehoͤrt hatte, und verdingte ſich gleich zu ihr. Am erſten Tag that ſie ſich Gewalt an und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn ſie ihr etwas ſagte, denn ſie gedachte an das viele Gold, daß ſie ihr ſchenken wuͤrde; am zweiten Tag aber fing ſie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0143"n="109"/>ſprach die Frau Holle. Darauf ward das Thor<lb/>
verſchloſſen und es war oben auf der Welt, da<lb/>
ging es heim zu ſeiner Mutter und weil es ſo<lb/>
mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufge-<lb/>
nommen.</p><lb/><p>Als die Mutter hoͤrte, wie es zu dem Reich-<lb/>
thum gekommen, wollte ſie der andern ſchoͤnen<lb/>
und faulen Tochter gern daſſelbe Gluͤck verſchaf-<lb/>
fen, und ſie mußte ſich auch in den Brunnen<lb/>ſtuͤrzen. Sie erwachte, wie die andere auf der<lb/>ſchoͤnen Wieſe und ging auf demſelben Pfad<lb/>
weiter. Als ſie zu dem Backofen gelangte, ſchrie<lb/>
das Brod wieder: „ach! zieh mich 'raus, zieh<lb/>
mich 'raus, ſonſt verbrenn ich, ich bin ſchon<lb/>
laͤngſt ausgebacken!“ die Faule aber antworte-<lb/>
te: „da haͤtt' ich Luſt, mich ſchmutzig zu ma-<lb/>
chen!“ und ging fort. Bald kam ſie zu dem<lb/>
Apfelbaum, der rief: „ach! ſchuͤttel mich! ſchuͤt-<lb/>
tel mich! wir Aepfel ſind alle mit einander<lb/>
reif“ſie antwortete aber: „du kommſt mir<lb/>
recht, es koͤnnt mir einer auf den Kopf fallen!“<lb/>
ging damit weiter. Als ſie vor der Frau Holle<lb/>
Haus kam, fuͤrchtete ſie ſich nicht, weil ſie von<lb/>
ihren großen Zaͤhnen ſchon gehoͤrt hatte, und<lb/>
verdingte ſich gleich zu ihr. Am erſten Tag<lb/>
that ſie ſich Gewalt an und war fleißig und<lb/>
folgte der Frau Holle, wenn ſie ihr etwas ſagte,<lb/>
denn ſie gedachte an das viele Gold, daß ſie ihr<lb/>ſchenken wuͤrde; am zweiten Tag aber fing ſie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[109/0143]
ſprach die Frau Holle. Darauf ward das Thor
verſchloſſen und es war oben auf der Welt, da
ging es heim zu ſeiner Mutter und weil es ſo
mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufge-
nommen.
Als die Mutter hoͤrte, wie es zu dem Reich-
thum gekommen, wollte ſie der andern ſchoͤnen
und faulen Tochter gern daſſelbe Gluͤck verſchaf-
fen, und ſie mußte ſich auch in den Brunnen
ſtuͤrzen. Sie erwachte, wie die andere auf der
ſchoͤnen Wieſe und ging auf demſelben Pfad
weiter. Als ſie zu dem Backofen gelangte, ſchrie
das Brod wieder: „ach! zieh mich 'raus, zieh
mich 'raus, ſonſt verbrenn ich, ich bin ſchon
laͤngſt ausgebacken!“ die Faule aber antworte-
te: „da haͤtt' ich Luſt, mich ſchmutzig zu ma-
chen!“ und ging fort. Bald kam ſie zu dem
Apfelbaum, der rief: „ach! ſchuͤttel mich! ſchuͤt-
tel mich! wir Aepfel ſind alle mit einander
reif“ ſie antwortete aber: „du kommſt mir
recht, es koͤnnt mir einer auf den Kopf fallen!“
ging damit weiter. Als ſie vor der Frau Holle
Haus kam, fuͤrchtete ſie ſich nicht, weil ſie von
ihren großen Zaͤhnen ſchon gehoͤrt hatte, und
verdingte ſich gleich zu ihr. Am erſten Tag
that ſie ſich Gewalt an und war fleißig und
folgte der Frau Holle, wenn ſie ihr etwas ſagte,
denn ſie gedachte an das viele Gold, daß ſie ihr
ſchenken wuͤrde; am zweiten Tag aber fing ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/143>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.