dann sehen, daß von so vielem nichts leben- dig sich erhalten, selbst die Erinnerung dar- an verloren war, und nur Volkslieder, und diese unschuldigen Hausmärchen übrig ge- blieben sind. Die Plätze am Ofen, der Kü- chenheerd, Bodentreppen, Feiertage noch ge- feiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit aus der andern überliefert haben.
So denken wir jetzt, nachdem wir diese Sammlung übersehen; anfangs glaubten wir auch hier schon vieles zu Grund gegangen, und nur die Märchen noch allein übrig, die uns etwa selbst bewußt, und die nur ab- weichend, wie es immer geschieht, von an- dern erzählt würden. Aber aufmerksam auf alles, was von der Poesie wirklich noch da ist, wollten wir auch dieses abweichende kennen, und da zeigte sich dennoch manches neue und ohne eben im Stand zu seyn, sehr weit herum zu fragen, wuchs unsre Samm- lung von Jahr zu Jahr, daß sie uns jetzt, nachdem etwa sechse verflossen, reich er- scheint; dabei begreifen wir, daß uns noch manches fehlen mag, doch freut uns auch
dann ſehen, daß von ſo vielem nichts leben- dig ſich erhalten, ſelbſt die Erinnerung dar- an verloren war, und nur Volkslieder, und dieſe unſchuldigen Hausmaͤrchen uͤbrig ge- blieben ſind. Die Plaͤtze am Ofen, der Kuͤ- chenheerd, Bodentreppen, Feiertage noch ge- feiert, Triften und Waͤlder in ihrer Stille, vor allem die ungetruͤbte Phantaſie ſind die Hecken geweſen, die ſie geſichert und einer Zeit aus der andern uͤberliefert haben.
So denken wir jetzt, nachdem wir dieſe Sammlung uͤberſehen; anfangs glaubten wir auch hier ſchon vieles zu Grund gegangen, und nur die Maͤrchen noch allein uͤbrig, die uns etwa ſelbſt bewußt, und die nur ab- weichend, wie es immer geſchieht, von an- dern erzaͤhlt wuͤrden. Aber aufmerkſam auf alles, was von der Poeſie wirklich noch da iſt, wollten wir auch dieſes abweichende kennen, und da zeigte ſich dennoch manches neue und ohne eben im Stand zu ſeyn, ſehr weit herum zu fragen, wuchs unſre Samm- lung von Jahr zu Jahr, daß ſie uns jetzt, nachdem etwa ſechſe verfloſſen, reich er- ſcheint; dabei begreifen wir, daß uns noch manches fehlen mag, doch freut uns auch
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[VI/0012]
dann ſehen, daß von ſo vielem nichts leben-
dig ſich erhalten, ſelbſt die Erinnerung dar-
an verloren war, und nur Volkslieder, und
dieſe unſchuldigen Hausmaͤrchen uͤbrig ge-
blieben ſind. Die Plaͤtze am Ofen, der Kuͤ-
chenheerd, Bodentreppen, Feiertage noch ge-
feiert, Triften und Waͤlder in ihrer Stille,
vor allem die ungetruͤbte Phantaſie ſind die
Hecken geweſen, die ſie geſichert und einer
Zeit aus der andern uͤberliefert haben.
So denken wir jetzt, nachdem wir dieſe
Sammlung uͤberſehen; anfangs glaubten wir
auch hier ſchon vieles zu Grund gegangen,
und nur die Maͤrchen noch allein uͤbrig, die
uns etwa ſelbſt bewußt, und die nur ab-
weichend, wie es immer geſchieht, von an-
dern erzaͤhlt wuͤrden. Aber aufmerkſam auf
alles, was von der Poeſie wirklich noch da
iſt, wollten wir auch dieſes abweichende
kennen, und da zeigte ſich dennoch manches
neue und ohne eben im Stand zu ſeyn, ſehr
weit herum zu fragen, wuchs unſre Samm-
lung von Jahr zu Jahr, daß ſie uns jetzt,
nachdem etwa ſechſe verfloſſen, reich er-
ſcheint; dabei begreifen wir, daß uns noch
manches fehlen mag, doch freut uns auch
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/12>, abgerufen am 24.11.2024.
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