Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ich, habe ich unbesonnen und unbefugt mich an Sie herangedrängt, so habe ich doch nicht ein unschuldiges Kind, das nicht wußte, was das Leben war, gezwungen, meine Sklavin zu sein! -- Nicht meine Geliebte! Nichts von Liebe, es wäre ein Hohn! Sie hätten anders an mich geschrieben, wenn Sie sie liebten, oder wenn Emma Sie liebte! Und als das arme Kind unbesonnen sich verpflichtete, und dann erst, als es gefesselt war, fühlte, daß es eine Freiheit gäbe, deren es nie genoß, da habe ich es nicht festgehalten mit Gewalt, wie Sie, als wäre das eine Pflicht, was ehedem ein Betrug war! So nenne ich es. Fordern Sie mich. Ich will da stehen und Ihrer Pistole in den Lauf sehen und lachen, ja, und denken, daß mich der Wahnsinn verleitete, Sie aber das kalte Blut, die kühle Berechnung, Sie das Verbrechen. Hier steh' ich! Er schwieg und Albert war keines Wortes fähig. Lesen Sie das, fuhr Emil fort und holte ein Zettelchen aus seiner Brusttasche, das hat sie mir geschrieben heute! Ich soll nicht mehr an sie denken, sie nie wieder sehen, aber sie liebt mich! Haben Sie das gewußt? Sie liebt mich! Lassen Sie mich sehen! rief Albert und streckte die Hand aus. -- Hier, aber Sie werden es mir zurück geben, es ist mein Eigenthum! Albert überlas die wenigen Zeilen. Er bedachte sich in Blitzeseile. Dort war sie, ohne ihn gesehen zu haben, hier Emil, ohne von ihr zu wissen. Er ich, habe ich unbesonnen und unbefugt mich an Sie herangedrängt, so habe ich doch nicht ein unschuldiges Kind, das nicht wußte, was das Leben war, gezwungen, meine Sklavin zu sein! — Nicht meine Geliebte! Nichts von Liebe, es wäre ein Hohn! Sie hätten anders an mich geschrieben, wenn Sie sie liebten, oder wenn Emma Sie liebte! Und als das arme Kind unbesonnen sich verpflichtete, und dann erst, als es gefesselt war, fühlte, daß es eine Freiheit gäbe, deren es nie genoß, da habe ich es nicht festgehalten mit Gewalt, wie Sie, als wäre das eine Pflicht, was ehedem ein Betrug war! So nenne ich es. Fordern Sie mich. Ich will da stehen und Ihrer Pistole in den Lauf sehen und lachen, ja, und denken, daß mich der Wahnsinn verleitete, Sie aber das kalte Blut, die kühle Berechnung, Sie das Verbrechen. Hier steh' ich! Er schwieg und Albert war keines Wortes fähig. Lesen Sie das, fuhr Emil fort und holte ein Zettelchen aus seiner Brusttasche, das hat sie mir geschrieben heute! Ich soll nicht mehr an sie denken, sie nie wieder sehen, aber sie liebt mich! Haben Sie das gewußt? Sie liebt mich! Lassen Sie mich sehen! rief Albert und streckte die Hand aus. — Hier, aber Sie werden es mir zurück geben, es ist mein Eigenthum! Albert überlas die wenigen Zeilen. Er bedachte sich in Blitzeseile. Dort war sie, ohne ihn gesehen zu haben, hier Emil, ohne von ihr zu wissen. Er <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0073"/> ich, habe ich unbesonnen und unbefugt mich an Sie herangedrängt, so habe ich doch nicht ein unschuldiges Kind, das nicht wußte, was das Leben war, gezwungen, meine Sklavin zu sein! — Nicht meine Geliebte! Nichts von Liebe, es wäre ein Hohn! Sie hätten anders an mich geschrieben, wenn Sie sie liebten, oder wenn Emma Sie liebte! Und als das arme Kind unbesonnen sich verpflichtete, und dann erst, als es gefesselt war, fühlte, daß es eine Freiheit gäbe, deren es nie genoß, da habe ich es nicht festgehalten mit Gewalt, wie Sie, als wäre das eine Pflicht, was ehedem ein Betrug war! So nenne ich es. Fordern Sie mich. Ich will da stehen und Ihrer Pistole in den Lauf sehen und lachen, ja, und denken, daß mich der Wahnsinn verleitete, Sie aber das kalte Blut, die kühle Berechnung, Sie das Verbrechen. Hier steh' ich!</p><lb/> <p>Er schwieg und Albert war keines Wortes fähig. Lesen Sie das, fuhr Emil fort und holte ein Zettelchen aus seiner Brusttasche, das hat sie mir geschrieben heute! Ich soll nicht mehr an sie denken, sie nie wieder sehen, aber sie liebt mich! Haben Sie das gewußt? Sie liebt mich!</p><lb/> <p>Lassen Sie mich sehen! rief Albert und streckte die Hand aus. — Hier, aber Sie werden es mir zurück geben, es ist mein Eigenthum!</p><lb/> <p>Albert überlas die wenigen Zeilen. Er bedachte sich in Blitzeseile. Dort war sie, ohne ihn gesehen zu haben, hier Emil, ohne von ihr zu wissen. Er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
ich, habe ich unbesonnen und unbefugt mich an Sie herangedrängt, so habe ich doch nicht ein unschuldiges Kind, das nicht wußte, was das Leben war, gezwungen, meine Sklavin zu sein! — Nicht meine Geliebte! Nichts von Liebe, es wäre ein Hohn! Sie hätten anders an mich geschrieben, wenn Sie sie liebten, oder wenn Emma Sie liebte! Und als das arme Kind unbesonnen sich verpflichtete, und dann erst, als es gefesselt war, fühlte, daß es eine Freiheit gäbe, deren es nie genoß, da habe ich es nicht festgehalten mit Gewalt, wie Sie, als wäre das eine Pflicht, was ehedem ein Betrug war! So nenne ich es. Fordern Sie mich. Ich will da stehen und Ihrer Pistole in den Lauf sehen und lachen, ja, und denken, daß mich der Wahnsinn verleitete, Sie aber das kalte Blut, die kühle Berechnung, Sie das Verbrechen. Hier steh' ich!
Er schwieg und Albert war keines Wortes fähig. Lesen Sie das, fuhr Emil fort und holte ein Zettelchen aus seiner Brusttasche, das hat sie mir geschrieben heute! Ich soll nicht mehr an sie denken, sie nie wieder sehen, aber sie liebt mich! Haben Sie das gewußt? Sie liebt mich!
Lassen Sie mich sehen! rief Albert und streckte die Hand aus. — Hier, aber Sie werden es mir zurück geben, es ist mein Eigenthum!
Albert überlas die wenigen Zeilen. Er bedachte sich in Blitzeseile. Dort war sie, ohne ihn gesehen zu haben, hier Emil, ohne von ihr zu wissen. Er
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