Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zu erblicken. Nein, stand da nicht in der Ferne eine Gestalt und kam auf sie zu? Albert schrak zusammen und es überlief ihn. Emma, sagte er, willst du dich ein wenig hier auf den Stein setzen? Ich sehe dort Jemand, mit dem ich ein paar Worte sprechen möchte.

Sie ließ seinen Arm los und setzte sich nieder, ohne nur aufzusehen. Anemonen sproßten üppig auf dem Platze und drängten ihr ihre weißen Blüthen entgegen. Indem er sie ansah, zögerte er einen Augenblick, dann aber faßte er sich und ging Emil entgegen, den er wohl erkannt hatte. Aber als er ihm bis auf fünfzig Schritt nahe gekommen war, konnte er nicht weiter und lehnte sich ans Gemäuer, um ihn zu erwarten. Er stand da und bedachte, was er sagen wollte; er war klar und ruhig, aber es machte ihn matt, so geduldig zu warten.

Der junge Mensch, dem die Sonne in die Augen schien, erkannte ihn erst, als er dicht an ihm vorüber gehen wollte. Er hielt seine Schritte an, trat ihm gegenüber und zeigte ihm die Blässe, die auf seiner Stirn lag.

Ah, Sie waren hier? rief er aus, Sie? Und doch hatte ich es nicht erwartet! Albert wollte das Wort nehmen. Oh, sagen Sie nichts! rief er, nichts! Wir werden uns nicht streiten hier! Sparen Sie der Mühe. Ich lasse mich durch nichts reizen. Aber hören Sie das: nicht wahr, triumphirend erwarteten Sie mich hier? Sie hatten ein Recht dazu. Aber das weiß

zu erblicken. Nein, stand da nicht in der Ferne eine Gestalt und kam auf sie zu? Albert schrak zusammen und es überlief ihn. Emma, sagte er, willst du dich ein wenig hier auf den Stein setzen? Ich sehe dort Jemand, mit dem ich ein paar Worte sprechen möchte.

Sie ließ seinen Arm los und setzte sich nieder, ohne nur aufzusehen. Anemonen sproßten üppig auf dem Platze und drängten ihr ihre weißen Blüthen entgegen. Indem er sie ansah, zögerte er einen Augenblick, dann aber faßte er sich und ging Emil entgegen, den er wohl erkannt hatte. Aber als er ihm bis auf fünfzig Schritt nahe gekommen war, konnte er nicht weiter und lehnte sich ans Gemäuer, um ihn zu erwarten. Er stand da und bedachte, was er sagen wollte; er war klar und ruhig, aber es machte ihn matt, so geduldig zu warten.

Der junge Mensch, dem die Sonne in die Augen schien, erkannte ihn erst, als er dicht an ihm vorüber gehen wollte. Er hielt seine Schritte an, trat ihm gegenüber und zeigte ihm die Blässe, die auf seiner Stirn lag.

Ah, Sie waren hier? rief er aus, Sie? Und doch hatte ich es nicht erwartet! Albert wollte das Wort nehmen. Oh, sagen Sie nichts! rief er, nichts! Wir werden uns nicht streiten hier! Sparen Sie der Mühe. Ich lasse mich durch nichts reizen. Aber hören Sie das: nicht wahr, triumphirend erwarteten Sie mich hier? Sie hatten ein Recht dazu. Aber das weiß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0072"/>
zu erblicken. Nein, stand da nicht in der Ferne      eine Gestalt und kam auf sie zu? Albert schrak zusammen und es überlief ihn. Emma, sagte er,      willst du dich ein wenig hier auf den Stein setzen? Ich sehe dort Jemand, mit dem ich ein paar      Worte sprechen möchte.</p><lb/>
        <p>Sie ließ seinen Arm los und setzte sich nieder, ohne nur aufzusehen. Anemonen sproßten üppig      auf dem Platze und drängten ihr ihre weißen Blüthen entgegen. Indem er sie ansah, zögerte er      einen Augenblick, dann aber faßte er sich und ging Emil entgegen, den er wohl erkannt hatte.      Aber als er ihm bis auf fünfzig Schritt nahe gekommen war, konnte er nicht weiter und lehnte      sich ans Gemäuer, um ihn zu erwarten. Er stand da und bedachte, was er sagen wollte; er war      klar und ruhig, aber es machte ihn matt, so geduldig zu warten.</p><lb/>
        <p>Der junge Mensch, dem die Sonne in die Augen schien, erkannte ihn erst, als er dicht an ihm      vorüber gehen wollte. Er hielt seine Schritte an, trat ihm gegenüber und zeigte ihm die Blässe,      die auf seiner Stirn lag.</p><lb/>
        <p>Ah, Sie waren hier? rief er aus, Sie? Und doch hatte ich es nicht erwartet! Albert wollte das      Wort nehmen. Oh, sagen Sie nichts! rief er, nichts! Wir werden uns nicht streiten hier! Sparen      Sie der Mühe. Ich lasse mich durch nichts reizen. Aber hören Sie das: nicht wahr, triumphirend      erwarteten Sie mich hier? Sie hatten ein Recht dazu. Aber das weiß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] zu erblicken. Nein, stand da nicht in der Ferne eine Gestalt und kam auf sie zu? Albert schrak zusammen und es überlief ihn. Emma, sagte er, willst du dich ein wenig hier auf den Stein setzen? Ich sehe dort Jemand, mit dem ich ein paar Worte sprechen möchte. Sie ließ seinen Arm los und setzte sich nieder, ohne nur aufzusehen. Anemonen sproßten üppig auf dem Platze und drängten ihr ihre weißen Blüthen entgegen. Indem er sie ansah, zögerte er einen Augenblick, dann aber faßte er sich und ging Emil entgegen, den er wohl erkannt hatte. Aber als er ihm bis auf fünfzig Schritt nahe gekommen war, konnte er nicht weiter und lehnte sich ans Gemäuer, um ihn zu erwarten. Er stand da und bedachte, was er sagen wollte; er war klar und ruhig, aber es machte ihn matt, so geduldig zu warten. Der junge Mensch, dem die Sonne in die Augen schien, erkannte ihn erst, als er dicht an ihm vorüber gehen wollte. Er hielt seine Schritte an, trat ihm gegenüber und zeigte ihm die Blässe, die auf seiner Stirn lag. Ah, Sie waren hier? rief er aus, Sie? Und doch hatte ich es nicht erwartet! Albert wollte das Wort nehmen. Oh, sagen Sie nichts! rief er, nichts! Wir werden uns nicht streiten hier! Sparen Sie der Mühe. Ich lasse mich durch nichts reizen. Aber hören Sie das: nicht wahr, triumphirend erwarteten Sie mich hier? Sie hatten ein Recht dazu. Aber das weiß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/72
Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/72>, abgerufen am 27.11.2024.