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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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in meiner Natur, mir nichts abdringen zu lassen, das ich nicht ungefragt ausspreche.

Zwei Tage gingen so hin; wie ein ermattender Wind flogen sie über Emma, die Keiner fragte. Am Nachmittag des dritten trat Albert in das gemeinschaftliche große Zimmer. Es war leer: nein, er hörte athmen, sie lag auf dem Sopha und schlief. Er trat näher, die eine Hand lag unter ihrer Wange, die andere lang ausgestreckt; aber sie hielt etwas, etwas Weißes, Gefaltetes. Albert sah schärfer hin[:] sie hielt einen Brief.

Emma's schweigendes Ausweichen hatte Albert aufgereizt; wäre nicht Heinrich gewesen, welcher ihn die Sache still abzuwarten bat, er hätte den Schleier durchrissen und wäre durchgedrungen, denn alles Zweifeln und Schwanken war ihm seiner Natur nach unerträglich. So hatte ihn der Zwang, den er sich anthun mußte, gereizt, ohne daß er es wußte, und als er jetzt den Brief sah, quoll ihm der Aerger dunkel zum Herzen; so that er, was er sonst nicht gethan haben würde, er zog leise das Papier aus Emma's Hand. Er mußte wissen was darin stand, sie war seine Braut, er hatte ein Recht, die Geheimnisse aufzuklären, die ihr Herz von dem seinigen getrennt hielten.

Aber der Brief war noch zwischen ihren Fingern, als sie bemerkte, was geschah. Mit einem Griff erfaßte sie ihn wieder, sprang auf und stand vor Albert; wahrhaftig sie war gewachsen, größer als sonst!

in meiner Natur, mir nichts abdringen zu lassen, das ich nicht ungefragt ausspreche.

Zwei Tage gingen so hin; wie ein ermattender Wind flogen sie über Emma, die Keiner fragte. Am Nachmittag des dritten trat Albert in das gemeinschaftliche große Zimmer. Es war leer: nein, er hörte athmen, sie lag auf dem Sopha und schlief. Er trat näher, die eine Hand lag unter ihrer Wange, die andere lang ausgestreckt; aber sie hielt etwas, etwas Weißes, Gefaltetes. Albert sah schärfer hin[:] sie hielt einen Brief.

Emma's schweigendes Ausweichen hatte Albert aufgereizt; wäre nicht Heinrich gewesen, welcher ihn die Sache still abzuwarten bat, er hätte den Schleier durchrissen und wäre durchgedrungen, denn alles Zweifeln und Schwanken war ihm seiner Natur nach unerträglich. So hatte ihn der Zwang, den er sich anthun mußte, gereizt, ohne daß er es wußte, und als er jetzt den Brief sah, quoll ihm der Aerger dunkel zum Herzen; so that er, was er sonst nicht gethan haben würde, er zog leise das Papier aus Emma's Hand. Er mußte wissen was darin stand, sie war seine Braut, er hatte ein Recht, die Geheimnisse aufzuklären, die ihr Herz von dem seinigen getrennt hielten.

Aber der Brief war noch zwischen ihren Fingern, als sie bemerkte, was geschah. Mit einem Griff erfaßte sie ihn wieder, sprang auf und stand vor Albert; wahrhaftig sie war gewachsen, größer als sonst!

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[0057] in meiner Natur, mir nichts abdringen zu lassen, das ich nicht ungefragt ausspreche. Zwei Tage gingen so hin; wie ein ermattender Wind flogen sie über Emma, die Keiner fragte. Am Nachmittag des dritten trat Albert in das gemeinschaftliche große Zimmer. Es war leer: nein, er hörte athmen, sie lag auf dem Sopha und schlief. Er trat näher, die eine Hand lag unter ihrer Wange, die andere lang ausgestreckt; aber sie hielt etwas, etwas Weißes, Gefaltetes. Albert sah schärfer hin: sie hielt einen Brief. Emma's schweigendes Ausweichen hatte Albert aufgereizt; wäre nicht Heinrich gewesen, welcher ihn die Sache still abzuwarten bat, er hätte den Schleier durchrissen und wäre durchgedrungen, denn alles Zweifeln und Schwanken war ihm seiner Natur nach unerträglich. So hatte ihn der Zwang, den er sich anthun mußte, gereizt, ohne daß er es wußte, und als er jetzt den Brief sah, quoll ihm der Aerger dunkel zum Herzen; so that er, was er sonst nicht gethan haben würde, er zog leise das Papier aus Emma's Hand. Er mußte wissen was darin stand, sie war seine Braut, er hatte ein Recht, die Geheimnisse aufzuklären, die ihr Herz von dem seinigen getrennt hielten. Aber der Brief war noch zwischen ihren Fingern, als sie bemerkte, was geschah. Mit einem Griff erfaßte sie ihn wieder, sprang auf und stand vor Albert; wahrhaftig sie war gewachsen, größer als sonst!

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/57>, abgerufen am 27.11.2024.