Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zurück, sah einige Bilder an und setzte sich dann neben sie auf den Divan, auf den sie sich gesetzt hatte. Sie sprachen nicht weiter. Nach weniger Zeit nahm er seinen Hut und sagte: Morgen reise ich. Ich kann mir bis dahin meinen Paß und das Uebrige besorgen. -- Sie fand es ganz natürlich. -- Aber Sie kommen noch einmal, ehe Sie fortgehen? sagte sie an der Thüre, bis zu der sie ihn begleitete. -- Ja, rief er, und es beglückte ihn, daß sie so stillschweigend seine Pläne billigte, ich komme noch ein-, zweimal, so oft ich kann. Lassen Sie mich abweisen, wenn Sie mich nicht brauchen können, aber ich komme wieder. Damit trennten sie sich. Therese fing an, ihr Zimmerchen in Ordnung zu bringen, das sie sich im Hause zu ihrem besondern Versteck ausgesucht hatte. Sie stellte sich alle Möbeln nach ihrem Geschmack um, jedes Stück bekam eine andere Stelle, und als Alles zurecht gerückt war, sah es aus, als hätte es nie anders stehen können. Sie packte ihre Schreibmappe aus und pflückte die welken Blätter aus den Blumentöpfen, die sie ans Fenster hatte tragen lassen. Mitten aus dieser Arbeit lief sie ans Clavier, schlug es auf und fing an zu singen. Sie hatte mehr eine klare, weiche, als eine mächtige Stimme, und eine Nachtigall, die es gehört, wäre gern näher gekommen, um zu hören, statt aufgescheucht davon zu fliegen. So traf sie auch am andern Tag Emil, den sie zurück, sah einige Bilder an und setzte sich dann neben sie auf den Divan, auf den sie sich gesetzt hatte. Sie sprachen nicht weiter. Nach weniger Zeit nahm er seinen Hut und sagte: Morgen reise ich. Ich kann mir bis dahin meinen Paß und das Uebrige besorgen. — Sie fand es ganz natürlich. — Aber Sie kommen noch einmal, ehe Sie fortgehen? sagte sie an der Thüre, bis zu der sie ihn begleitete. — Ja, rief er, und es beglückte ihn, daß sie so stillschweigend seine Pläne billigte, ich komme noch ein-, zweimal, so oft ich kann. Lassen Sie mich abweisen, wenn Sie mich nicht brauchen können, aber ich komme wieder. Damit trennten sie sich. Therese fing an, ihr Zimmerchen in Ordnung zu bringen, das sie sich im Hause zu ihrem besondern Versteck ausgesucht hatte. Sie stellte sich alle Möbeln nach ihrem Geschmack um, jedes Stück bekam eine andere Stelle, und als Alles zurecht gerückt war, sah es aus, als hätte es nie anders stehen können. Sie packte ihre Schreibmappe aus und pflückte die welken Blätter aus den Blumentöpfen, die sie ans Fenster hatte tragen lassen. Mitten aus dieser Arbeit lief sie ans Clavier, schlug es auf und fing an zu singen. Sie hatte mehr eine klare, weiche, als eine mächtige Stimme, und eine Nachtigall, die es gehört, wäre gern näher gekommen, um zu hören, statt aufgescheucht davon zu fliegen. So traf sie auch am andern Tag Emil, den sie <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0048"/> zurück, sah einige Bilder an und setzte sich dann neben sie auf den Divan, auf den sie sich gesetzt hatte. Sie sprachen nicht weiter. Nach weniger Zeit nahm er seinen Hut und sagte: Morgen reise ich. Ich kann mir bis dahin meinen Paß und das Uebrige besorgen. — Sie fand es ganz natürlich. — Aber Sie kommen noch einmal, ehe Sie fortgehen? sagte sie an der Thüre, bis zu der sie ihn begleitete. — Ja, rief er, und es beglückte ihn, daß sie so stillschweigend seine Pläne billigte, ich komme noch ein-, zweimal, so oft ich kann. Lassen Sie mich abweisen, wenn Sie mich nicht brauchen können, aber ich komme wieder. Damit trennten sie sich.</p><lb/> <p>Therese fing an, ihr Zimmerchen in Ordnung zu bringen, das sie sich im Hause zu ihrem besondern Versteck ausgesucht hatte. Sie stellte sich alle Möbeln nach ihrem Geschmack um, jedes Stück bekam eine andere Stelle, und als Alles zurecht gerückt war, sah es aus, als hätte es nie anders stehen können. Sie packte ihre Schreibmappe aus und pflückte die welken Blätter aus den Blumentöpfen, die sie ans Fenster hatte tragen lassen. Mitten aus dieser Arbeit lief sie ans Clavier, schlug es auf und fing an zu singen. Sie hatte mehr eine klare, weiche, als eine mächtige Stimme, und eine Nachtigall, die es gehört, wäre gern näher gekommen, um zu hören, statt aufgescheucht davon zu fliegen.</p><lb/> <p>So traf sie auch am andern Tag Emil, den sie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
zurück, sah einige Bilder an und setzte sich dann neben sie auf den Divan, auf den sie sich gesetzt hatte. Sie sprachen nicht weiter. Nach weniger Zeit nahm er seinen Hut und sagte: Morgen reise ich. Ich kann mir bis dahin meinen Paß und das Uebrige besorgen. — Sie fand es ganz natürlich. — Aber Sie kommen noch einmal, ehe Sie fortgehen? sagte sie an der Thüre, bis zu der sie ihn begleitete. — Ja, rief er, und es beglückte ihn, daß sie so stillschweigend seine Pläne billigte, ich komme noch ein-, zweimal, so oft ich kann. Lassen Sie mich abweisen, wenn Sie mich nicht brauchen können, aber ich komme wieder. Damit trennten sie sich.
Therese fing an, ihr Zimmerchen in Ordnung zu bringen, das sie sich im Hause zu ihrem besondern Versteck ausgesucht hatte. Sie stellte sich alle Möbeln nach ihrem Geschmack um, jedes Stück bekam eine andere Stelle, und als Alles zurecht gerückt war, sah es aus, als hätte es nie anders stehen können. Sie packte ihre Schreibmappe aus und pflückte die welken Blätter aus den Blumentöpfen, die sie ans Fenster hatte tragen lassen. Mitten aus dieser Arbeit lief sie ans Clavier, schlug es auf und fing an zu singen. Sie hatte mehr eine klare, weiche, als eine mächtige Stimme, und eine Nachtigall, die es gehört, wäre gern näher gekommen, um zu hören, statt aufgescheucht davon zu fliegen.
So traf sie auch am andern Tag Emil, den sie
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/48>, abgerufen am 16.07.2024. |