Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. decomposita.
bild, nämlich wir sagen auch im nom. etc. mutter-gottes,
der nachgesetzte genitiv hat sich hier ausnahmsweise mit
dem ohnehin im sg. unveränderlichen mutter componiert.

b) nomen und partikel, z. b. nhd. lebens-be-schrei-
bung, sonnen-unter-gang, frühlings-an-fang, reichs-ab-
schied, landes-ver-ordnung, kriegs-er-klärung, bluts-ver-
wandt, rechts-wohl-that und eine menge ähnlicher; eben-
so mit vorstehender partikel: ab-schieds-tag, ge-richts-
herr, vor-raths-kammer etc.; mhd. und ahd. geht der
gen. ungebunden voraus, sei nun die partikel ihm oder
dem regierenden nomen anhaftend.

c) zwei partikeln hintereinander; dieser schon in der
alten sprache häufige fall fordert genauere abhandlung.

a) vor nominibus treffe ich sie gleichwohl im goth.
noch gar nicht an; wenn man auch dis in du-us auflösen
darf, so ist dis-taheins (dispersio) Joh. 7, 35. nichts als
bloße ableitung von dis-tahjan (vgl. s. 724.) und uf-ga-
kunths hat sonst bedenken (s. 771.). Im ahd. tritt vor
composita mit gi- zuweilen eine weitere partikel, vgl.
ana-ga-trip (impulsus) emm. 405. upar-ca-huct (superstitio)
upar-ca-noac (s. 772.) nah-ki-paur (finitimus), nicht aber
vermag gi-, oder gar a-, pi-, fir-, vor eine andere par-
tikel zu treten, neuer grund zur verwerfung von a-p-
anst (s. 705.) g-a-screcchi (s. 706.) g-ana-erbo (s. 753.)
und zur annahme von ap-anst (s. 708.) ga-screcchi, gan-
erbo. Decomposita mit den übrigen partikeln fehlen,
abgesehen von un-, das (wie in allen dialecten) vor com-
ponierte, wie vor einfache nomina tritt: un-ana-sihtig
N. Cap. 162. (mehr beispiele s. 779.). Ags. vor ge-: and-
ge-loma (s. 715.) ofer-ge-dyre (superliminare) ofer-ge-
veorc (opus supernnm) ofer-ge-nyhtsum (superabundans).
Mhd. vor ge- und ver-: an-ge-siht, in-ge-sinde, auß-ge-
sinde, über-ge-noß, zuo-ver-siht. Nhd. vor unbetonten
ge-, be-, ver-, ent-: ab-ge-sang, ab-g-unst, aber-g-laube,
an-ge-binde, an-ge-nehm, an-ge-sicht, aus-ge-burt, bei-
ge-schmack, nach-ge-schmack, nach-ge-burt, vor-ge-
birg, vor-ge-fühl, über-ge-nug, zu-ge-müs, wieder-ge-
burt; an-be-ginn, an-be-tracht, vor-be-richt, vor-be-halt,
in-be-griff; zu-ver-sicht, nach-ver-lust; auf-ent-halt u.
a. m. Selten, wenn die zweite partikel lebendiger und
betont ist: mit-vor-mund.

b) vor verbis; hier ist zweierlei zu unterscheiden 1)
die vier untrennbaren be-, er-, ge-, ver- (nicht aber
ent-, zer-) können die vorderstelle einnehmen, wenn
verba aus componierten nominibus gebildet werden.

III. decompoſita.
bild, nämlich wir ſagen auch im nom. etc. mutter-gottes,
der nachgeſetzte genitiv hat ſich hier ausnahmsweiſe mit
dem ohnehin im ſg. unveränderlichen mutter componiert.

b) nomen und partikel, z. b. nhd. lebens-be-ſchrei-
bung, ſonnen-unter-gang, frühlings-an-fang, reichs-ab-
ſchied, landes-ver-ordnung, kriegs-er-klärung, bluts-ver-
wandt, rechts-wohl-that und eine menge ähnlicher; eben-
ſo mit vorſtehender partikel: ab-ſchieds-tag, ge-richts-
herr, vor-raths-kammer etc.; mhd. und ahd. geht der
gen. ungebunden voraus, ſei nun die partikel ihm oder
dem regierenden nomen anhaftend.

c) zwei partikeln hintereinander; dieſer ſchon in der
alten ſprache häufige fall fordert genauere abhandlung.

α) vor nominibus treffe ich ſie gleichwohl im goth.
noch gar nicht an; wenn man auch dis in du-us auflöſen
darf, ſo iſt dis-taheins (diſperſio) Joh. 7, 35. nichts als
bloße ableitung von dis-tahjan (vgl. ſ. 724.) und uf-ga-
kunþs hat ſonſt bedenken (ſ. 771.). Im ahd. tritt vor
compoſita mit gi- zuweilen eine weitere partikel, vgl.
ana-ga-trip (impulſus) emm. 405. upar-ca-huct (ſuperſtitio)
upar-ca-noac (ſ. 772.) nâh-ki-pûr (finitimus), nicht aber
vermag gi-, oder gar â-, pi-, fir-, vor eine andere par-
tikel zu treten, neuer grund zur verwerfung von â-p-
anſt (ſ. 705.) g-â-ſcrecchi (ſ. 706.) g-ana-erbo (ſ. 753.)
und zur annahme von ap-anſt (ſ. 708.) gâ-ſcrecchi, gan-
erbo. Decompoſita mit den übrigen partikeln fehlen,
abgeſehen von un-, das (wie in allen dialecten) vor com-
ponierte, wie vor einfache nomina tritt: un-ana-ſihtig
N. Cap. 162. (mehr beiſpiele ſ. 779.). Agſ. vor ge-: and-
ge-lôma (ſ. 715.) ofer-ge-dyre (ſuperliminare) ofer-ge-
vëorc (opus ſupernnm) ofer-ge-nyhtſum (ſuperabundans).
Mhd. vor ge- und ver-: an-ge-ſiht, in-ge-ſinde, ûƷ-ge-
ſinde, über-ge-nôƷ, zuo-ver-ſiht. Nhd. vor unbetonten
ge-, be-, ver-, ent-: ab-ge-ſang, ab-g-unſt, aber-g-laube,
an-ge-binde, an-ge-nehm, an-ge-ſicht, aus-ge-burt, bei-
ge-ſchmack, nach-ge-ſchmack, nach-ge-burt, vor-ge-
birg, vor-ge-fühl, über-ge-nug, zu-ge-müs, wieder-ge-
burt; an-be-ginn, an-be-tracht, vor-be-richt, vor-be-halt,
in-be-griff; zu-ver-ſicht, nach-ver-luſt; auf-ent-halt u.
a. m. Selten, wenn die zweite partikel lebendiger und
betont iſt: mit-vor-mund.

β) vor verbis; hier iſt zweierlei zu unterſcheiden 1)
die vier untrennbaren be-, er-, ge-, ver- (nicht aber
ent-, zer-) können die vorderſtelle einnehmen, wenn
verba aus componierten nominibus gebildet werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0946" n="928"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">decompo&#x017F;ita.</hi></hi></fw><lb/>
bild, nämlich wir &#x017F;agen auch im nom. etc. mutter-gottes,<lb/>
der nachge&#x017F;etzte genitiv hat &#x017F;ich hier ausnahmswei&#x017F;e mit<lb/>
dem ohnehin im &#x017F;g. unveränderlichen mutter componiert.</p><lb/>
            <p>b) nomen und partikel, z. b. nhd. lebens-be-&#x017F;chrei-<lb/>
bung, &#x017F;onnen-unter-gang, frühlings-an-fang, reichs-ab-<lb/>
&#x017F;chied, landes-ver-ordnung, kriegs-er-klärung, bluts-ver-<lb/>
wandt, rechts-wohl-that und eine menge ähnlicher; eben-<lb/>
&#x017F;o mit vor&#x017F;tehender partikel: ab-&#x017F;chieds-tag, ge-richts-<lb/>
herr, vor-raths-kammer etc.; mhd. und ahd. geht der<lb/>
gen. ungebunden voraus, &#x017F;ei nun die partikel ihm oder<lb/>
dem regierenden nomen anhaftend.</p><lb/>
            <p>c) <hi rendition="#i">zwei partikeln</hi> hintereinander; die&#x017F;er &#x017F;chon in der<lb/>
alten &#x017F;prache häufige fall fordert genauere abhandlung.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">&#x03B1;</hi>) <hi rendition="#i">vor nominibus</hi> treffe ich &#x017F;ie gleichwohl im goth.<lb/>
noch gar nicht an; wenn man auch dis in du-us auflö&#x017F;en<lb/>
darf, &#x017F;o i&#x017F;t dis-taheins (di&#x017F;per&#x017F;io) Joh. 7, 35. nichts als<lb/>
bloße ableitung von dis-tahjan (vgl. &#x017F;. 724.) und uf-ga-<lb/>
kunþs hat &#x017F;on&#x017F;t bedenken (&#x017F;. 771.). Im ahd. tritt vor<lb/>
compo&#x017F;ita mit <hi rendition="#i">gi-</hi> zuweilen eine weitere partikel, vgl.<lb/>
ana-ga-trip (impul&#x017F;us) emm. 405. upar-ca-huct (&#x017F;uper&#x017F;titio)<lb/>
upar-ca-noac (&#x017F;. 772.) nâh-ki-pûr (finitimus), nicht aber<lb/>
vermag gi-, oder gar â-, pi-, fir-, vor eine andere par-<lb/>
tikel zu treten, neuer grund zur verwerfung von â-p-<lb/>
an&#x017F;t (&#x017F;. 705.) g-â-&#x017F;crecchi (&#x017F;. 706.) g-ana-erbo (&#x017F;. 753.)<lb/>
und zur annahme von ap-an&#x017F;t (&#x017F;. 708.) gâ-&#x017F;crecchi, gan-<lb/>
erbo. Decompo&#x017F;ita mit den übrigen partikeln fehlen,<lb/>
abge&#x017F;ehen von <hi rendition="#i">un-</hi>, das (wie in allen dialecten) vor com-<lb/>
ponierte, wie vor einfache nomina tritt: un-ana-&#x017F;ihtig<lb/>
N. Cap. 162. (mehr bei&#x017F;piele &#x017F;. 779.). Ag&#x017F;. vor <hi rendition="#i">ge-</hi>: and-<lb/>
ge-lôma (&#x017F;. 715.) ofer-ge-dyre (&#x017F;uperliminare) ofer-ge-<lb/>
vëorc (opus &#x017F;upernnm) ofer-ge-nyht&#x017F;um (&#x017F;uperabundans).<lb/>
Mhd. vor <hi rendition="#i">ge-</hi> und <hi rendition="#i">ver-</hi>: an-ge-&#x017F;iht, in-ge-&#x017F;inde, û&#x01B7;-ge-<lb/>
&#x017F;inde, über-ge-nô&#x01B7;, zuo-ver-&#x017F;iht. Nhd. vor unbetonten<lb/><hi rendition="#i">ge-</hi>, <hi rendition="#i">be-</hi>, <hi rendition="#i">ver-</hi>, <hi rendition="#i">ent-</hi>: ab-ge-&#x017F;ang, ab-g-un&#x017F;t, aber-g-laube,<lb/>
an-ge-binde, an-ge-nehm, an-ge-&#x017F;icht, aus-ge-burt, bei-<lb/>
ge-&#x017F;chmack, nach-ge-&#x017F;chmack, nach-ge-burt, vor-ge-<lb/>
birg, vor-ge-fühl, über-ge-nug, zu-ge-müs, wieder-ge-<lb/>
burt; an-be-ginn, an-be-tracht, vor-be-richt, vor-be-halt,<lb/>
in-be-griff; zu-ver-&#x017F;icht, nach-ver-lu&#x017F;t; auf-ent-halt u.<lb/>
a. m. Selten, wenn die zweite partikel lebendiger und<lb/>
betont i&#x017F;t: mit-vor-mund.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">&#x03B2;</hi>) <hi rendition="#i">vor verbis;</hi> hier i&#x017F;t zweierlei zu unter&#x017F;cheiden 1)<lb/>
die vier untrennbaren <hi rendition="#i">be-</hi>, <hi rendition="#i">er-</hi>, <hi rendition="#i">ge-</hi>, <hi rendition="#i">ver-</hi> (nicht aber<lb/>
ent-, zer-) können die vorder&#x017F;telle einnehmen, wenn<lb/>
verba aus componierten nominibus gebildet werden.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[928/0946] III. decompoſita. bild, nämlich wir ſagen auch im nom. etc. mutter-gottes, der nachgeſetzte genitiv hat ſich hier ausnahmsweiſe mit dem ohnehin im ſg. unveränderlichen mutter componiert. b) nomen und partikel, z. b. nhd. lebens-be-ſchrei- bung, ſonnen-unter-gang, frühlings-an-fang, reichs-ab- ſchied, landes-ver-ordnung, kriegs-er-klärung, bluts-ver- wandt, rechts-wohl-that und eine menge ähnlicher; eben- ſo mit vorſtehender partikel: ab-ſchieds-tag, ge-richts- herr, vor-raths-kammer etc.; mhd. und ahd. geht der gen. ungebunden voraus, ſei nun die partikel ihm oder dem regierenden nomen anhaftend. c) zwei partikeln hintereinander; dieſer ſchon in der alten ſprache häufige fall fordert genauere abhandlung. α) vor nominibus treffe ich ſie gleichwohl im goth. noch gar nicht an; wenn man auch dis in du-us auflöſen darf, ſo iſt dis-taheins (diſperſio) Joh. 7, 35. nichts als bloße ableitung von dis-tahjan (vgl. ſ. 724.) und uf-ga- kunþs hat ſonſt bedenken (ſ. 771.). Im ahd. tritt vor compoſita mit gi- zuweilen eine weitere partikel, vgl. ana-ga-trip (impulſus) emm. 405. upar-ca-huct (ſuperſtitio) upar-ca-noac (ſ. 772.) nâh-ki-pûr (finitimus), nicht aber vermag gi-, oder gar â-, pi-, fir-, vor eine andere par- tikel zu treten, neuer grund zur verwerfung von â-p- anſt (ſ. 705.) g-â-ſcrecchi (ſ. 706.) g-ana-erbo (ſ. 753.) und zur annahme von ap-anſt (ſ. 708.) gâ-ſcrecchi, gan- erbo. Decompoſita mit den übrigen partikeln fehlen, abgeſehen von un-, das (wie in allen dialecten) vor com- ponierte, wie vor einfache nomina tritt: un-ana-ſihtig N. Cap. 162. (mehr beiſpiele ſ. 779.). Agſ. vor ge-: and- ge-lôma (ſ. 715.) ofer-ge-dyre (ſuperliminare) ofer-ge- vëorc (opus ſupernnm) ofer-ge-nyhtſum (ſuperabundans). Mhd. vor ge- und ver-: an-ge-ſiht, in-ge-ſinde, ûƷ-ge- ſinde, über-ge-nôƷ, zuo-ver-ſiht. Nhd. vor unbetonten ge-, be-, ver-, ent-: ab-ge-ſang, ab-g-unſt, aber-g-laube, an-ge-binde, an-ge-nehm, an-ge-ſicht, aus-ge-burt, bei- ge-ſchmack, nach-ge-ſchmack, nach-ge-burt, vor-ge- birg, vor-ge-fühl, über-ge-nug, zu-ge-müs, wieder-ge- burt; an-be-ginn, an-be-tracht, vor-be-richt, vor-be-halt, in-be-griff; zu-ver-ſicht, nach-ver-luſt; auf-ent-halt u. a. m. Selten, wenn die zweite partikel lebendiger und betont iſt: mit-vor-mund. β) vor verbis; hier iſt zweierlei zu unterſcheiden 1) die vier untrennbaren be-, er-, ge-, ver- (nicht aber ent-, zer-) können die vorderſtelle einnehmen, wenn verba aus componierten nominibus gebildet werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/946
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 928. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/946>, abgerufen am 19.05.2024.