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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomposition. -- part. mit nom.
chen; -zimmer; -zug. -- Zu merken: a) dieses faura-
bedeutet meistens prae, ante, zuweilen pro, niemahls hat
es den privativen nebensinn des ahd. far-, fir- (vgl. fora-
siht, providentia, fer-siht, contemtus; vor-stand, prae-
fectus, ver-stand, intellectus). b) es wird nie, selbst im
mhd. und nhd. nicht, des tons verlustig. g) im nhd. vor-
theil hat sich die echte vocalkürze bewahrt *); während
alle übrigen composita. gleich der praep., langvocalisch
vor lauten, ist jenes wie scheinbare wurzel vorth-eil (un-
ter dem volk wirklich vort-el) analog den wörtern mor-
den, orden auszusprechen.

[fauri]; die form mangelt im goth., vielleicht ist faur-
daraus verkürzt? -- ahd. furi- nicht vor vielen wör-
tern: furi-chilli (camera) mons. 328. vgl. weit-chelli oben
s. 640; furi-haus (vestibulum) jun. 231; furi-purt (abstinen-
tia, frugalitas, continentia, coelibatus) K. 44a ker. 223.
mons. 388. furi-burt O. I. 18, 102. fure-burt N. 45, 10.
furi-purteic hrab. 953b mons. 355. fure-burtig N. 32, 16;
fure-reisare (praecursor) N. Cap. 133; furi-sprahhi (deli-
beratus) mons. 392; furi-sona (praejudicium) ker. 89; furi-
vanc (praeoccupatio) gefolgert aus furi-vangon mons. 344.
349. N. 87, 4. Cap. 116. Boeth. 258; furi-wahst (praepu-
tium) jun. 217. mons. 365. fure-wahst N. 47, 14; fure-
wizkern N. Cap. 132. -- ags. kein fyre-. -- altn. fyri-
und fyrir-, beide formen nebeneinander, sowohl untrenn-
bar als trennbar (im praepositionsfall). Biörn setzt fyrir
vor vocalen und h, fyri vor den übrigen consonanten,
andere ziehen durchgängig fyrir vor. Rask gibt keine
regel darüber, scheint aber auch fyrir zu begünstigen,
und hat es in seiner ausg. der edda (ohne zweifel auf
grund der hss.) statt des fyri der ed. hafn. (noch häufiger
setzt er for an dessen stelle). Ich begreife alsdann nicht,
wie im gl. ed. hafn. 1, 504b fyri ältere, fyrir neuere form
heißen kann. Umgekehrt dürfte jenes aus diesem durch
abwerfung des r entspringen, obschon sich die analogen
eptir, undir, yfir nicht in epti, undi, yfi kürzen; oder
hat eben diese trügerische analogie verführt, aus fyri fyrir
zu machen? denn im ahd. erscheint allerdings kein vorar,
vurir neben aftar, untar, upar, sondern bloß vuri. Die
besten altn. hss. mögen entscheiden, ich will in den fol-
genden beispielen gleichförmiges fyrir annehmen: fyrir-
bon (omen); fyrir-burdr (omen); fyrir-ferd (qualitas ex-

*) wie in einigen andern compositis, z. b. weg-fall, her-berge etc.,
da man alleinstehend weg, her spricht.

III. partikelcompoſition. — part. mit nom.
chen; -zimmer; -zug. — Zu merken: α) dieſes faúra-
bedeutet meiſtens prae, ante, zuweilen pro, niemahls hat
es den privativen nebenſinn des ahd. far-, fir- (vgl. fora-
ſiht, providentia, fër-ſiht, contemtus; vor-ſtand, prae-
fectus, ver-ſtand, intellectus). β) es wird nie, ſelbſt im
mhd. und nhd. nicht, des tons verluſtig. γ) im nhd. vor-
theil hat ſich die echte vocalkürze bewahrt *); während
alle übrigen compoſita. gleich der praep., langvocaliſch
vôr lauten, iſt jenes wie ſcheinbare wurzel vorth-eil (un-
ter dem volk wirklich vort-el) analog den wörtern mor-
den, orden auszuſprechen.

[faúri]; die form mangelt im goth., vielleicht iſt faúr-
daraus verkürzt? — ahd. furi- nicht vor vielen wör-
tern: furi-chilli (camera) monſ. 328. vgl. wît-chëlli oben
ſ. 640; furi-hûs (veſtibulum) jun. 231; furi-purt (abſtinen-
tia, frugalitas, continentia, coelibatus) K. 44a ker. 223.
monſ. 388. furi-burt O. I. 18, 102. fure-burt N. 45, 10.
furi-purtîc hrab. 953b monſ. 355. fure-burtig N. 32, 16;
fure-reiſâre (praecurſor) N. Cap. 133; furi-ſprâhhi (deli-
beratus) monſ. 392; furi-ſôna (praejudicium) ker. 89; furi-
vanc (praeoccupatio) gefolgert aus furi-vangôn monſ. 344.
349. N. 87, 4. Cap. 116. Boeth. 258; furi-wahſt (praepu-
tium) jun. 217. monſ. 365. fure-wahſt N. 47, 14; fure-
wizkërn N. Cap. 132. — agſ. kein fyre-. — altn. fyri-
und fyrir-, beide formen nebeneinander, ſowohl untrenn-
bar als trennbar (im praepoſitionsfall). Biörn ſetzt fyrir
vor vocalen und h, fyri vor den übrigen conſonanten,
andere ziehen durchgängig fyrir vor. Raſk gibt keine
regel darüber, ſcheint aber auch fyrir zu begünſtigen,
und hat es in ſeiner ausg. der edda (ohne zweifel auf
grund der hſſ.) ſtatt des fyri der ed. hafn. (noch häufiger
ſetzt er for an deſſen ſtelle). Ich begreife alsdann nicht,
wie im gl. ed. hafn. 1, 504b fyri ältere, fyrir neuere form
heißen kann. Umgekehrt dürfte jenes aus dieſem durch
abwerfung des r entſpringen, obſchon ſich die analogen
eptir, undir, yfir nicht in epti, undi, yfi kürzen; oder
hat eben dieſe trügeriſche analogie verführt, aus fyri fyrir
zu machen? denn im ahd. erſcheint allerdings kein vorar,
vurir neben aftar, untar, upar, ſondern bloß vuri. Die
beſten altn. hſſ. mögen entſcheiden, ich will in den fol-
genden beiſpielen gleichförmiges fyrir annehmen: fyrir-
bôn (omen); fyrir-burdr (omen); fyrir-ferd (qualitas ex-

*) wie in einigen andern compoſitis, z. b. weg-fall, her-berge etc.,
da man alleinſtehend wêg, her ſpricht.
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[728/0746] III. partikelcompoſition. — part. mit nom. chen; -zimmer; -zug. — Zu merken: α) dieſes faúra- bedeutet meiſtens prae, ante, zuweilen pro, niemahls hat es den privativen nebenſinn des ahd. far-, fir- (vgl. fora- ſiht, providentia, fër-ſiht, contemtus; vor-ſtand, prae- fectus, ver-ſtand, intellectus). β) es wird nie, ſelbſt im mhd. und nhd. nicht, des tons verluſtig. γ) im nhd. vor- theil hat ſich die echte vocalkürze bewahrt *); während alle übrigen compoſita. gleich der praep., langvocaliſch vôr lauten, iſt jenes wie ſcheinbare wurzel vorth-eil (un- ter dem volk wirklich vort-el) analog den wörtern mor- den, orden auszuſprechen. [faúri]; die form mangelt im goth., vielleicht iſt faúr- daraus verkürzt? — ahd. furi- nicht vor vielen wör- tern: furi-chilli (camera) monſ. 328. vgl. wît-chëlli oben ſ. 640; furi-hûs (veſtibulum) jun. 231; furi-purt (abſtinen- tia, frugalitas, continentia, coelibatus) K. 44a ker. 223. monſ. 388. furi-burt O. I. 18, 102. fure-burt N. 45, 10. furi-purtîc hrab. 953b monſ. 355. fure-burtig N. 32, 16; fure-reiſâre (praecurſor) N. Cap. 133; furi-ſprâhhi (deli- beratus) monſ. 392; furi-ſôna (praejudicium) ker. 89; furi- vanc (praeoccupatio) gefolgert aus furi-vangôn monſ. 344. 349. N. 87, 4. Cap. 116. Boeth. 258; furi-wahſt (praepu- tium) jun. 217. monſ. 365. fure-wahſt N. 47, 14; fure- wizkërn N. Cap. 132. — agſ. kein fyre-. — altn. fyri- und fyrir-, beide formen nebeneinander, ſowohl untrenn- bar als trennbar (im praepoſitionsfall). Biörn ſetzt fyrir vor vocalen und h, fyri vor den übrigen conſonanten, andere ziehen durchgängig fyrir vor. Raſk gibt keine regel darüber, ſcheint aber auch fyrir zu begünſtigen, und hat es in ſeiner ausg. der edda (ohne zweifel auf grund der hſſ.) ſtatt des fyri der ed. hafn. (noch häufiger ſetzt er for an deſſen ſtelle). Ich begreife alsdann nicht, wie im gl. ed. hafn. 1, 504b fyri ältere, fyrir neuere form heißen kann. Umgekehrt dürfte jenes aus dieſem durch abwerfung des r entſpringen, obſchon ſich die analogen eptir, undir, yfir nicht in epti, undi, yfi kürzen; oder hat eben dieſe trügeriſche analogie verführt, aus fyri fyrir zu machen? denn im ahd. erſcheint allerdings kein vorar, vurir neben aftar, untar, upar, ſondern bloß vuri. Die beſten altn. hſſ. mögen entſcheiden, ich will in den fol- genden beiſpielen gleichförmiges fyrir annehmen: fyrir- bôn (omen); fyrir-burdr (omen); fyrir-ferd (qualitas ex- *) wie in einigen andern compoſitis, z. b. weg-fall, her-berge etc., da man alleinſtehend wêg, her ſpricht.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/746>, abgerufen am 10.06.2024.