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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomposition. -- part. mit nom.
ren zweites wort aller verbalkraft ermangelt, z. b. goth.
ana-gards, nhd. vor-hof. Wie ist aber die rechte grenze
zu treffen zwischen wirklicher composition mit dem no-
men und bloßer ableitung von verbis? 1) wo gar kein
verbum dem nomen entspricht, hat sich natürlich die
partikel mit dem nomen zus. gesetzt, z. b. ahd. ap-krunti,
auf-himil. 2) wenn, die partikel abgelöst, das einfache
subst. nicht bestehen kann, so scheint die comp. mit dem
verbo eingegangen, das subst. deriviert, z. b. goth. af-lets,
nhd. ab-laß von af-letan, ab-laßen, da es kein subst. lets,
laß gibt. Rein entscheidet dieser grund nicht, die älteren
fimplicia können verloren sein. 3) offenbar verbale ab-
leitungen (s. 399, g. d.) bezeugen composition mit dem
verbo, z. b. die nhd. einrichtung, abhaltung stammen von
ein-richten, ab-halten, nicht hat sich die partikel zu den
subst. richtung, haltung gefügt. 4) offenbar nominale
(s. 399, b) dagegen fügung der partikel an das nomen,
z. b. das ahd. ab-sneitahi rührt von sneitahi her, nicht
von apa-sneidan. 5) ist gar keine ableitung sichtbar, oder
eine dunkle (s. 400. z) oder eine bald nominale, bald ver-
bale (s. 400. e) vorhanden, übrigens verbum und nomen
gleich geläufig; so läßt sich nicht angeben, ob die zus.
setzung zuerst mit dem einen oder dem andern vorge-
nommen worden sei. Beides scheint mir möglich, z. b.
im nhd. an-blick, unter-kunft, kann die partikel mit den
subst. blick, kunft componiert oder aus an-blicken, unter-
kommen hernach das subst. geleitet sein. In solchen fäl-
len sind die composita doppelt aufzuführen. 6) zuweilen
hilft die eigenthümliche veränderung aus, welche ver-
schiedne partikeln dialectisch vor dem nomen oder ver-
bum erfahren Ahd. gilt z. b. a- fürs nomen, ar- fürs
verbum; ags. or- fürs nomen, a- fürs verb.; ahd. ant-
fürs nomen, int-, in-, fürs verbum. Folglich ist a-danch,
ant-vanc mit dem nomen componiert, nicht von ar-den-
chan, int-fangan herleitbar. Folglich dürfen auch, wenn
die partikel unverändert bleibt, nomina und verba selb-
ständig mit ihr verbunden werden, wie ich (unter 5.)
behauptete. -- Der ausdruck trennbar in dem folgenden
verzeichnis zeigt an, daß die partikel außer der zusam-
mensetzung auch noch ungebunden, untrennbar, daß sie
nirgend ungebunden vorkomme; in der composition sind
auch die trennbaren untrennbar.

a- (ex); diese überall untrennbare, ahd. und mhd.
nur das nomen, alts. und ags. nur das verbum bindende
partikel kommt weder im goth. noch im altn. vor, das

III. partikelcompoſition. — part. mit nom.
ren zweites wort aller verbalkraft ermangelt, z. b. goth.
ana-gards, nhd. vor-hof. Wie iſt aber die rechte grenze
zu treffen zwiſchen wirklicher compoſition mit dem no-
men und bloßer ableitung von verbis? 1) wo gar kein
verbum dem nomen entſpricht, hat ſich natürlich die
partikel mit dem nomen zuſ. geſetzt, z. b. ahd. ap-krunti,
ûf-himil. 2) wenn, die partikel abgelöſt, das einfache
ſubſt. nicht beſtehen kann, ſo ſcheint die comp. mit dem
verbo eingegangen, das ſubſt. deriviert, z. b. goth. af-lêts,
nhd. ab-laß von af-lêtan, ab-laßen, da es kein ſubſt. lêts,
laß gibt. Rein entſcheidet dieſer grund nicht, die älteren
fimplicia können verloren ſein. 3) offenbar verbale ab-
leitungen (ſ. 399, γ. δ.) bezeugen compoſition mit dem
verbo, z. b. die nhd. einrichtung, abhaltung ſtammen von
ein-richten, ab-halten, nicht hat ſich die partikel zu den
ſubſt. richtung, haltung gefügt. 4) offenbar nominale
(ſ. 399, β) dagegen fügung der partikel an das nomen,
z. b. das ahd. ab-ſneitahi rührt von ſneitahi her, nicht
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eine dunkle (ſ. 400. ζ) oder eine bald nominale, bald ver-
bale (ſ. 400. ε) vorhanden, übrigens verbum und nomen
gleich geläufig; ſo läßt ſich nicht angeben, ob die zuſ.
ſetzung zuerſt mit dem einen oder dem andern vorge-
nommen worden ſei. Beides ſcheint mir möglich, z. b.
im nhd. an-blick, unter-kunft, kann die partikel mit den
ſubſt. blick, kunft componiert oder aus an-blicken, unter-
kommen hernach das ſubſt. geleitet ſein. In ſolchen fäl-
len ſind die compoſita doppelt aufzuführen. 6) zuweilen
hilft die eigenthümliche veränderung aus, welche ver-
ſchiedne partikeln dialectiſch vor dem nomen oder ver-
bum erfahren Ahd. gilt z. b. â- fürs nomen, ar- fürs
verbum; agſ. or- fürs nomen, â- fürs verb.; ahd. ant-
fürs nomen, int-, in-, fürs verbum. Folglich iſt â-danch,
ant-vanc mit dem nomen componiert, nicht von ar-den-
chan, int-fangan herleitbar. Folglich dürfen auch, wenn
die partikel unverändert bleibt, nomina und verba ſelb-
ſtändig mit ihr verbunden werden, wie ich (unter 5.)
behauptete. — Der ausdruck trennbar in dem folgenden
verzeichnis zeigt an, daß die partikel außer der zuſam-
menſetzung auch noch ungebunden, untrennbar, daß ſie
nirgend ungebunden vorkomme; in der compoſition ſind
auch die trennbaren untrennbar.

â- (ex); dieſe überall untrennbare, ahd. und mhd.
nur das nomen, altſ. und agſ. nur das verbum bindende
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[704/0722] III. partikelcompoſition. — part. mit nom. ren zweites wort aller verbalkraft ermangelt, z. b. goth. ana-gards, nhd. vor-hof. Wie iſt aber die rechte grenze zu treffen zwiſchen wirklicher compoſition mit dem no- men und bloßer ableitung von verbis? 1) wo gar kein verbum dem nomen entſpricht, hat ſich natürlich die partikel mit dem nomen zuſ. geſetzt, z. b. ahd. ap-krunti, ûf-himil. 2) wenn, die partikel abgelöſt, das einfache ſubſt. nicht beſtehen kann, ſo ſcheint die comp. mit dem verbo eingegangen, das ſubſt. deriviert, z. b. goth. af-lêts, nhd. ab-laß von af-lêtan, ab-laßen, da es kein ſubſt. lêts, laß gibt. Rein entſcheidet dieſer grund nicht, die älteren fimplicia können verloren ſein. 3) offenbar verbale ab- leitungen (ſ. 399, γ. δ.) bezeugen compoſition mit dem verbo, z. b. die nhd. einrichtung, abhaltung ſtammen von ein-richten, ab-halten, nicht hat ſich die partikel zu den ſubſt. richtung, haltung gefügt. 4) offenbar nominale (ſ. 399, β) dagegen fügung der partikel an das nomen, z. b. das ahd. ab-ſneitahi rührt von ſneitahi her, nicht von apa-ſnîdan. 5) iſt gar keine ableitung ſichtbar, oder eine dunkle (ſ. 400. ζ) oder eine bald nominale, bald ver- bale (ſ. 400. ε) vorhanden, übrigens verbum und nomen gleich geläufig; ſo läßt ſich nicht angeben, ob die zuſ. ſetzung zuerſt mit dem einen oder dem andern vorge- nommen worden ſei. Beides ſcheint mir möglich, z. b. im nhd. an-blick, unter-kunft, kann die partikel mit den ſubſt. blick, kunft componiert oder aus an-blicken, unter- kommen hernach das ſubſt. geleitet ſein. In ſolchen fäl- len ſind die compoſita doppelt aufzuführen. 6) zuweilen hilft die eigenthümliche veränderung aus, welche ver- ſchiedne partikeln dialectiſch vor dem nomen oder ver- bum erfahren Ahd. gilt z. b. â- fürs nomen, ar- fürs verbum; agſ. or- fürs nomen, â- fürs verb.; ahd. ant- fürs nomen, int-, in-, fürs verbum. Folglich iſt â-danch, ant-vanc mit dem nomen componiert, nicht von ar-den- chan, int-fangan herleitbar. Folglich dürfen auch, wenn die partikel unverändert bleibt, nomina und verba ſelb- ſtändig mit ihr verbunden werden, wie ich (unter 5.) behauptete. — Der ausdruck trennbar in dem folgenden verzeichnis zeigt an, daß die partikel außer der zuſam- menſetzung auch noch ungebunden, untrennbar, daß ſie nirgend ungebunden vorkomme; in der compoſition ſind auch die trennbaren untrennbar. â- (ex); dieſe überall untrennbare, ahd. und mhd. nur das nomen, altſ. und agſ. nur das verbum bindende partikel kommt weder im goth. noch im altn. vor, das

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/722>, abgerufen am 03.12.2024.