Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. verbale composition.
schwacher conj. geschehen könne. Wir sagen grab-scheit,
schreib-feder, gieß-haus, nie aber etwas wie grub-scheit,
schrieb-feder, goß-haus. Wo sich ablaut im ersten worte
einer composition zeigt, setzt er ein nomen voraus. In
diesem satz finde ich bestätigung dessen, was s. 79. 83. über
den laut und ablaut gesagt wurde, zugleich einen merk-
würdigen unterschied der composition von der derivation,
welche allerdings auch an ablautigen formen stattfindet
(s. 399. 490.). Da übrigens der laut des praesens in eini-
gen starken conjugationen veränderung erleidet (1, 863-
865.). so ist zu wißen, daß in der zus. setzung der laut
des praes. ind. plur. oder des inf. gilt, z. b. eß-lust, eß-
bar, gieß-kanne, vergieß-bar, nicht iß-, geuß-. Aus-
nahme machen das mhd. und nhd. sprich-wort (prover-
bium) st. sprech-wort (nnl. sprek-word; nhd. sprüch-wort
zu schreiben scheint ganz tadelhaft) und das mhd. genis-
baere, genis-lich, nhd. behilf-lich.

d) der verbalcomposition liegt, gleich jeder andern
eigentlichen, ein compositionsvocal zu grunde, über des-
sen stattfinden, haften, mischen mit ableitungsvocalen und
wegfallen die nämlichen wahrnehmungen gelten. Beispiele
geben die hernach anzuführenden belege.

e) die zahl der verbalen composita ist weit geringer,
als die der nominalen. Selbst im nhd., das die meisten
besitzt, kommt etwa nur eine auf funfzig nominale, im
mhd. und ahd. erscheinen noch wenigere. Bei Ulf., der
freeilich nicht viel über hundert nominale zus. setzungen
darbietet, ist sich daher nicht zu verwundern. daß keine
einzige verbale angetroffen wird. Die ursache liegt in
der natur der sache. Durch die nominale composition
werden ganz geläufige verhältnisse der nomina unterein-
ander festgesetzt, das schon stätige gelangt in noch faß-
lichere stätigkeit. Alle beziehungen des verbums sind
aber regsam, wandelbar und zu sinnlich, als daß sie sich
feßeln ließen. Erst der geistiger werdenden sprache, sei
es aus mangel an formen oder aus bedürfnis feinerer ab-
straction, fangen verbale zus. setzungen allmählig an zu-
zusagen. Aus verwandtem grunde ist die composition des
subst. und adj. mit verbis selten, uneigentliche verbale
ganz unmöglich. Uneigentliche substantivische schwankt
in eigentliche; uneigentliche verbale kann nicht einmahl
zu eigentlicher verbaler composition anlaß werden.

f) verbale zusammensetzung drückt auch in der be-
deutung weder genus, modus, tempus, numerus, person,

III. verbale compoſition.
ſchwacher conj. geſchehen könne. Wir ſagen grab-ſcheit,
ſchreib-feder, gieß-haus, nie aber etwas wie grub-ſcheit,
ſchrieb-feder, goß-haus. Wo ſich ablaut im erſten worte
einer compoſition zeigt, ſetzt er ein nomen voraus. In
dieſem ſatz finde ich beſtätigung deſſen, was ſ. 79. 83. über
den laut und ablaut geſagt wurde, zugleich einen merk-
würdigen unterſchied der compoſition von der derivation,
welche allerdings auch an ablautigen formen ſtattfindet
(ſ. 399. 490.). Da übrigens der laut des praeſens in eini-
gen ſtarken conjugationen veränderung erleidet (1, 863-
865.). ſo iſt zu wißen, daß in der zuſ. ſetzung der laut
des praeſ. ind. plur. oder des inf. gilt, z. b. eß-luſt, eß-
bar, gieß-kanne, vergieß-bar, nicht iß-, geuß-. Aus-
nahme machen das mhd. und nhd. ſprich-wort (prover-
bium) ſt. ſprech-wort (nnl. ſprêk-wôrd; nhd. ſprüch-wort
zu ſchreiben ſcheint ganz tadelhaft) und das mhd. genis-
bære, genis-lich, nhd. behilf-lich.

d) der verbalcompoſition liegt, gleich jeder andern
eigentlichen, ein compoſitionsvocal zu grunde, über deſ-
ſen ſtattfinden, haften, miſchen mit ableitungsvocalen und
wegfallen die nämlichen wahrnehmungen gelten. Beiſpiele
geben die hernach anzuführenden belege.

e) die zahl der verbalen compoſita iſt weit geringer,
als die der nominalen. Selbſt im nhd., das die meiſten
beſitzt, kommt etwa nur eine auf funfzig nominale, im
mhd. und ahd. erſcheinen noch wenigere. Bei Ulf., der
freîlich nicht viel über hundert nominale zuſ. ſetzungen
darbietet, iſt ſich daher nicht zu verwundern. daß keine
einzige verbale angetroffen wird. Die urſache liegt in
der natur der ſache. Durch die nominale compoſition
werden ganz geläufige verhältniſſe der nomina unterein-
ander feſtgeſetzt, das ſchon ſtätige gelangt in noch faß-
lichere ſtätigkeit. Alle beziehungen des verbums ſind
aber regſam, wandelbar und zu ſinnlich, als daß ſie ſich
feßeln ließen. Erſt der geiſtiger werdenden ſprache, ſei
es aus mangel an formen oder aus bedürfnis feinerer ab-
ſtraction, fangen verbale zuſ. ſetzungen allmählig an zu-
zuſagen. Aus verwandtem grunde iſt die compoſition des
ſubſt. und adj. mit verbis ſelten, uneigentliche verbale
ganz unmöglich. Uneigentliche ſubſtantiviſche ſchwankt
in eigentliche; uneigentliche verbale kann nicht einmahl
zu eigentlicher verbaler compoſition anlaß werden.

f) verbale zuſammenſetzung drückt auch in der be-
deutung weder genus, modus, tempus, numerus, perſon,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0697" n="679"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">verbale compo&#x017F;ition.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;chwacher conj. ge&#x017F;chehen könne. Wir &#x017F;agen grab-&#x017F;cheit,<lb/>
&#x017F;chreib-feder, gieß-haus, nie aber etwas wie grub-&#x017F;cheit,<lb/>
&#x017F;chrieb-feder, goß-haus. Wo &#x017F;ich ablaut im er&#x017F;ten worte<lb/>
einer compo&#x017F;ition zeigt, &#x017F;etzt er ein nomen voraus. In<lb/>
die&#x017F;em &#x017F;atz finde ich be&#x017F;tätigung de&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;. 79. 83. über<lb/>
den laut und ablaut ge&#x017F;agt wurde, zugleich einen merk-<lb/>
würdigen unter&#x017F;chied der compo&#x017F;ition von der derivation,<lb/>
welche allerdings auch an ablautigen formen &#x017F;tattfindet<lb/>
(&#x017F;. 399. 490.). Da übrigens der laut des prae&#x017F;ens in eini-<lb/>
gen &#x017F;tarken conjugationen veränderung erleidet (1, 863-<lb/>
865.). &#x017F;o i&#x017F;t zu wißen, daß in der zu&#x017F;. &#x017F;etzung der laut<lb/>
des prae&#x017F;. ind. plur. oder des inf. gilt, z. b. eß-lu&#x017F;t, eß-<lb/>
bar, gieß-kanne, vergieß-bar, nicht iß-, geuß-. Aus-<lb/>
nahme machen das mhd. und nhd. &#x017F;prich-wort (prover-<lb/>
bium) &#x017F;t. &#x017F;prech-wort (nnl. &#x017F;prêk-wôrd; nhd. &#x017F;prüch-wort<lb/>
zu &#x017F;chreiben &#x017F;cheint ganz tadelhaft) und das mhd. genis-<lb/>
bære, genis-lich, nhd. behilf-lich.</p><lb/>
            <p>d) der verbalcompo&#x017F;ition liegt, gleich jeder andern<lb/>
eigentlichen, ein <hi rendition="#i">compo&#x017F;itionsvocal</hi> zu grunde, über de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;tattfinden, haften, mi&#x017F;chen mit ableitungsvocalen und<lb/>
wegfallen die nämlichen wahrnehmungen gelten. Bei&#x017F;piele<lb/>
geben die hernach anzuführenden belege.</p><lb/>
            <p>e) die zahl der verbalen compo&#x017F;ita i&#x017F;t weit geringer,<lb/>
als die der nominalen. Selb&#x017F;t im nhd., das die mei&#x017F;ten<lb/>
be&#x017F;itzt, kommt etwa nur eine auf funfzig nominale, im<lb/>
mhd. und ahd. er&#x017F;cheinen noch wenigere. Bei Ulf., der<lb/>
freîlich nicht viel über hundert nominale zu&#x017F;. &#x017F;etzungen<lb/>
darbietet, i&#x017F;t &#x017F;ich daher nicht zu verwundern. daß keine<lb/>
einzige verbale angetroffen wird. Die ur&#x017F;ache liegt in<lb/>
der natur der &#x017F;ache. Durch die nominale compo&#x017F;ition<lb/>
werden ganz geläufige verhältni&#x017F;&#x017F;e der nomina unterein-<lb/>
ander fe&#x017F;tge&#x017F;etzt, das &#x017F;chon &#x017F;tätige gelangt in noch faß-<lb/>
lichere &#x017F;tätigkeit. Alle beziehungen des verbums &#x017F;ind<lb/>
aber reg&#x017F;am, wandelbar und zu &#x017F;innlich, als daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
feßeln ließen. Er&#x017F;t der gei&#x017F;tiger werdenden &#x017F;prache, &#x017F;ei<lb/>
es aus mangel an formen oder aus bedürfnis feinerer ab-<lb/>
&#x017F;traction, fangen verbale zu&#x017F;. &#x017F;etzungen allmählig an zu-<lb/>
zu&#x017F;agen. Aus verwandtem grunde i&#x017F;t die compo&#x017F;ition des<lb/>
&#x017F;ub&#x017F;t. und adj. mit verbis &#x017F;elten, uneigentliche verbale<lb/>
ganz unmöglich. Uneigentliche &#x017F;ub&#x017F;tantivi&#x017F;che &#x017F;chwankt<lb/>
in eigentliche; uneigentliche verbale kann nicht einmahl<lb/>
zu eigentlicher verbaler compo&#x017F;ition anlaß werden.</p><lb/>
            <p>f) verbale zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung drückt auch in der be-<lb/>
deutung weder genus, modus, tempus, numerus, per&#x017F;on,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[679/0697] III. verbale compoſition. ſchwacher conj. geſchehen könne. Wir ſagen grab-ſcheit, ſchreib-feder, gieß-haus, nie aber etwas wie grub-ſcheit, ſchrieb-feder, goß-haus. Wo ſich ablaut im erſten worte einer compoſition zeigt, ſetzt er ein nomen voraus. In dieſem ſatz finde ich beſtätigung deſſen, was ſ. 79. 83. über den laut und ablaut geſagt wurde, zugleich einen merk- würdigen unterſchied der compoſition von der derivation, welche allerdings auch an ablautigen formen ſtattfindet (ſ. 399. 490.). Da übrigens der laut des praeſens in eini- gen ſtarken conjugationen veränderung erleidet (1, 863- 865.). ſo iſt zu wißen, daß in der zuſ. ſetzung der laut des praeſ. ind. plur. oder des inf. gilt, z. b. eß-luſt, eß- bar, gieß-kanne, vergieß-bar, nicht iß-, geuß-. Aus- nahme machen das mhd. und nhd. ſprich-wort (prover- bium) ſt. ſprech-wort (nnl. ſprêk-wôrd; nhd. ſprüch-wort zu ſchreiben ſcheint ganz tadelhaft) und das mhd. genis- bære, genis-lich, nhd. behilf-lich. d) der verbalcompoſition liegt, gleich jeder andern eigentlichen, ein compoſitionsvocal zu grunde, über deſ- ſen ſtattfinden, haften, miſchen mit ableitungsvocalen und wegfallen die nämlichen wahrnehmungen gelten. Beiſpiele geben die hernach anzuführenden belege. e) die zahl der verbalen compoſita iſt weit geringer, als die der nominalen. Selbſt im nhd., das die meiſten beſitzt, kommt etwa nur eine auf funfzig nominale, im mhd. und ahd. erſcheinen noch wenigere. Bei Ulf., der freîlich nicht viel über hundert nominale zuſ. ſetzungen darbietet, iſt ſich daher nicht zu verwundern. daß keine einzige verbale angetroffen wird. Die urſache liegt in der natur der ſache. Durch die nominale compoſition werden ganz geläufige verhältniſſe der nomina unterein- ander feſtgeſetzt, das ſchon ſtätige gelangt in noch faß- lichere ſtätigkeit. Alle beziehungen des verbums ſind aber regſam, wandelbar und zu ſinnlich, als daß ſie ſich feßeln ließen. Erſt der geiſtiger werdenden ſprache, ſei es aus mangel an formen oder aus bedürfnis feinerer ab- ſtraction, fangen verbale zuſ. ſetzungen allmählig an zu- zuſagen. Aus verwandtem grunde iſt die compoſition des ſubſt. und adj. mit verbis ſelten, uneigentliche verbale ganz unmöglich. Uneigentliche ſubſtantiviſche ſchwankt in eigentliche; uneigentliche verbale kann nicht einmahl zu eigentlicher verbaler compoſition anlaß werden. f) verbale zuſammenſetzung drückt auch in der be- deutung weder genus, modus, tempus, numerus, perſon,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/697
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/697>, abgerufen am 10.06.2024.