Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. adj. eigentl. comp. -- adj. mit verb.
wan-ist f. wana-ist? Auf jeden fall muß das ahd. wan-ist
anders als das goth. van ist Marc. 10, 21. Luc. 18, 22.
genommen werden, das zwar dasselbe bedeutet, aber den
gen. der sache regiert, so daß van das freie subst. zu
sein scheint. -- altn. van-brauka (abuti); van-gera (deesse);
van-haga (deesse); van-heidra (dehonestare); van-heilga
(profanare); van-kunnandi (imperitus); van-skapadr (de-
formis); van-virda (honori detrahere). -- mnl. wan-
hagen (displicere) Maerl. 1, 376; wan-konnen 1, 440;
wan-trosten 1, 403.

z) einzelne der von a bis e angeführten zus. setzungen
können zwar als bloße ableitungen betrachtet und dann
zu anm. 2. gerechnet werden: fol-leistan, sam-laga, van-
heidra von den subst. fol-leist (auxilium) sam-lag (societas)
van-heidr (dedecus); eben-hiußen, wana-heilan von den
adj. eben-hiuße, wana-heil. Keines der starkconjugie-
renden läßt sich aber so ableiten, sondern beweist, daß
die composition mit dem verbo selbst vorgegangen ist,
folglich kann dies auch von den schwachformigen gelten.

e) lehrreich werden die zus. setzungen fulla-, epan-,
sama-, wana-, so wie das ihnen analoge substantivische
missa- (s. 587.) für die geschichte der partikeln. Offen-
bar machen sie nur darum ausnahme von der regel, daß
sich kein nomen mit dem verbum componiert, weil sie
ihrer lebendigen bedeutung verlustig geworden, sich dem
wesen der partikeln nähern. Man sieht das durch über-
tragung dieser composita ins lateinische, missa- entspricht
dem dis-, fulla- dem per-, epan- und sama- dem con-,
co-, wana- dem de-, ab-, also lauter partikeln. Ja, es
kann im deutschen eine partikelcomposition ganz gleich
damit laufen, z. b. vola-tan heißt grade was durah-tan
bei andern. Sollte nicht auch ihre abstractwerdung ein-
fluß auf die form zeigen? Aus ahd. volla- wird (min-
destens in einigen denkmählern) vola-, wie aus alla- ein
abstracteres ala-; in alla-, volla-, herrscht der begriff
der vollheit, allheit, in ala-, vola- die allgemeinere stär-
kung; ähnlich ist mis- aus missa-. Sollte sich ala- gleich-
falls mit dem verbo verbinden? Ich kenne nur ahd.
participia damit componiert, aus denen ich kein völliges
verbum zu schließen wage, aber altn. findet sich al-froe-
giaz (celebrescere).

th) solche mit verbis componierbare nomina, deren
sich wohl noch mehrere entdecken laßen, mögen halbe
partikeln
heißen, völlig sind sie es nicht: a) ihrer unab-

III. adj. eigentl. comp. — adj. mit verb.
wan-iſt f. wana-iſt? Auf jeden fall muß das ahd. wan-iſt
anders als das goth. van ïſt Marc. 10, 21. Luc. 18, 22.
genommen werden, das zwar dasſelbe bedeutet, aber den
gen. der ſache regiert, ſo daß van das freie ſubſt. zu
ſein ſcheint. — altn. van-brûka (abuti); van-gëra (deeſſe);
van-haga (deeſſe); van-heidra (dehoneſtare); van-heilga
(profanare); van-kunnandi (imperitus); van-ſkapadr (de-
formis); van-virda (honori detrahere). — mnl. wan-
hagen (diſplicere) Maerl. 1, 376; wan-konnen 1, 440;
wan-trôſten 1, 403.

ζ) einzelne der von α bis ε angeführten zuſ. ſetzungen
können zwar als bloße ableitungen betrachtet und dann
zu anm. 2. gerechnet werden: fol-leiſtan, ſam-laga, van-
heidra von den ſubſt. fol-leiſt (auxilium) ſam-lag (ſocietas)
van-heidr (dedecus); ëben-hiuƷen, wana-heilan von den
adj. ëben-hiuƷe, wana-heil. Keines der ſtarkconjugie-
renden läßt ſich aber ſo ableiten, ſondern beweiſt, daß
die compoſition mit dem verbo ſelbſt vorgegangen iſt,
folglich kann dies auch von den ſchwachformigen gelten.

η) lehrreich werden die zuſ. ſetzungen fulla-, ëpan-,
ſama-, wana-, ſo wie das ihnen analoge ſubſtantiviſche
miſſa- (ſ. 587.) für die geſchichte der partikeln. Offen-
bar machen ſie nur darum ausnahme von der regel, daß
ſich kein nomen mit dem verbum componiert, weil ſie
ihrer lebendigen bedeutung verluſtig geworden, ſich dem
weſen der partikeln nähern. Man ſieht das durch über-
tragung dieſer compoſita ins lateiniſche, miſſa- entſpricht
dem dis-, fulla- dem per-, ëpan- und ſama- dem con-,
co-, wana- dem de-, ab-, alſo lauter partikeln. Ja, es
kann im deutſchen eine partikelcompoſition ganz gleich
damit laufen, z. b. vola-tân heißt grade was durah-tân
bei andern. Sollte nicht auch ihre abſtractwerdung ein-
fluß auf die form zeigen? Aus ahd. volla- wird (min-
deſtens in einigen denkmählern) vola-, wie aus alla- ein
abſtracteres ala-; in alla-, volla-, herrſcht der begriff
der vollheit, allheit, in ala-, vola- die allgemeinere ſtär-
kung; ähnlich iſt mis- aus miſſa-. Sollte ſich ala- gleich-
falls mit dem verbo verbinden? Ich kenne nur ahd.
participia damit componiert, aus denen ich kein völliges
verbum zu ſchließen wage, aber altn. findet ſich al-frœ-
giaz (celebreſcere).

θ) ſolche mit verbis componierbare nomina, deren
ſich wohl noch mehrere entdecken laßen, mögen halbe
partikeln
heißen, völlig ſind ſie es nicht: a) ihrer unab-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0690" n="672"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">adj. eigentl. comp. &#x2014; adj. mit verb.</hi></hi></fw><lb/>
wan-i&#x017F;t f. wana-i&#x017F;t? Auf jeden fall muß das ahd. wan-i&#x017F;t<lb/>
anders als das goth. van ï&#x017F;t Marc. 10, 21. Luc. 18, 22.<lb/>
genommen werden, das zwar das&#x017F;elbe bedeutet, aber den<lb/>
gen. der &#x017F;ache regiert, &#x017F;o daß van das freie &#x017F;ub&#x017F;t. zu<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;cheint. &#x2014; altn. van-brûka (abuti); van-gëra (dee&#x017F;&#x017F;e);<lb/>
van-haga (dee&#x017F;&#x017F;e); van-heidra (dehone&#x017F;tare); van-heilga<lb/>
(profanare); van-kunnandi (imperitus); van-&#x017F;kapadr (de-<lb/>
formis); van-virda (honori detrahere). &#x2014; mnl. wan-<lb/>
hagen (di&#x017F;plicere) Maerl. 1, 376; wan-konnen 1, 440;<lb/>
wan-trô&#x017F;ten 1, 403.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#i">&#x03B6;</hi>) einzelne der von <hi rendition="#i">&#x03B1;</hi> bis <hi rendition="#i">&#x03B5;</hi> angeführten zu&#x017F;. &#x017F;etzungen<lb/>
können zwar als bloße ableitungen betrachtet und dann<lb/>
zu anm. 2. gerechnet werden: fol-lei&#x017F;tan, &#x017F;am-laga, van-<lb/>
heidra von den &#x017F;ub&#x017F;t. fol-lei&#x017F;t (auxilium) &#x017F;am-lag (&#x017F;ocietas)<lb/>
van-heidr (dedecus); ëben-hiu&#x01B7;en, wana-heilan von den<lb/>
adj. ëben-hiu&#x01B7;e, wana-heil. Keines der &#x017F;tarkconjugie-<lb/>
renden läßt &#x017F;ich aber &#x017F;o ableiten, &#x017F;ondern bewei&#x017F;t, daß<lb/>
die compo&#x017F;ition mit dem verbo &#x017F;elb&#x017F;t vorgegangen i&#x017F;t,<lb/>
folglich kann dies auch von den &#x017F;chwachformigen gelten.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#i">&#x03B7;</hi>) lehrreich werden die zu&#x017F;. &#x017F;etzungen <hi rendition="#i">fulla-</hi>, <hi rendition="#i">ëpan-</hi>,<lb/><hi rendition="#i">&#x017F;ama-</hi>, <hi rendition="#i">wana-</hi>, &#x017F;o wie das ihnen analoge &#x017F;ub&#x017F;tantivi&#x017F;che<lb/><hi rendition="#i">mi&#x017F;&#x017F;a-</hi> (&#x017F;. 587.) für die ge&#x017F;chichte der partikeln. Offen-<lb/>
bar machen &#x017F;ie nur darum ausnahme von der regel, daß<lb/>
&#x017F;ich kein nomen mit dem verbum componiert, weil &#x017F;ie<lb/>
ihrer lebendigen bedeutung verlu&#x017F;tig geworden, &#x017F;ich dem<lb/>
we&#x017F;en der partikeln nähern. Man &#x017F;ieht das durch über-<lb/>
tragung die&#x017F;er compo&#x017F;ita ins lateini&#x017F;che, mi&#x017F;&#x017F;a- ent&#x017F;pricht<lb/>
dem dis-, fulla- dem per-, ëpan- und &#x017F;ama- dem con-,<lb/>
co-, wana- dem de-, ab-, al&#x017F;o lauter partikeln. Ja, es<lb/>
kann im deut&#x017F;chen eine partikelcompo&#x017F;ition ganz gleich<lb/>
damit laufen, z. b. vola-tân heißt grade was durah-tân<lb/>
bei andern. Sollte nicht auch ihre ab&#x017F;tractwerdung ein-<lb/>
fluß auf die form zeigen? Aus ahd. <hi rendition="#i">volla-</hi> wird (min-<lb/>
de&#x017F;tens in einigen denkmählern) <hi rendition="#i">vola-</hi>, wie aus <hi rendition="#i">alla-</hi> ein<lb/>
ab&#x017F;tracteres <hi rendition="#i">ala-</hi>; in alla-, volla-, herr&#x017F;cht der begriff<lb/>
der vollheit, allheit, in ala-, vola- die allgemeinere &#x017F;tär-<lb/>
kung; ähnlich i&#x017F;t <hi rendition="#i">mis-</hi> aus <hi rendition="#i">mi&#x017F;&#x017F;a-</hi>. Sollte &#x017F;ich <hi rendition="#i">ala-</hi> gleich-<lb/>
falls mit dem verbo verbinden? Ich kenne nur ahd.<lb/>
participia damit componiert, aus denen ich kein völliges<lb/>
verbum zu &#x017F;chließen wage, aber altn. findet &#x017F;ich al-fr&#x0153;-<lb/>
giaz (celebre&#x017F;cere).</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#i">&#x03B8;</hi>) &#x017F;olche mit verbis componierbare nomina, deren<lb/>
&#x017F;ich wohl noch mehrere entdecken laßen, mögen <hi rendition="#i">halbe<lb/>
partikeln</hi> heißen, völlig &#x017F;ind &#x017F;ie es nicht: a) ihrer unab-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[672/0690] III. adj. eigentl. comp. — adj. mit verb. wan-iſt f. wana-iſt? Auf jeden fall muß das ahd. wan-iſt anders als das goth. van ïſt Marc. 10, 21. Luc. 18, 22. genommen werden, das zwar dasſelbe bedeutet, aber den gen. der ſache regiert, ſo daß van das freie ſubſt. zu ſein ſcheint. — altn. van-brûka (abuti); van-gëra (deeſſe); van-haga (deeſſe); van-heidra (dehoneſtare); van-heilga (profanare); van-kunnandi (imperitus); van-ſkapadr (de- formis); van-virda (honori detrahere). — mnl. wan- hagen (diſplicere) Maerl. 1, 376; wan-konnen 1, 440; wan-trôſten 1, 403. ζ) einzelne der von α bis ε angeführten zuſ. ſetzungen können zwar als bloße ableitungen betrachtet und dann zu anm. 2. gerechnet werden: fol-leiſtan, ſam-laga, van- heidra von den ſubſt. fol-leiſt (auxilium) ſam-lag (ſocietas) van-heidr (dedecus); ëben-hiuƷen, wana-heilan von den adj. ëben-hiuƷe, wana-heil. Keines der ſtarkconjugie- renden läßt ſich aber ſo ableiten, ſondern beweiſt, daß die compoſition mit dem verbo ſelbſt vorgegangen iſt, folglich kann dies auch von den ſchwachformigen gelten. η) lehrreich werden die zuſ. ſetzungen fulla-, ëpan-, ſama-, wana-, ſo wie das ihnen analoge ſubſtantiviſche miſſa- (ſ. 587.) für die geſchichte der partikeln. Offen- bar machen ſie nur darum ausnahme von der regel, daß ſich kein nomen mit dem verbum componiert, weil ſie ihrer lebendigen bedeutung verluſtig geworden, ſich dem weſen der partikeln nähern. Man ſieht das durch über- tragung dieſer compoſita ins lateiniſche, miſſa- entſpricht dem dis-, fulla- dem per-, ëpan- und ſama- dem con-, co-, wana- dem de-, ab-, alſo lauter partikeln. Ja, es kann im deutſchen eine partikelcompoſition ganz gleich damit laufen, z. b. vola-tân heißt grade was durah-tân bei andern. Sollte nicht auch ihre abſtractwerdung ein- fluß auf die form zeigen? Aus ahd. volla- wird (min- deſtens in einigen denkmählern) vola-, wie aus alla- ein abſtracteres ala-; in alla-, volla-, herrſcht der begriff der vollheit, allheit, in ala-, vola- die allgemeinere ſtär- kung; ähnlich iſt mis- aus miſſa-. Sollte ſich ala- gleich- falls mit dem verbo verbinden? Ich kenne nur ahd. participia damit componiert, aus denen ich kein völliges verbum zu ſchließen wage, aber altn. findet ſich al-frœ- giaz (celebreſcere). θ) ſolche mit verbis componierbare nomina, deren ſich wohl noch mehrere entdecken laßen, mögen halbe partikeln heißen, völlig ſind ſie es nicht: a) ihrer unab-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/690
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/690>, abgerufen am 10.06.2024.