Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. adj. eigentl. comp. -- adj. mit adj.
ahd. scheint die schon häufige composition mit -leih der be-
deutung des ersten worts kaum etwas hinzuzuthun, chlein-
leih, pidirp-leih, cafuoc-leih etc. heißen nichts anders als
das einfache chleini, pidirpi, cafuoki. Bei substantivischen
zus. setzungen mit -leih (s. 567.) war die operation wirk-
samer, sie erzeugte adj. aus subst.; hier aber wird, wenn
der nämliche sinn im vordern adj. liegt, nichts gewon-
nen. Führte nun die bloße analogie darauf, das -leih mit
adj. zu verbinden, wie man es mit subst. verband? oder
fand genauer betrachtet bei den adj. eine veränderung
des begriffes statt, eine schwächung nämlich, insofern das
-leih bloße annäherung, ähnlichkeit und nicht völlige
gleichheit ausdrückte? Mir ist keine stelle bekannt, die
hierfür spräche und z. b. dem fruot, suoßi ein fruot-leih
suoß-leih, als das beinahe, gleichsam kluge, süße zur seite
setzte. Ebensowenig finde ich ein mhd. groß-lich, junc-l.,
rei-l., sicher-l. etc. dem etwas von dem sinn benommen
wäre, der in groß, junc, reiche, sicher liegt. Desto we-
niger kann die verminderung des begrisß im nhd. geleug-
net werden, klein-lich, härt-l. dick-l. etc. ist nicht klein,
dick, hart, sondern was klein, dick, hart zu sein an-
fängt, etwas klein, dick, hart. Am merklichsten ist der
gegensatz in den adj. für farben: bläu-lich, gelb-lich, röth-
lich, was ins blaue, gelbe, rothe spielt. Aber eben das
macht mir das organische einer solchen unterscheidung
verdächtig. Die frühere sprache kennt kein rot-leih für
subrufus, sie hat dafür die ableitung -ht: roteleht (s. 381.
382.), woraus mit wegwerfung des -t nhd. rötlich, der
scharfe begriff der farbenverhältnisse hernach auf andere
adj. (arm, ärmlich; alt, ältlich; fromm, frömmlich etc.)
übertragen wurde. Einzelne scheinen den unverminder-
ten, alten begriff behalten zu haben: fröh-l. reich-l. treu-l.
gewöhn-l. 2) Gleichwohl nehme ich auch für die ahd.
und mhd. sprache eine durch das -leih bewirkte änderung
der bedeutung an: sie wird abstract, und insofern frei-
lich geschwächt. Und da sich zwar jedes sinnliche wort
abstract gebrauchen läßt, nicht aber das abstracte sinn-
lich; so folgt, daß man in vielen fällen das einfache adj.
statt des comp. mit -lich verwenden könne, nicht umge-
kehrt. Z. b. reichliche gabe und reiche, treuliche hülfe
und treue sind gleichviel, allein für reicher mann, wildes
thier darf nicht stehen reichlicher, wildliches. Dies er-
gibt sich in der älteren, von jenem farbunterschied unbe-
helligten sprache weit klarer. O. braucht suaßleih bei
den abstracten wörtern that, muth, gelüste, milde, zu-

III. adj. eigentl. comp. — adj. mit adj.
ahd. ſcheint die ſchon häufige compoſition mit -lîh der be-
deutung des erſten worts kaum etwas hinzuzuthun, chlein-
lîh, pidirp-lîh, cafuoc-lîh etc. heißen nichts anders als
das einfache chleini, pidirpi, cafuoki. Bei ſubſtantiviſchen
zuſ. ſetzungen mit -lîh (ſ. 567.) war die operation wirk-
ſamer, ſie erzeugte adj. aus ſubſt.; hier aber wird, wenn
der nämliche ſinn im vordern adj. liegt, nichts gewon-
nen. Führte nun die bloße analogie darauf, das -lîh mit
adj. zu verbinden, wie man es mit ſubſt. verband? oder
fand genauer betrachtet bei den adj. eine veränderung
des begriffes ſtatt, eine ſchwächung nämlich, inſofern das
-lîh bloße annäherung, ähnlichkeit und nicht völlige
gleichheit ausdrückte? Mir iſt keine ſtelle bekannt, die
hierfür ſpräche und z. b. dem fruot, ſuoƷi ein fruot-lîh
ſuoƷ-lîh, als das beinahe, gleichſam kluge, ſüße zur ſeite
ſetzte. Ebenſowenig finde ich ein mhd. grôƷ-lich, junc-l.,
rî-l., ſicher-l. etc. dem etwas von dem ſinn benommen
wäre, der in grôƷ, junc, rîche, ſicher liegt. Deſto we-
niger kann die verminderung des begriſß im nhd. geleug-
net werden, klein-lich, härt-l. dick-l. etc. iſt nicht klein,
dick, hart, ſondern was klein, dick, hart zu ſein an-
fängt, etwas klein, dick, hart. Am merklichſten iſt der
gegenſatz in den adj. für farben: bläu-lich, gelb-lich, röth-
lich, was ins blaue, gelbe, rothe ſpielt. Aber eben das
macht mir das organiſche einer ſolchen unterſcheidung
verdächtig. Die frühere ſprache kennt kein rôt-lîh für
ſubrufus, ſie hat dafür die ableitung -ht: rôtelëht (ſ. 381.
382.), woraus mit wegwerfung des -t nhd. rötlich, der
ſcharfe begriff der farbenverhältniſſe hernach auf andere
adj. (arm, ärmlich; alt, ältlich; fromm, frömmlich etc.)
übertragen wurde. Einzelne ſcheinen den unverminder-
ten, alten begriff behalten zu haben: fröh-l. reich-l. treu-l.
gewöhn-l. 2) Gleichwohl nehme ich auch für die ahd.
und mhd. ſprache eine durch das -lîh bewirkte änderung
der bedeutung an: ſie wird abſtract, und inſofern frei-
lich geſchwächt. Und da ſich zwar jedes ſinnliche wort
abſtract gebrauchen läßt, nicht aber das abſtracte ſinn-
lich; ſo folgt, daß man in vielen fällen das einfache adj.
ſtatt des comp. mit -lich verwenden könne, nicht umge-
kehrt. Z. b. reichliche gabe und reiche, treuliche hülfe
und treue ſind gleichviel, allein für reicher mann, wildes
thier darf nicht ſtehen reichlicher, wildliches. Dies er-
gibt ſich in der älteren, von jenem farbunterſchied unbe-
helligten ſprache weit klarer. O. braucht ſuaƷlîh bei
den abſtracten wörtern that, muth, gelüſte, milde, zu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0678" n="660"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">adj. eigentl. comp. &#x2014; adj. mit adj.</hi></hi></fw><lb/>
ahd. &#x017F;cheint die &#x017F;chon häufige compo&#x017F;ition mit -lîh der be-<lb/>
deutung des er&#x017F;ten worts kaum etwas hinzuzuthun, chlein-<lb/>
lîh, pidirp-lîh, cafuoc-lîh etc. heißen nichts anders als<lb/>
das einfache chleini, pidirpi, cafuoki. Bei &#x017F;ub&#x017F;tantivi&#x017F;chen<lb/>
zu&#x017F;. &#x017F;etzungen mit -lîh (&#x017F;. 567.) war die operation wirk-<lb/>
&#x017F;amer, &#x017F;ie erzeugte adj. aus &#x017F;ub&#x017F;t.; hier aber wird, wenn<lb/>
der nämliche &#x017F;inn im vordern adj. liegt, nichts gewon-<lb/>
nen. Führte nun die bloße analogie darauf, das -lîh mit<lb/>
adj. zu verbinden, wie man es mit &#x017F;ub&#x017F;t. verband? oder<lb/>
fand genauer betrachtet bei den adj. eine veränderung<lb/>
des begriffes &#x017F;tatt, eine <hi rendition="#i">&#x017F;chwächung</hi> nämlich, in&#x017F;ofern das<lb/>
-lîh bloße annäherung, ähnlichkeit und nicht völlige<lb/>
gleichheit ausdrückte? Mir i&#x017F;t keine &#x017F;telle bekannt, die<lb/>
hierfür &#x017F;präche und z. b. dem fruot, &#x017F;uo&#x01B7;i ein fruot-lîh<lb/>
&#x017F;uo&#x01B7;-lîh, als das beinahe, gleich&#x017F;am kluge, &#x017F;üße zur &#x017F;eite<lb/>
&#x017F;etzte. Eben&#x017F;owenig finde ich ein mhd. grô&#x01B7;-lich, junc-l.,<lb/>
rî-l., &#x017F;icher-l. etc. dem etwas von dem &#x017F;inn benommen<lb/>
wäre, der in grô&#x01B7;, junc, rîche, &#x017F;icher liegt. De&#x017F;to we-<lb/>
niger kann die <hi rendition="#i">verminderung</hi> des begri&#x017F;ß im nhd. geleug-<lb/>
net werden, klein-lich, härt-l. dick-l. etc. i&#x017F;t nicht klein,<lb/>
dick, hart, &#x017F;ondern was klein, dick, hart zu &#x017F;ein an-<lb/>
fängt, etwas klein, dick, hart. Am merklich&#x017F;ten i&#x017F;t der<lb/>
gegen&#x017F;atz in den adj. für farben: bläu-lich, gelb-lich, röth-<lb/>
lich, was ins blaue, gelbe, rothe &#x017F;pielt. Aber eben das<lb/>
macht mir das organi&#x017F;che einer &#x017F;olchen unter&#x017F;cheidung<lb/>
verdächtig. Die frühere &#x017F;prache kennt kein rôt-lîh für<lb/>
&#x017F;ubrufus, &#x017F;ie hat dafür die ableitung -ht: rôtelëht (&#x017F;. 381.<lb/>
382.), woraus mit wegwerfung des -t nhd. rötlich, der<lb/>
&#x017F;charfe begriff der farbenverhältni&#x017F;&#x017F;e hernach auf andere<lb/>
adj. (arm, ärmlich; alt, ältlich; fromm, frömmlich etc.)<lb/>
übertragen wurde. Einzelne &#x017F;cheinen den unverminder-<lb/>
ten, alten begriff behalten zu haben: fröh-l. reich-l. treu-l.<lb/>
gewöhn-l. 2) Gleichwohl nehme ich auch für die ahd.<lb/>
und mhd. &#x017F;prache eine durch das -lîh bewirkte änderung<lb/>
der bedeutung an: &#x017F;ie wird <hi rendition="#i">ab&#x017F;tract</hi>, und in&#x017F;ofern frei-<lb/>
lich ge&#x017F;chwächt. Und da &#x017F;ich zwar jedes &#x017F;innliche wort<lb/>
ab&#x017F;tract gebrauchen läßt, nicht aber das ab&#x017F;tracte &#x017F;inn-<lb/>
lich; &#x017F;o folgt, daß man in vielen fällen das einfache adj.<lb/>
&#x017F;tatt des comp. mit -lich verwenden könne, nicht umge-<lb/>
kehrt. Z. b. reichliche gabe und reiche, treuliche hülfe<lb/>
und treue &#x017F;ind gleichviel, allein für reicher mann, wildes<lb/>
thier darf nicht &#x017F;tehen reichlicher, wildliches. Dies er-<lb/>
gibt &#x017F;ich in der älteren, von jenem farbunter&#x017F;chied unbe-<lb/>
helligten &#x017F;prache weit klarer. O. braucht &#x017F;ua&#x01B7;lîh bei<lb/>
den ab&#x017F;tracten wörtern that, muth, gelü&#x017F;te, milde, zu-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[660/0678] III. adj. eigentl. comp. — adj. mit adj. ahd. ſcheint die ſchon häufige compoſition mit -lîh der be- deutung des erſten worts kaum etwas hinzuzuthun, chlein- lîh, pidirp-lîh, cafuoc-lîh etc. heißen nichts anders als das einfache chleini, pidirpi, cafuoki. Bei ſubſtantiviſchen zuſ. ſetzungen mit -lîh (ſ. 567.) war die operation wirk- ſamer, ſie erzeugte adj. aus ſubſt.; hier aber wird, wenn der nämliche ſinn im vordern adj. liegt, nichts gewon- nen. Führte nun die bloße analogie darauf, das -lîh mit adj. zu verbinden, wie man es mit ſubſt. verband? oder fand genauer betrachtet bei den adj. eine veränderung des begriffes ſtatt, eine ſchwächung nämlich, inſofern das -lîh bloße annäherung, ähnlichkeit und nicht völlige gleichheit ausdrückte? Mir iſt keine ſtelle bekannt, die hierfür ſpräche und z. b. dem fruot, ſuoƷi ein fruot-lîh ſuoƷ-lîh, als das beinahe, gleichſam kluge, ſüße zur ſeite ſetzte. Ebenſowenig finde ich ein mhd. grôƷ-lich, junc-l., rî-l., ſicher-l. etc. dem etwas von dem ſinn benommen wäre, der in grôƷ, junc, rîche, ſicher liegt. Deſto we- niger kann die verminderung des begriſß im nhd. geleug- net werden, klein-lich, härt-l. dick-l. etc. iſt nicht klein, dick, hart, ſondern was klein, dick, hart zu ſein an- fängt, etwas klein, dick, hart. Am merklichſten iſt der gegenſatz in den adj. für farben: bläu-lich, gelb-lich, röth- lich, was ins blaue, gelbe, rothe ſpielt. Aber eben das macht mir das organiſche einer ſolchen unterſcheidung verdächtig. Die frühere ſprache kennt kein rôt-lîh für ſubrufus, ſie hat dafür die ableitung -ht: rôtelëht (ſ. 381. 382.), woraus mit wegwerfung des -t nhd. rötlich, der ſcharfe begriff der farbenverhältniſſe hernach auf andere adj. (arm, ärmlich; alt, ältlich; fromm, frömmlich etc.) übertragen wurde. Einzelne ſcheinen den unverminder- ten, alten begriff behalten zu haben: fröh-l. reich-l. treu-l. gewöhn-l. 2) Gleichwohl nehme ich auch für die ahd. und mhd. ſprache eine durch das -lîh bewirkte änderung der bedeutung an: ſie wird abſtract, und inſofern frei- lich geſchwächt. Und da ſich zwar jedes ſinnliche wort abſtract gebrauchen läßt, nicht aber das abſtracte ſinn- lich; ſo folgt, daß man in vielen fällen das einfache adj. ſtatt des comp. mit -lich verwenden könne, nicht umge- kehrt. Z. b. reichliche gabe und reiche, treuliche hülfe und treue ſind gleichviel, allein für reicher mann, wildes thier darf nicht ſtehen reichlicher, wildliches. Dies er- gibt ſich in der älteren, von jenem farbunterſchied unbe- helligten ſprache weit klarer. O. braucht ſuaƷlîh bei den abſtracten wörtern that, muth, gelüſte, milde, zu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/678
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/678>, abgerufen am 04.07.2024.