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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit verb.
dem componierten einzuräumen, z. b. falls ein ahd. wein-
trunchan gölte, würde wein-trunchanei daraus folgen (ich
finde upar-trunchanei, ubar-trunchalei vom adj. trunchal,
vermuthe auch eher wein-trunchalei, als wein-trunchanei).
Da aber in den neueren sprachen die bildung der fem.
auf -e überhaupt versiegt, so kommen comp. part. praet.
weder in dieser ableitung, noch in andern vor. Ob sie
weitere zusammensetzungen (mit -heit, -lich) erlauben,
gehört in §. 3. Bei dieser gelegenheit will ich eine s. 184.
und 365. aufgestellte vermuthung ganz verwerfen. Die
goth. -ubni sind keine composita, am wenigsten mit part.
praet. weil 1) der comp. vocal mangelt, 2) ein part. ubns,
obns unerweislich und höchst unwahrscheinlich ist, 3) so-
wohl composition, als die neue derivation daraus aller
analogie entbehren. Das altn. -efni componiert sich nur
uneigentlich (genitivisch).

IV) zusammensetzung mit dem infinitiv.
Wie der inf. substantivisch gesetzt werde hat die syntax
auszuführen, hier ist bloß von seiner, alsdann thunlichen
composition mit substantiven die rede; was von ihm gilt
(sei er nun nom. oder acc.) muß auch von seiner gen.
und dativform (1, 1021. 1022.) behauptet werden. Ich un-
terscheide

a) wo die composition schon im subst. vorgegangen,
das verbum bloß daraus abgeleitet ist, versteht es sich von
selbst, daß auch der inf. und seine casus componiert ge-
braucht werden dürfen vgl. hals-slagonnes O. IV. 19, 144.

b) es kann aber auch die zusammensetzung erst mit
den genannten verbalformen erfolgen, gleichviel ob das
verbum schwach oder stark conjugiere. Dem wirklichen
und ganzen verbo wurde diese compositionsfähigkeit
s. 582. abgesprochen. Dem inf. seiner substantivischen,
wie den participien ihrer adjectivischen natur halben,
muß sie zuerkannt werden. So gut man ahd. chneht-
wesanti (und theoretisch chneht-wortaner) sagen durfte,
war auch chneht-wesan, chneht-wesannes N. 62, 4.
chneht-wesanne erlaubt. Doch will ich lange nicht aus
jedem gangbaren compos. mit participien auf analoge mit
dem inf. schließen. Im ahd. und mhd. scheinen keine
oder wenige beispiele vorzuliegen, die präpositionell zu
erklären sind. Gewöhnlich kann das erste wort von dem
zweiten accusativisch regiert werden und dann entspringt
zweifel zwischen eigentlicher comp. und uneigentlicher.
Gar keine comp. ist in liuto fillennes, fiures brennennes

P p 2

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb.
dem componierten einzuräumen, z. b. falls ein ahd. wîn-
trunchan gölte, würde wîn-trunchanî daraus folgen (ich
finde upar-trunchanî, ubar-trunchalî vom adj. trunchal,
vermuthe auch eher wîn-trunchalî, als wîn-trunchanî).
Da aber in den neueren ſprachen die bildung der fem.
auf -e überhaupt verſiegt, ſo kommen comp. part. praet.
weder in dieſer ableitung, noch in andern vor. Ob ſie
weitere zuſammenſetzungen (mit -heit, -lich) erlauben,
gehört in §. 3. Bei dieſer gelegenheit will ich eine ſ. 184.
und 365. aufgeſtellte vermuthung ganz verwerfen. Die
goth. -ubni ſind keine compoſita, am wenigſten mit part.
praet. weil 1) der comp. vocal mangelt, 2) ein part. ubns,
ôbns unerweiſlich und höchſt unwahrſcheinlich iſt, 3) ſo-
wohl compoſition, als die neue derivation daraus aller
analogie entbehren. Das altn. -efni componiert ſich nur
uneigentlich (genitiviſch).

IV) zuſammenſetzung mit dem infinitiv.
Wie der inf. ſubſtantiviſch geſetzt werde hat die ſyntax
auszuführen, hier iſt bloß von ſeiner, alsdann thunlichen
compoſition mit ſubſtantiven die rede; was von ihm gilt
(ſei er nun nom. oder acc.) muß auch von ſeiner gen.
und dativform (1, 1021. 1022.) behauptet werden. Ich un-
terſcheide

α) wo die compoſition ſchon im ſubſt. vorgegangen,
das verbum bloß daraus abgeleitet iſt, verſteht es ſich von
ſelbſt, daß auch der inf. und ſeine caſus componiert ge-
braucht werden dürfen vgl. hals-ſlagônnes O. IV. 19, 144.

β) es kann aber auch die zuſammenſetzung erſt mit
den genannten verbalformen erfolgen, gleichviel ob das
verbum ſchwach oder ſtark conjugiere. Dem wirklichen
und ganzen verbo wurde dieſe compoſitionsfähigkeit
ſ. 582. abgeſprochen. Dem inf. ſeiner ſubſtantiviſchen,
wie den participien ihrer adjectiviſchen natur halben,
muß ſie zuerkannt werden. So gut man ahd. chnëht-
wëſanti (und theoretiſch chnëht-wortanêr) ſagen durfte,
war auch chnëht-wëſan, chnëht-wëſannes N. 62, 4.
chnëht-wëſanne erlaubt. Doch will ich lange nicht aus
jedem gangbaren compoſ. mit participien auf analoge mit
dem inf. ſchließen. Im ahd. und mhd. ſcheinen keine
oder wenige beiſpiele vorzuliegen, die präpoſitionell zu
erklären ſind. Gewöhnlich kann das erſte wort von dem
zweiten accuſativiſch regiert werden und dann entſpringt
zweifel zwiſchen eigentlicher comp. und uneigentlicher.
Gar keine comp. iſt in liutô fillennes, fiures brennennes

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[595/0613] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb. dem componierten einzuräumen, z. b. falls ein ahd. wîn- trunchan gölte, würde wîn-trunchanî daraus folgen (ich finde upar-trunchanî, ubar-trunchalî vom adj. trunchal, vermuthe auch eher wîn-trunchalî, als wîn-trunchanî). Da aber in den neueren ſprachen die bildung der fem. auf -e überhaupt verſiegt, ſo kommen comp. part. praet. weder in dieſer ableitung, noch in andern vor. Ob ſie weitere zuſammenſetzungen (mit -heit, -lich) erlauben, gehört in §. 3. Bei dieſer gelegenheit will ich eine ſ. 184. und 365. aufgeſtellte vermuthung ganz verwerfen. Die goth. -ubni ſind keine compoſita, am wenigſten mit part. praet. weil 1) der comp. vocal mangelt, 2) ein part. ubns, ôbns unerweiſlich und höchſt unwahrſcheinlich iſt, 3) ſo- wohl compoſition, als die neue derivation daraus aller analogie entbehren. Das altn. -efni componiert ſich nur uneigentlich (genitiviſch). IV) zuſammenſetzung mit dem infinitiv. Wie der inf. ſubſtantiviſch geſetzt werde hat die ſyntax auszuführen, hier iſt bloß von ſeiner, alsdann thunlichen compoſition mit ſubſtantiven die rede; was von ihm gilt (ſei er nun nom. oder acc.) muß auch von ſeiner gen. und dativform (1, 1021. 1022.) behauptet werden. Ich un- terſcheide α) wo die compoſition ſchon im ſubſt. vorgegangen, das verbum bloß daraus abgeleitet iſt, verſteht es ſich von ſelbſt, daß auch der inf. und ſeine caſus componiert ge- braucht werden dürfen vgl. hals-ſlagônnes O. IV. 19, 144. β) es kann aber auch die zuſammenſetzung erſt mit den genannten verbalformen erfolgen, gleichviel ob das verbum ſchwach oder ſtark conjugiere. Dem wirklichen und ganzen verbo wurde dieſe compoſitionsfähigkeit ſ. 582. abgeſprochen. Dem inf. ſeiner ſubſtantiviſchen, wie den participien ihrer adjectiviſchen natur halben, muß ſie zuerkannt werden. So gut man ahd. chnëht- wëſanti (und theoretiſch chnëht-wortanêr) ſagen durfte, war auch chnëht-wëſan, chnëht-wëſannes N. 62, 4. chnëht-wëſanne erlaubt. Doch will ich lange nicht aus jedem gangbaren compoſ. mit participien auf analoge mit dem inf. ſchließen. Im ahd. und mhd. ſcheinen keine oder wenige beiſpiele vorzuliegen, die präpoſitionell zu erklären ſind. Gewöhnlich kann das erſte wort von dem zweiten accuſativiſch regiert werden und dann entſpringt zweifel zwiſchen eigentlicher comp. und uneigentlicher. Gar keine comp. iſt in liutô fillennes, fiures brennennes P p 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/613>, abgerufen am 28.05.2024.