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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit verb.
schwach, da kein starkes verbum aus einem nomen ent-
springt. Wo folglich ein subst. einem starken verbo vor-
hersteht, kann es nur von ihm regiert werden, nicht mit
ihm componiert sein. Mons. 385. 366. 355. 354. 391.
würde es fehlerhaft sein gouma-neme, gouma-nemet,
gouma-nimit, gouma-nim zusammenzuziehen, statt gouma
neme etc. und gleicher vorwurf trifft goum-genomen Nib.
8424. statt goum (goume) genomen. Auch sind die nhd.
theil-nehmen, wahr-nehmen, acht-geben keineswegs echtc
composita. Denn es liegt ihnen allen kein nomen zu
grund und es läßt sich unmöglich sagen weder gi-gouma-
neman (wie gi-muot-fagon) noch gi-gouma-noman (wie
gi-muot-fagot); uncomponiert aber findet statt: gouma gino-
man, nhd. theil genommen, wahr genommen. Gouma ist der
leibhafte casus, wie zum überfluß aus der schwachen form, die
dialectisch gebraucht wird, erhellet: goumaun nam, oder
aus der nachsetzung des subst.: nim gouma jun. 233. nim
gaumaun J. 378. Wir dürfen nicht sagen theil-nahm (wie
rath-schlagte oder mhd. muot-vagete) sondern nur (nach
den umständen) theil nahm oder nahm theil, während
die eigentlichen composita keine trennung leiden (nicht:
schlagte rath, vagete muot). -- c) die ursache, weshalb
die sprache unzertrennliche verbindung mit dem nomen
einzugehen das verbum verhindert, nämlich das starke
durchaus, das schwache unmittelbarerweise, ja warum sie
nicht einmahl mittelbare (ein componiertes nomen vor-
aussetzende) verbindung des schwachen gerne sieht, muß
in der natur des verbums überhaupt gefucht werden.
Sein ganzes wesen ist thätigkeit, entgegengesetzt der ruhe
des nomens. Bei dem nomen soll eben die composition
bleibende zustände im ausdruck feßeln. Das verbum,
nach zeit und modus regsam und bewegt, übt einen viel
zu manigfaltigen einfluß auf das nomen aus, als daß er
nicht durch zusammensetzungen sollte gehemmt werden.
Es will bestimmte casus regieren, die vage allgemeinheit
substantivischer composition sagt ihm nicht zu. Daher
glaube ich kommt es auch, daß das verbum weit weni-
ger ableitungsmittel hat, als das subst. (s. 898. note) aber
das verbum ist unvergleichbar wurzelreicher und wurzel-
hafter, denn alle nomina gehen von ihm aus. Daher
sind ihm ferner die aus nominalzusammensetzungen ge-
leiteten verba fast zu schwerfällig, die wenigen eingeführt
wordenen meistens intransitiva, folglich vorzugsweise zur
zweiten conjug. gehörig. Endlich erklärt sich, warum
die dem nomen näher liegenden beflandtheile des ver-

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb.
ſchwach, da kein ſtarkes verbum aus einem nomen ent-
ſpringt. Wo folglich ein ſubſt. einem ſtarken verbo vor-
herſteht, kann es nur von ihm regiert werden, nicht mit
ihm componiert ſein. Monſ. 385. 366. 355. 354. 391.
würde es fehlerhaft ſein gouma-nëme, gouma-nëmet,
gouma-nimit, gouma-nim zuſammenzuziehen, ſtatt gouma
nëme etc. und gleicher vorwurf trifft goum-genomen Nib.
8424. ſtatt goum (goume) genomen. Auch ſind die nhd.
theil-nehmen, wahr-nehmen, acht-geben keineswegs echtc
compoſita. Denn es liegt ihnen allen kein nomen zu
grund und es läßt ſich unmöglich ſagen weder gi-gouma-
nëman (wie gi-muot-fagôn) noch gi-gouma-noman (wie
gi-muot-fagôt); uncomponiert aber findet ſtatt: gouma gino-
man, nhd. theil genommen, wahr genommen. Gouma iſt der
leibhafte caſus, wie zum überfluß aus der ſchwachen form, die
dialectiſch gebraucht wird, erhellet: goumûn nam, oder
aus der nachſetzung des ſubſt.: nim gouma jun. 233. nim
gaumûn J. 378. Wir dürfen nicht ſagen theil-nahm (wie
rath-ſchlagte oder mhd. muot-vagete) ſondern nur (nach
den umſtänden) theil nahm oder nahm theil, während
die eigentlichen compoſita keine trennung leiden (nicht:
ſchlagte rath, vagete muot). — c) die urſache, weshalb
die ſprache unzertrennliche verbindung mit dem nomen
einzugehen das verbum verhindert, nämlich das ſtarke
durchaus, das ſchwache unmittelbarerweiſe, ja warum ſie
nicht einmahl mittelbare (ein componiertes nomen vor-
ausſetzende) verbindung des ſchwachen gerne ſieht, muß
in der natur des verbums überhaupt gefucht werden.
Sein ganzes weſen iſt thätigkeit, entgegengeſetzt der ruhe
des nomens. Bei dem nomen ſoll eben die compoſition
bleibende zuſtände im ausdruck feßeln. Das verbum,
nach zeit und modus regſam und bewegt, übt einen viel
zu manigfaltigen einfluß auf das nomen aus, als daß er
nicht durch zuſammenſetzungen ſollte gehemmt werden.
Es will beſtimmte caſus regieren, die vage allgemeinheit
ſubſtantiviſcher compoſition ſagt ihm nicht zu. Daher
glaube ich kommt es auch, daß das verbum weit weni-
ger ableitungsmittel hat, als das ſubſt. (ſ. 898. note) aber
das verbum iſt unvergleichbar wurzelreicher und wurzel-
hafter, denn alle nomina gehen von ihm aus. Daher
ſind ihm ferner die aus nominalzuſammenſetzungen ge-
leiteten verba faſt zu ſchwerfällig, die wenigen eingeführt
wordenen meiſtens intranſitiva, folglich vorzugsweiſe zur
zweiten conjug. gehörig. Endlich erklärt ſich, warum
die dem nomen näher liegenden beflandtheile des ver-

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[586/0604] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb. ſchwach, da kein ſtarkes verbum aus einem nomen ent- ſpringt. Wo folglich ein ſubſt. einem ſtarken verbo vor- herſteht, kann es nur von ihm regiert werden, nicht mit ihm componiert ſein. Monſ. 385. 366. 355. 354. 391. würde es fehlerhaft ſein gouma-nëme, gouma-nëmet, gouma-nimit, gouma-nim zuſammenzuziehen, ſtatt gouma nëme etc. und gleicher vorwurf trifft goum-genomen Nib. 8424. ſtatt goum (goume) genomen. Auch ſind die nhd. theil-nehmen, wahr-nehmen, acht-geben keineswegs echtc compoſita. Denn es liegt ihnen allen kein nomen zu grund und es läßt ſich unmöglich ſagen weder gi-gouma- nëman (wie gi-muot-fagôn) noch gi-gouma-noman (wie gi-muot-fagôt); uncomponiert aber findet ſtatt: gouma gino- man, nhd. theil genommen, wahr genommen. Gouma iſt der leibhafte caſus, wie zum überfluß aus der ſchwachen form, die dialectiſch gebraucht wird, erhellet: goumûn nam, oder aus der nachſetzung des ſubſt.: nim gouma jun. 233. nim gaumûn J. 378. Wir dürfen nicht ſagen theil-nahm (wie rath-ſchlagte oder mhd. muot-vagete) ſondern nur (nach den umſtänden) theil nahm oder nahm theil, während die eigentlichen compoſita keine trennung leiden (nicht: ſchlagte rath, vagete muot). — c) die urſache, weshalb die ſprache unzertrennliche verbindung mit dem nomen einzugehen das verbum verhindert, nämlich das ſtarke durchaus, das ſchwache unmittelbarerweiſe, ja warum ſie nicht einmahl mittelbare (ein componiertes nomen vor- ausſetzende) verbindung des ſchwachen gerne ſieht, muß in der natur des verbums überhaupt gefucht werden. Sein ganzes weſen iſt thätigkeit, entgegengeſetzt der ruhe des nomens. Bei dem nomen ſoll eben die compoſition bleibende zuſtände im ausdruck feßeln. Das verbum, nach zeit und modus regſam und bewegt, übt einen viel zu manigfaltigen einfluß auf das nomen aus, als daß er nicht durch zuſammenſetzungen ſollte gehemmt werden. Es will beſtimmte caſus regieren, die vage allgemeinheit ſubſtantiviſcher compoſition ſagt ihm nicht zu. Daher glaube ich kommt es auch, daß das verbum weit weni- ger ableitungsmittel hat, als das ſubſt. (ſ. 898. note) aber das verbum iſt unvergleichbar wurzelreicher und wurzel- hafter, denn alle nomina gehen von ihm aus. Daher ſind ihm ferner die aus nominalzuſammenſetzungen ge- leiteten verba faſt zu ſchwerfällig, die wenigen eingeführt wordenen meiſtens intranſitiva, folglich vorzugsweiſe zur zweiten conjug. gehörig. Endlich erklärt ſich, warum die dem nomen näher liegenden beflandtheile des ver-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/604>, abgerufen am 22.11.2024.