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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit adj.
-bar; wohl aber mit -haft, -los, -maeßig (geister-m.)
-fest (bretter-f.) u. a.

2) die ableitungen componieren sich in der regel wie
die einfachen subst. z. b. jugend-lich, tugend-sam, monat-
lich, dienst-bar. Nur versagen -lich, -sam, -bar den
subst. auf -ung, -nis und den diminutiven; mädchen-haft
ist nhd. erlaubt, kein ung-haft. Dagegen viele ungs-los
eingeführt worden sind (§. 6.).

3) falsches -el scheint eingeschlichen im mhd. roesel-var.

4) umlaut tritt nur bei der formel -lich ein (s. 569.);
andere zweite wörter mit dem vocal i (wild, blind, bit-
ter etc.) erwecken ihn nicht.

5) leblos werdende erste wörter: bor-, sin-, gin-, ma-
gan-, regin-, blut-, mord-, stein-, wunder- etc.

6) leblos werdende zweite wörter: -leich, -sam, -baere,
-haft, -fäst, -los, -luomi, -ruof, -saelic, -maeßic; mit
feinen und oft dialectischen unterschieden. Ags. kein
-haft, sondern -fäst; ahd. viele -haft, kein -vesti, daher
ags. sige-fäst = ahd. siku-haft. Allein die sich noch nä-
her liegenden begriffe -leich und -sam, beide ähnlichkeit
ausdrückend, treten in den zusammensetzungen jeder mund-
art nebeneinander auf und oft zu denselben ersten wörtern
gefügt bald gleichbedeutig, bald unterschieden. Obenhin
scheinen z. b. die nhd. fried-lich und fried-sam gleichviel, beide
pacificus, die mhd. freis-lich und freis-sam beide terribilis;
genauer genommen geht -sam mehr auf sinn und character,
-lich mehr auf die äußere natur der sache; ein mensch kann
friedsam, ein drache freissam, ein thal aber nur friedlich,
ein abgrund nur freislich heißen. Wir unterscheiden im
nhd. sehr bestimmt sittlich (moralis) von sittsam (mode-
stus), letzteres kommt dem derivat. sittig ziemlich nahe,
das veraltete sitthaft würde dem partic. gesittet gleichen;
vgl. ahd. situ-sam, situ-leih, situ-haft und sit-eic N. 85, 5.
O. V. 25, 242. Auch -baere kann in einzelnen fällen an
-lich und -haft stoßen, es ist weniger als dieses, mehr
als jenes und drückt aus, was unser heutiges part. brin-
gend, mit sich führend (heil-bringend, segen-br. regen-
br.) während sich -haft umschreiben läßt durch: verbun-
den mit. Danch-pari und danch-nami entsprechen vor-
trefflich beiden bedeutungen des lat. gratus; mhd. gilt
auch dank-naeme f. gratiam referens (Barl. 269.). Die
nicht abstract werdenden begriffe bieten ebenwohl viele
synonyma dar, welche oft dasselbe erste wort an sich

O o 2

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit adj.
-bar; wohl aber mit -haft, -los, -mæßig (geiſter-m.)
-feſt (bretter-f.) u. a.

2) die ableitungen componieren ſich in der regel wie
die einfachen ſubſt. z. b. jugend-lich, tugend-ſam, monat-
lich, dienſt-bar. Nur verſagen -lich, -ſam, -bar den
ſubſt. auf -ung, -nis und den diminutiven; mädchen-haft
iſt nhd. erlaubt, kein ung-haft. Dagegen viele ungs-lôs
eingeführt worden ſind (§. 6.).

3) falſches -el ſcheint eingeſchlichen im mhd. rœſel-var.

4) umlaut tritt nur bei der formel -lich ein (ſ. 569.);
andere zweite wörter mit dem vocal i (wild, blind, bit-
ter etc.) erwecken ihn nicht.

5) leblos werdende erſte wörter: bor-, ſin-, gin-, ma-
gan-, regin-, blut-, mord-, ſtein-, wunder- etc.

6) leblos werdende zweite wörter: -lîch, -ſam, -bære,
-haft, -fäſt, -lôs, -luomi, -ruof, -ſælic, -mæƷic; mit
feinen und oft dialectiſchen unterſchieden. Agſ. kein
-haft, ſondern -fäſt; ahd. viele -haft, kein -veſti, daher
agſ. ſige-fäſt = ahd. ſiku-haft. Allein die ſich noch nä-
her liegenden begriffe -lîch und -ſam, beide ähnlichkeit
ausdrückend, treten in den zuſammenſetzungen jeder mund-
art nebeneinander auf und oft zu denſelben erſten wörtern
gefügt bald gleichbedeutig, bald unterſchieden. Obenhin
ſcheinen z. b. die nhd. fried-lich und fried-ſam gleichviel, beide
pacificus, die mhd. freis-lich und freiſ-ſam beide terribilis;
genauer genommen geht -ſam mehr auf ſinn und character,
-lich mehr auf die äußere natur der ſache; ein menſch kann
friedſam, ein drache freiſſam, ein thal aber nur friedlich,
ein abgrund nur freiſlich heißen. Wir unterſcheiden im
nhd. ſehr beſtimmt ſittlich (moralis) von ſittſam (mode-
ſtus), letzteres kommt dem derivat. ſittig ziemlich nahe,
das veraltete ſitthaft würde dem partic. geſittet gleichen;
vgl. ahd. ſitu-ſam, ſitu-lîh, ſitu-haft und ſit-îc N. 85, 5.
O. V. 25, 242. Auch -bære kann in einzelnen fällen an
-lich und -haft ſtoßen, es iſt weniger als dieſes, mehr
als jenes und drückt aus, was unſer heutiges part. brin-
gend, mit ſich führend (heil-bringend, ſegen-br. regen-
br.) während ſich -haft umſchreiben läßt durch: verbun-
den mit. Danch-pâri und danch-nâmi entſprechen vor-
trefflich beiden bedeutungen des lat. gratus; mhd. gilt
auch dank-næme f. gratiam referens (Barl. 269.). Die
nicht abſtract werdenden begriffe bieten ebenwohl viele
ſynonyma dar, welche oft dasſelbe erſte wort an ſich

O o 2
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[579/0597] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit adj. -bar; wohl aber mit -haft, -los, -mæßig (geiſter-m.) -feſt (bretter-f.) u. a. 2) die ableitungen componieren ſich in der regel wie die einfachen ſubſt. z. b. jugend-lich, tugend-ſam, monat- lich, dienſt-bar. Nur verſagen -lich, -ſam, -bar den ſubſt. auf -ung, -nis und den diminutiven; mädchen-haft iſt nhd. erlaubt, kein ung-haft. Dagegen viele ungs-lôs eingeführt worden ſind (§. 6.). 3) falſches -el ſcheint eingeſchlichen im mhd. rœſel-var. 4) umlaut tritt nur bei der formel -lich ein (ſ. 569.); andere zweite wörter mit dem vocal i (wild, blind, bit- ter etc.) erwecken ihn nicht. 5) leblos werdende erſte wörter: bor-, ſin-, gin-, ma- gan-, regin-, blut-, mord-, ſtein-, wunder- etc. 6) leblos werdende zweite wörter: -lîch, -ſam, -bære, -haft, -fäſt, -lôs, -luomi, -ruof, -ſælic, -mæƷic; mit feinen und oft dialectiſchen unterſchieden. Agſ. kein -haft, ſondern -fäſt; ahd. viele -haft, kein -veſti, daher agſ. ſige-fäſt = ahd. ſiku-haft. Allein die ſich noch nä- her liegenden begriffe -lîch und -ſam, beide ähnlichkeit ausdrückend, treten in den zuſammenſetzungen jeder mund- art nebeneinander auf und oft zu denſelben erſten wörtern gefügt bald gleichbedeutig, bald unterſchieden. Obenhin ſcheinen z. b. die nhd. fried-lich und fried-ſam gleichviel, beide pacificus, die mhd. freis-lich und freiſ-ſam beide terribilis; genauer genommen geht -ſam mehr auf ſinn und character, -lich mehr auf die äußere natur der ſache; ein menſch kann friedſam, ein drache freiſſam, ein thal aber nur friedlich, ein abgrund nur freiſlich heißen. Wir unterſcheiden im nhd. ſehr beſtimmt ſittlich (moralis) von ſittſam (mode- ſtus), letzteres kommt dem derivat. ſittig ziemlich nahe, das veraltete ſitthaft würde dem partic. geſittet gleichen; vgl. ahd. ſitu-ſam, ſitu-lîh, ſitu-haft und ſit-îc N. 85, 5. O. V. 25, 242. Auch -bære kann in einzelnen fällen an -lich und -haft ſtoßen, es iſt weniger als dieſes, mehr als jenes und drückt aus, was unſer heutiges part. brin- gend, mit ſich führend (heil-bringend, ſegen-br. regen- br.) während ſich -haft umſchreiben läßt durch: verbun- den mit. Danch-pâri und danch-nâmi entſprechen vor- trefflich beiden bedeutungen des lat. gratus; mhd. gilt auch dank-næme f. gratiam referens (Barl. 269.). Die nicht abſtract werdenden begriffe bieten ebenwohl viele ſynonyma dar, welche oft dasſelbe erſte wort an ſich O o 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/597>, abgerufen am 26.05.2024.