positis das erste wort den hauptbegriff einschließen, das zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er- setzen. Jenes ist das individuelle, dieses zeigt das allge- meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn sie einheimische erzeugnisse ausdrücken, auch lieber un- zusammengesetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha (fagus) vlins (silex) hrab. 962b, folglich enthalten sie nicht in jenen zusammensetzungen das bestimmende, wie es in praepositionellen das erste wort enthielt. Man sagte erst hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un- deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei- chen des ganzen geschlechts hinzu (wal-fisc, hval-fiskr). Diese composita, insofern auf ihrem ersten worte die hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel- chen allen die voran stehende wurzel den hauptsinn, das hinzugefügte eine bloße modification desselben gewährt. Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe derivativisch scheint (s. 122. 134.).
3) [besonderes und allgemeines bei abstracten begrif- fen]. Noch mehr zeigt sich eine solche berührung mit derivatis, wenn das zweite wort der composition die an sich leere idee von status, classis, indoles u. dgl. enthält, welche durch das erste wort ausgefüllt werden muß. Hierher gehören alle zusammensetzungen mit ahd. -chunni, -heit, -leih, -scaf, -tuom, mit ags. -cyn, -dom, -had, -lac, -raeden, -scipe, mit nhd. -art, -heit, -schaft, thaum etc. Auch hier stehen beide wörter appositionell aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) degan- heit (status servitii) wetar-leih (tempestas) friunt-scaf (ami- citia) ewart-tuom (sacerdotium, status sacerdotis); das erste wort läßt sich durch kein präpositionsverhältnis erklären, eher durch einen genitiv, wie die lat. übersetzungen zei- gen und übergänge in die uneigentliche composition dem- nächst bestätigen werden; wir sagen zwar heutzutag: eine art von fisch, von vogel (oder eine art fische, vögel) st. und neben fisch-art, vogel-art, aber ich möchte nicht diesen modernen gebrauch der praep. von hier zur erläuterung nehmen. Uebrigens erschemt auch bei sol- chen abstracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum- und steinbenennungen, das zweite wort bisweilen über- flüßig, z. b. das ags. geogud-had (juventus) alts. jugud- hed bedeutet fast nichts anders, als was geogud, jugud; had, hed heben bloß den abstracten begriff hervor, im hochd. ist jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in
III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
poſitis das erſte wort den hauptbegriff einſchließen, das zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er- ſetzen. Jenes iſt das individuelle, dieſes zeigt das allge- meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn ſie einheimiſche erzeugniſſe ausdrücken, auch lieber un- zuſammengeſetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha (fagus) vlins (ſilex) hrab. 962b, folglich enthalten ſie nicht in jenen zuſammenſetzungen das beſtimmende, wie es in praepoſitionellen das erſte wort enthielt. Man ſagte erſt hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un- deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei- chen des ganzen geſchlechts hinzu (wal-fiſc, hval-fiſkr). Dieſe compoſita, inſofern auf ihrem erſten worte die hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel- chen allen die voran ſtehende wurzel den hauptſinn, das hinzugefügte eine bloße modification deſſelben gewährt. Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe derivativiſch ſcheint (ſ. 122. 134.).
3) [beſonderes und allgemeines bei abſtracten begrif- fen]. Noch mehr zeigt ſich eine ſolche berührung mit derivatis, wenn das zweite wort der compoſition die an ſich leere idee von ſtatus, claſſis, indoles u. dgl. enthält, welche durch das erſte wort ausgefüllt werden muß. Hierher gehören alle zuſammenſetzungen mit ahd. -chunni, -heit, -leih, -ſcaf, -tuom, mit agſ. -cyn, -dôm, -hâd, -lâc, -ræden, -ſcipe, mit nhd. -art, -heit, -ſchaft, thûm etc. Auch hier ſtehen beide wörter appoſitionell aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) dëgan- heit (ſtatus ſervitii) wëtar-leih (tempeſtas) friunt-ſcaf (ami- citia) êwart-tuom (ſacerdotium, ſtatus ſacerdotis); das erſte wort läßt ſich durch kein präpoſitionsverhältnis erklären, eher durch einen genitiv, wie die lat. überſetzungen zei- gen und übergänge in die uneigentliche compoſition dem- nächſt beſtätigen werden; wir ſagen zwar heutzutag: eine art von fiſch, von vogel (oder eine art fiſche, vögel) ſt. und neben fiſch-art, vogel-art, aber ich möchte nicht dieſen modernen gebrauch der praep. von hier zur erläuterung nehmen. Uebrigens erſchemt auch bei ſol- chen abſtracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum- und ſteinbenennungen, das zweite wort bisweilen über- flüßig, z. b. das agſ. gëoguð-hâd (juventus) altſ. jugud- hêd bedeutet faſt nichts anders, als was gëoguð, jugud; hâd, hêd heben bloß den abſtracten begriff hervor, im hochd. iſt jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0459"n="441"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">III. <hirendition="#i">ſubſt. eigentl. comp. —ſubſt. mit ſubſt.</hi></hi></fw><lb/>
poſitis das erſte wort den hauptbegriff einſchließen, das<lb/>
zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er-<lb/>ſetzen. Jenes iſt das individuelle, dieſes zeigt das allge-<lb/>
meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn<lb/>ſie einheimiſche erzeugniſſe ausdrücken, auch lieber un-<lb/>
zuſammengeſetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha<lb/>
(fagus) vlins (ſilex) hrab. 962<hirendition="#sup">b</hi>, folglich enthalten ſie nicht<lb/>
in jenen zuſammenſetzungen das beſtimmende, wie es in<lb/>
praepoſitionellen das erſte wort enthielt. Man ſagte erſt<lb/>
hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un-<lb/>
deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei-<lb/>
chen des ganzen geſchlechts hinzu (wal-fiſc, hval-fiſkr).<lb/>
Dieſe compoſita, inſofern auf ihrem erſten worte die<lb/>
hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel-<lb/>
chen allen die voran ſtehende wurzel den hauptſinn, das<lb/>
hinzugefügte eine bloße modification deſſelben gewährt.<lb/>
Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung<lb/>
des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe<lb/>
derivativiſch ſcheint (ſ. 122. 134.).</p><lb/><p>3) [<hirendition="#i">beſonderes</hi> und <hirendition="#i">allgemeines</hi> bei <hirendition="#i">abſtracten</hi> begrif-<lb/>
fen]. Noch mehr zeigt ſich eine ſolche berührung mit<lb/>
derivatis, wenn das zweite wort der compoſition die an<lb/>ſich leere idee von ſtatus, claſſis, indoles u. dgl. enthält,<lb/>
welche durch das erſte wort ausgefüllt werden muß.<lb/>
Hierher gehören alle zuſammenſetzungen mit ahd. -chunni,<lb/>
-heit, -leih, -ſcaf, -tuom, mit agſ. -cyn, -dôm, -hâd,<lb/>
-lâc, -ræden, -ſcipe, mit nhd. -art, -heit, -ſchaft,<lb/>
thûm etc. Auch hier ſtehen beide wörter appoſitionell<lb/>
aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) dëgan-<lb/>
heit (ſtatus ſervitii) wëtar-leih (tempeſtas) friunt-ſcaf (ami-<lb/>
citia) êwart-tuom (ſacerdotium, ſtatus ſacerdotis); das erſte<lb/>
wort läßt ſich durch kein präpoſitionsverhältnis erklären,<lb/>
eher durch einen genitiv, wie die lat. überſetzungen zei-<lb/>
gen und übergänge in die uneigentliche compoſition dem-<lb/>
nächſt beſtätigen werden; wir ſagen zwar heutzutag: eine<lb/>
art von fiſch, von vogel (oder eine art fiſche, vögel) ſt.<lb/>
und neben fiſch-art, vogel-art, aber ich möchte<lb/>
nicht dieſen modernen gebrauch der praep. <hirendition="#i">von</hi> hier zur<lb/>
erläuterung nehmen. Uebrigens erſchemt auch bei ſol-<lb/>
chen abſtracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum-<lb/>
und ſteinbenennungen, das zweite wort bisweilen über-<lb/>
flüßig, z. b. das agſ. gëoguð-hâd (juventus) altſ. jugud-<lb/>
hêd bedeutet faſt nichts anders, als was gëoguð, jugud;<lb/>
hâd, hêd heben bloß den abſtracten begriff hervor, im<lb/>
hochd. iſt jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[441/0459]
III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
poſitis das erſte wort den hauptbegriff einſchließen, das
zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er-
ſetzen. Jenes iſt das individuelle, dieſes zeigt das allge-
meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn
ſie einheimiſche erzeugniſſe ausdrücken, auch lieber un-
zuſammengeſetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha
(fagus) vlins (ſilex) hrab. 962b, folglich enthalten ſie nicht
in jenen zuſammenſetzungen das beſtimmende, wie es in
praepoſitionellen das erſte wort enthielt. Man ſagte erſt
hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un-
deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei-
chen des ganzen geſchlechts hinzu (wal-fiſc, hval-fiſkr).
Dieſe compoſita, inſofern auf ihrem erſten worte die
hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel-
chen allen die voran ſtehende wurzel den hauptſinn, das
hinzugefügte eine bloße modification deſſelben gewährt.
Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung
des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe
derivativiſch ſcheint (ſ. 122. 134.).
3) [beſonderes und allgemeines bei abſtracten begrif-
fen]. Noch mehr zeigt ſich eine ſolche berührung mit
derivatis, wenn das zweite wort der compoſition die an
ſich leere idee von ſtatus, claſſis, indoles u. dgl. enthält,
welche durch das erſte wort ausgefüllt werden muß.
Hierher gehören alle zuſammenſetzungen mit ahd. -chunni,
-heit, -leih, -ſcaf, -tuom, mit agſ. -cyn, -dôm, -hâd,
-lâc, -ræden, -ſcipe, mit nhd. -art, -heit, -ſchaft,
thûm etc. Auch hier ſtehen beide wörter appoſitionell
aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) dëgan-
heit (ſtatus ſervitii) wëtar-leih (tempeſtas) friunt-ſcaf (ami-
citia) êwart-tuom (ſacerdotium, ſtatus ſacerdotis); das erſte
wort läßt ſich durch kein präpoſitionsverhältnis erklären,
eher durch einen genitiv, wie die lat. überſetzungen zei-
gen und übergänge in die uneigentliche compoſition dem-
nächſt beſtätigen werden; wir ſagen zwar heutzutag: eine
art von fiſch, von vogel (oder eine art fiſche, vögel) ſt.
und neben fiſch-art, vogel-art, aber ich möchte
nicht dieſen modernen gebrauch der praep. von hier zur
erläuterung nehmen. Uebrigens erſchemt auch bei ſol-
chen abſtracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum-
und ſteinbenennungen, das zweite wort bisweilen über-
flüßig, z. b. das agſ. gëoguð-hâd (juventus) altſ. jugud-
hêd bedeutet faſt nichts anders, als was gëoguð, jugud;
hâd, hêd heben bloß den abſtracten begriff hervor, im
hochd. iſt jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/459>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.